Schaukampf

Wahltheater In Köpenick bleiben Gregor Gysi und Hellmut Königshaus die Antwort schuldig, wie man in der Krise regiert

0914-wahlkampfNatürlich ist Wahlkampf Theater. Wenn die Direktkandidaten der FDP und der Linken in ihrem Wahlkreis auftreten, ist es sogar Provinztheater. Aber wo könnte das schöner sein als im Rathaus Köpenick? Wo vor dem ehrwürdigen Backsteinbau der Hauptmann von Köpenick aus Bronze verspricht, dass ein Schauspiel in diesen Mauern sicherlich Klasse hat. Heute tragen hier Gregor Gysi, Fraktionsführer der Linken und Hellmut Königshaus, FDP-Abgeordneter im Bundestag, ihren Schaukampf aus. Die Bühne, der holzgetäfelte Ratssaal, könnte nicht stilvoller sein. Die Kulisse nicht dramatischer: Das größte Beben unseres Wirtschaftsgefüges, seit wir uns erinnern.

Wer an diesem Abend auf den etwas zu weichen, rotbezogenen Stühlen sitzt, beneidet sie fast. Gysi könnte eine Brandrede halten. Für linke Reformen. Was andere nicht zu sagen wagen. Und Königshaus könnte effektvoll erklären, weshalb der FDP als Partei des freien Markts gerade jetzt die Wähler zufliegen. Dass wir an Markt und Börse glauben sollen. Jetzt erst recht. Kleine Bühne, großes Theater.

Und wirklich ist dieser Ratssaal weit im Osten Berlins brechend voll. Man weiß nicht, ob die vielen Mittzwanziger mit ihren aufmerksamen, jungen Gesichtern mit der Straßenbahn angereist sind, um Gysi zu hören (oder Königshaus?), oder ob die Jugendmannschaft des örtlichen Rudervereins geschlossen gekommen ist. Jedenfalls sind sie da. Und es ist wunderbar. Demokratie in ihrer schönsten Form, wie in Athen, wo die Redner das Volk überzeugen mussten. Genau so wie diese lauschenden Bürger stellt man sich die Griechen vor.

Aber dann geschieht etwas Merkwürdiges. Kennt man es sonst vom Wahlkampf, dass die Politiker auf der Bühne sich vergeblich um Dramatik bemühen, während die Zuhörer Bratwürste essen, liegt heute Abend gespannte Erwartung im Raum – und dem Publikum gelingt es nicht, diesen Funken aufs Podium überspringen zu lassen.

Gysi ist nicht in Form. Zwar holt er keine Bratwurst aus seiner Aktentasche, um gelangweilt auf ihr herumzukauen, aber es fehlt nicht viel. Beiläufig streut er Bonmots und redet mühelos Königshaus unter den Tisch, der noch weniger bei der Sache ist.

Aus dem Publikum kommen Fragen. Ein Volkswirtschaftsstudent spricht über den Neoliberalismus, der ursprünglich dem Liberalismus Paroli geboten und den Markt in seine Schranken gewiesen habe. Ein anderer will wissen, welche Reformen jetzt notwendig seien.

Gysi und Königshaus plaudern über dies und das. Über Gesundheit und Krankenkassen, und nur einmal wacht Gysi auf, als es um ein Herzmedikament geht, das er braucht und das ein Hartz-IV-Empfänger nicht bezahlen könnte. Es ist der einzige Moment, in dem er anwesend ist, verletzlich, lebendig, da. Dann wabern sie wieder davon. Sprechen über Kommunismus als böses Gespenst oder schönen Traum, und Königshaus und Gysi trauern gemeinsam darum, dass man mit politischen Träumen stets missverstanden wird. Dann kehren sie auf die Erde zurück und Gysi entwirft Szenarien der Krisenbewältigung. Ab­strakt, fast defätistisch – ohne eigene Idee. Außer, mit Krediten den Binnenmarkt anzukurbeln. Königshaus vergisst es ganz, einen Vorschlag zu machen.

Die Redner müssen das Volk nicht überzeugen. Das große Beben kratzt bisher nicht an der Legitimität der Politik, des politischen Systems schon gar nicht. Das ökonomische Gefüge ist unerreichbar. Und alle Beteiligten wissen das.

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