Ihr Kleid ist weiß, reinweiß. Brautweiß. Wie ein Korsett schalt es Brust und Taille ein, von der Hüfte abwärts fließen Seidenfalten wie Wellen. Ein Kleid wie aus einem Historienfilm. Leicht sieht es aus wie eine Feder, doch es ist heiß unter den Stoffen, die Braut schwitzt, die Aufregung kommt hinzu. "Pudern bitte, so geht es nicht." Die Braut ist bereits in mehreren Schichten gepudert - doch es ist eine solche Hitze, jetzt im Juli. Wer heiratet auch im Juli, denkt sie, das weiß ich. Die Gedanken der Bräute rasen, vor und zurück, Denkschleifen. Ob alles klappt. Hätten wir nicht. Mein Gott, man hätte wissen können, dass an so heißen Tagen unter diesem Kleid der Schweiß am Rücken und an den Beinen herabrinnen wird. Ich kenne diesen silbernen, abwesenden, fliegenden Blick, diesen schmalen Mund der lächelt, als hätte das Gehirn plötzlich vergessen, welche Muskeln gespannt, welche gelockert werden müssen, damit ein Lächeln entsteht. Als würden sie im Standbymodus lächeln. Auf schlechten Hochzeitsfotografien ist die Braut so abgebildet. Unbegabte Fotografen weisen sie lediglich an, ein wenig zum Bräutigam aufzusehen, damit sie ins Halbprofil gerät, die Pose wirkt romantischer. Doch das ist schlechtes Handwerk, meine ich. Eine verkrampft lächelnde Braut wird auch im Halbprofil nicht zu Sissi, die ihren Kronprinzen anstrahlt. Sie wird aussehen wie die verkleidete Janine B., 34, mittlere Beamtenlaufbahn, die sich redlich bemüht, ihrer Rolle gerecht zu werden. "Locker bitte", sage ich ihr. Natürlich weiß ich, dass es auch so nicht geht. Es ist ein Ablenkungsmanöver.
Klick.
"Ist es gut geworden?" fragt Janine, und meint: Bin ich schön? "Bei einer so schönen Frau wie dir kann doch gar nichts schief gehen", lache ich sie an. "Bellissima". Ein von-Frau-zu-Frau-Lachen. Sie lacht mit, ihre Spannung löst sich, eine Hand hält sie vor den Mund. Helles Haar, erhitzte Wangen, kleine Augen, sehr blau. Wenn sie sich beruhigt hat, ist Gelegenheit, ein gutes Bild zu schießen. Der Mund muss erst wieder geschlossen sein. Jetzt ist der richtige Augenblick. Klick. Klick. Wie Sissi. Fast.
Sie wird das Bild hinter Glas rahmen. Schau, sagt sie ihrer Tochter irgendwann. Das war ich, da war ich jung. Unsere Hochzeit. Und das Mädchen wird sich wünschen, selbst eine Braut zu sein. Alle kleinen Mädchen wünschen sich das. Mama, ich will dann einen Schleier haben, der bis zum Boden reicht. Und die Rosen sollen rosa sein. Und die Schuhe aus Lack. Auch ich habe mir als Kind vorgestellt, eine Braut zu sein. Bräute sind die einzigen Prinzessinnen, die auf Asphaltstraßen gehen, dachte ich. Heute zerbricht mir dieses Bild. Ich sehe meinen Bräutigam mich küssen und weiß - man muss den Kuss aus einer Unterperspektive ablichten. Das überhöht die Leidenschaft. Vorbei. Mein eigener Prinzessinnentag wird nicht stattfinden.
Ich verwahre Prinzessinnentage anderer Frauen, auf Papier, auf Filmen, Dias, Bilddateien. Manchmal überlege ich, wie man sie ordnen könnte. Bräute, nach Berufsgruppen sortiert. Nach Alter, nach Herkunft, nach Anfangsbuchstaben. Man kann absurde Reihen bilden - die Abstände zwischen ihrem und seinem Geburtsdatum zum Beispiel, steigend oder fallend.
Janine kenne ich seit heute früh. Am Morgen, wenn die Luft noch kühl ist, betrete ich die Loggia eines Hotels. Ein Zimmermädchen zerrt einen lärmenden Staubsauger über dicken Teppichboden, ein künstlicher Springbrunnen plätschert, im Lift begegne ich der Coiffeuse. Ein Arbeitstag beginnt. Meiner, der des Zimmermädchens und der der Coiffeuse. Wir suchen Zimmer 112. Die Braut ist schon wach, sie hat schlecht geschlafen, oder gar nicht; sie ist übellaunig, wir sind zu früh oder zu spät, oder beides. Das ist normal. Ich kenne Bräute wie ein Fleischer seine Wurst kennt. Sie sind empfindlich wie rohe Eier. Zum Bersten gespannt, besonders in den Morgenstunden. Sie weinen oft mehrmals an diesem Tag, aus den nichtigsten Gründen. Bräute sind überfordert. Sie müssen schön und glücklich und Prinzessin sein. Zugleich muss alles laufen, alles muss stimmen. Dieser Tag ja auch ein Testballon, der beweist, ob die künftige Frau den Laden schmeißen kann. Was, wenn das Catering nicht stimmt. Das soll es schon gegeben haben: Dass eine Hochzeit schlicht vergessen wurde, und eine ganze Hochzeitsgesellschaft mit einem notdürftig zusammengestellten Buffet auskommen musste. Und wer hat den Cateringservice bestellt? Die Braut. Solche Sorgen sind so gar nicht Prinzessin. Sie lassen den Mund schmal werden. Janine weiß das und versucht, unbeschwert zu wirken. Im seidenen Negligee hüpft sie über beigen Hotelzimmerteppichboden, räumt hier und da etwas hin und her. Das Kleid ist noch nicht da. "Es wird gleich kommen", sagt Janine. Sie sieht auf die Uhr. "Weshalb mag sie so schwarze Zehen und Fersen haben?", denke ich. "Das waren diese Schuhe von gestern", klärt Janine lachend auf, die meinen Blick errät. "Sie haben abgefärbt!" Es klingt heiter und gequält zugleich. Wir lachen mit. Verfärbte Zehen - am Hochzeitstag. Es ist 9.45, das Kleid müsste längst da sein. Janine bricht in Tränen aus. Eine zerknitterte Braut im Negligee, mit schwarzen Füßen, der kleine Tränen über das Gesicht mäandern. Was für ein wunderbares Bild.
Doch natürlich - natürlich lasse ich die Kamera ruhen. Schließlich verstehe ich mein Geschäft. Ich weiß, dass ich alles nur erdenkliche fotografieren darf - nur auf keinen Fall das, was man eigentlich ausdrücklich bei mir bestellt. "Erinnern Sie die intimen Momente des schönsten Tages in ihrem Leben", werbe ich in meinem Prospekt. Intime Momente - dieses Reizwort wirkt. Wie Webcam. Früher war eine Hochzeit als Bild etwas Statisches. Das Paar auf der Treppe vor dem Standesamt, der Kuss. Heute bestellen Brautpaare ihre Hochzeit auf Video. Am liebsten wollen sie alles bewahren und ansehen können, alle Augenblicke des Ereignisses. Die Hochzeit als Film wird gern verlangt - doch zunehmend auch wieder die Fotografie. Der Fetisch des Haptischen scheint unvergänglich. Das Bild, das man anfassen kann. Die Paare lieben diesen gebannten Augenblick, der scheinbar zufällig ihre unsterbliche Liebe zeigt. Und immer wieder die Braut, als reine Schönheit in weiß. Sie lieben das Unschuldige. Je schuldiger die Welt, desto heiler ihr Bild. Die intimen Momente, die ich festzuhalten habe, müssen beiläufig und nah - und zugleich der Welt entrückt wirken. Und schön müssen sie sein.
Wann werden meine Kunden begreifen, dass Intimität selten schön aussieht? Sie wissen es nicht. Und mein Handwerk besteht darin, sie in diesem Unwissen zu belassen. Sie sollen glauben können, dass sie schön und schuldlos seien, wenn sie authentisch sind. Früher gab sich ein Paar damit zufrieden, eine offensichtliche Inszenierung der Hybris als gerahmtes Hochzeitsbild betrachten zu können. Heute gehen sie weiter. Sie wollen die Show von der Bühne ins Leben zerren - und umgekehrt. Früher habe ich auf das Handwerk des Hochzeitsfotografen herabgesehen - heute weiß ich, dass es großer Kunstfertigkeit bedarf.
Janines Tränen sind versiegt und abgetupft. Eben hat eine Botin ihr Kleid gebracht und die Verspätung entschuldigt, die eine Viertelstunde betrug. Ich beruhige Janine, die noch immer tief atmet. Professionell und routiniert muss man agieren - nah und zugleich distanziert, wie eine Kinderärztin, die einem kranken Mädchen Mut zuspricht. Mein Gott denke ich, 34 und unausgeschlafen. Geschwollene Tränensäcke, müde Augenlieder. Ich werde wie eine Weltmeisterin retuschieren müssen, wenigstens ist sie nicht dick, denn da kann man gar nichts machen.
Für die intime Hochzeitsreportage benötige ich Bilder vom Aufstehen und Ankleiden der Braut. Janine wird nun für diese Fotos geschminkt. Sie schließt die Augen und lehnt den Kopf zurück. Es ist eigenartig. Fast immer entspannen sich Frauen, wenn andere ihre Gesichter mit Schwämmchen betupfen, Pasten und Puder auftragen. Sie vertrauen sich ganz der Kosmetikerin an, sie glauben an Verjüngung und Verzauberung durch das Make Up. Janine ist so weit. Sie ist bereit für das intime Bild: Eins arrangieren wir im Bett. Sie blinzelt, die langen blonden Haare fließen in schönem Schwung über die Kissen, mit einer Hand greift sie nach einem alten Wecker um nach der Uhrzeit zu sehen. Natürlich verwendet Janine im wirklichen Leben ein Handy mit Weckfunktion. Es folgen Aufnahmen von Janine am Waschtisch, beim Bürsten ihrer Locken. Janine in hauchzartem Slip und Büstenhalter, beim Zurückziehen der Vorhänge. Wir tragen Camouflage-Make Up auf, um blaue Adern und Besenreißer im Hautfarben verschwimmen zu lassen. Janine beim Anlegen des Kleides, beim Schließen des Reißverschlusses. Janine beim Anziehen der Brautstrümpfe. Sie muss auf dem Bett sitzen, ein Bein anwinkeln und mit graziler Geste einen Strumpf über die Waden rollen, den Kopf leicht nach vorne geneigt. Je nach Schönheit lasse ich die Frauen den Kopf stärker oder schwächer neigen, so dass man wahlweise das Gesicht noch sieht oder nicht. Ein gutes Stück Distanz, ein starker Weichzeichner, und man erhält zuverlässig ein selbstvergessen romantisches Bild. Alle Bräute wollen so ein Bild. "Das hat sie so ganz en passant aufgenommen", kann Janine dann später ihrer Freundin erzählen. Es ist 10.30 Uhr. Wir werden zu spät zum Standesamt kommen.
Manchmal denke ich, Hochzeiten existieren überhaupt nur als Bilder. Das wirkliche Ereignis tritt hinter ihnen zurück. Denn was soll es gewesen sein? Janines Vater ist gekommen, um sie in seinem Wagen zum Standesamt zu fahren - so verlangt es die Tradition. Janine war noch nicht fertig, was abzusehen war - fast hätte es noch mal Tränen gegeben. Dann ging alles sehr schnell. Im Wagen ist es heiß, der Vater tritt aufs Gas. Die Standesbeamtin ist ungeduldig, denn in einer halbe Stunde schon muss sie das nächste Paar trauen. Sie rattert Worte, so dass Janine kaum zuhören kann. Sie hört wie draußen die Mauersegler schreien und denkt, dass sie Mauersegler immer schon gerne mochte. Und ob die Gäste alle kommen werden. Sie sagt "Ja", und Jonas, so heißt er, sagt auch "Ja". Und dann ist es auch schon vorbei. Auf den Treppenstufen draußen wird ihr die Hitze wie eine Keule auf den Kopf schlagen, sie will ihre Ruhe haben, in einem See baden oder einfach unter einem Baum sitzen. Aber sie muss tapfer sein - wenigstens bis das Foto gemacht ist. Schließlich ist es das wichtigste Foto von allen. Seit wenigen Minuten ist sie Jonas Frau. Wie fühlt es sich an? Schweißig. Sie spürt den Schweiß in Rinnsalen über den Rücken laufen, weil das Kleid viel zu dick ist, für dieses Wetter. "Lockerer lächeln", hört sie mich, die Fotografin sagen.
So wird es für Janine gewesen sein. So, oder so ähnlich. Ich sage ja, dass ich die Bräute kenne, ob sie Janine oder Conny oder Vanessa heißen. Während ich noch die Bilder von den wichtigsten Minuten in Janines Leben schieße, erklimmt bereits die nächste Hochzeitsgesellschaft die Treppe. Ich nicke dem Kollegen zu. Seine Klientin wirkt jünger und gefasster als meine, eine Kurzhaarbraut. Noch immer ist es für mich ein unangenehmer Moment, wenn sich zwei Hochzeitsgesellschaften begegnen. Der serielle Charakter des Eheschließens müsste den Brautpaaren doch unverhofft und höchst peinlich zu Bewusstsein kommen. Eben noch Prinzessin. Schönste. Einzige. Es kann doch nicht Brautprinzessinen in Serie geben! Oder doch? Das Seltsame ist: Janine sieht die andere Gesellschaft nicht. Die Bräute sehen sie nie. Sie übersehen auch, dass auf dem selben Standesamt einige Flure weiter Ehepaare anstehen, um sich wieder scheiden zu lassen - im selben Halbstundentakt. Bräute befinden sich in einem Kokon, sie sehen nur, was sie sehen wollen. Eine Hochzeit, scheint mir, ist ein Ereignis, das im Kopf stattfindet. Von Beginn an besteht sie aus Imagination. Dem Fotografen muss es gelingen, diese Bilder auf Fotopapier Wirklichkeit werden zu lassen.
In einer Woche werden Jonas und Janine ihre Hochzeitsreportage in den Händen halten. "Wie wunderschön", wird Jonas sagen. Vor allem diese Bilder von dir, auf denen du noch so verschlafen blinzelst. Da sieht man genau, dass du´s kaum erwarten kannst. Und das hier von uns beiden. Was sehen wir da glücklich aus.
Dieser dokufiktionale Text ist auf der Basis mehrerer Gespräche mit Hochzeitsfotografinnen und einem Betreiber einer Hochzeitsmesse entstanden.
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