Analyse der beiden Landtagswahlen

Politik Warum die Grünen in Ostdeutschland nur schwer in Fahrt kommen

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Klassische Politikanalyse erklärt die Ergebnisse und Begleitumstände der beiden Landtagswahlen immer noch am besten. Im Umkehrschluss erklärt dies auch das mäßige Abschneiden der Grünen, deren Höhenflug nun vorerst einmal gebremst zu sein scheint.

Themen, die im Westen derzeit den Mainstream dominieren (etwa Klima, Bildung, Mobilität), sind im Osten der Republik eben nicht unbedingt so dominant. Die Lebensrealitäten der Wähler vor Ort sowie deren Empfindungen und Ängste haben den bundesdeutschen Fortschrittsdiskurs einmal mehr übertüncht. Die Wähler im Osten haben mit grüner Rhetorik und klima- respektive umweltfreundlichem Gedankengut, das der Partei bei Landtags- und Europawahlen zuletzt ordentliche Zugewinne bescherte, wenig am Hut. Auch, wenn der grün-ökologische Siegeszug insbesondere in den größeren Städten im Osten sukzessive Einzug halten wird. Bundesdeutsche, ja euorpaweite und weltweite Trends und Tendenzen lassen sich natürlich auch nicht in der Uckermark oder im Vogtland aufhalten, aber kurzfristig eben schon.

Das ist nur eine Lehre aus den beiden Landtagswahlen von Sonntag, bei denen die hoch gejubelten Grünen trotz Rekordgewinne, historisch bester Ergebnisse und der künftigen Rolle des Koalitionsmachers ihre Prognosen nun doch nicht bestätigen konnten. Ihnen wurden zum Teil zweistellige Ergebnisse prognostiziert. Jetzt mussten sie um die Zweistelligkeit hart kämpfen. Schuld sei, so Ursula Nonnemacher, Grüne Spitzenkandidatin aus Brandenburg, die starke Polarisierung im Wahlkampf und der Wunsch von vielen Grünen-Sympathisanten gewesen, um jeden Preis einen Wahlsieg der AfD zu vermeiden. Deshalb hätten wohl viele, die sonst grün gewählt hätten, für die CDU (Sachsen) oder SPD (Brandenburg) gestimmt. Das greift analytisch zu kurz und muss ergänzt werden.

Lebensrealitäten

Um die Lebensrealitäten in West und Ost etwa, die eben nach wie vor verzerrt sind. Klar ist, dass Gerechtigkeit, faire Arbeit und Entlohnung, Anerkennung von Lebensleistungen – das beschäftigt übrigens immer noch bis heute –, "hüben wie drüben" eine zentrale Rolle (im Wahlkampf) spielen. Dennoch kommen diesen Themen im Osten, gepaart mit Abstiegs- und an vielen Orten irrationalen Überfremdungsängsten, eine noch stärkere Bedeutung zu als im Westen, wo der Protest und die Themen in der Öffentlichkeit eher grün und jung sind, sich um das Klima und die Generationenfrage gesorgt wird sowie um die Sicherheit von neuen Verkehrsmitteln. Hier denkt man nicht zwangsläufig darüber nach, wie man bis zum Monatsende mit dem Lohn oder Gehalt auskommt. Es geht eher darum, wie sich die Arbeitszeiten sozialverträglich, ökologisch nachhaltig und am besten noch familienfreundlich verändern könnten. Mehr dazu liest man in dem umfassenden und lesenswerten Buch "Diese verdammten liberalen Eliten" von Carlo Stenger.

Weniger Kosmopoliten im Osten?

Viele Wähler im Osten interessieren sich primär dafür, dass es ihnen soziale und ökonomisch schnell und langfristig besser geht. Diskurse sind hier von den Themen Arbeit und Soziales getrieben. Weniger von westdeutschen Themen. Klimaschutz und das große Ganze rücken (etwas) nach hinten. Etwas zugespitzt formuliert: Ob es in ihrem Ort kostenloses Wlan, ein virtuelles Rathaus oder viele ökologische Ausgleichsflächen gibt, juckt viele Menschen im Osten wenig, wenn am Ende des Monats kein Geld übrig bleibt, um den Kindern einen Kinobesuch zu ermöglichen. Das viel zitierte kulturelle Kapital und die soziale Teilhabe sind hier Themen; Digitalisierung und Klimaschutz sind zweitrangig, bei manchen sogar drittrangig. Dies erkannte vor gut einem Jahr bereits der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Er sollte Recht behalten, in diesem Sinne zumindest.

Vielleicht sollte man sich tatsächlich ernsthafte Gedanken machen, wie man die Ostdeutschen in die bundesrepublikanische Öffentlichkeit vernünftig und verbindlich integriert, sei am Rande einmal erwähnt.

Andere Themen sind wichtiger

Zurück zu den Grünen: Sie besetzten die Sujets und Politikfelder, die die Brandenburger und Sachsen umtreiben natürlich auch: Strukturwandel, ungleiche Bezahlung, Abbau der hohen Arbeitslosigkeit. Die Ost-Grünen versuchen ebenso die Diskrepanz vieler strukturschwacher ostdeutscher Regionen zu westdeutschen zu verringern, steht im Wahlprogramm. Nur ist das wenig glaubwürdig. Wieso die Kopie wählen, wenn es lang gediente Originale gibt, fragen sich bestimmt viele Wähler aus Brandenburg und Sachsen. Das Kernproblem der Ost-Grünen ist schlicht, dass ihr Engagement ihnen anscheinend nur wenige abnehmen. Sie werden mit anderen Themen assoziiert und die spielen nun mal im Osten gegenwärtig eine sekundäre Rolle. Der Linken und der SPD, den beiden Originalen, nehmen die Ostdeutschen das schon eher ab. Aber auch sie wurden deutlich abgestraft, die Linken noch mehr als die SPD.
Es zeigt sich einmal mehr, dass die Grünen eine immer noch stark im Westen verwurzelte Partei ist und ihr Agitationsraum westdeutsch ist. Nur mit Klimaschutz, Nachhaltigkeits-Debatten und ein wenig Arbeits- und Sozialpolitk lässt sich der Osten nun einmal nicht um Handumdrehen erobern.

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