Ein feudales Stück russischer Geschichte

Kultur. Fjodor Michailowitsch Dostojewskis Theaterstück „Idiot“ begeistert ein Düsseldorfer Publikum. Eine vierstündige Koproduktion mit dem Dresdener Theater

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Auf einmal kam sie, die alle anhimmelten, herein und ließ ihren schwarzen Pelzmantel und damit alle Hüllen fallen. So stand sie nun nackt da. Staunen, aber auch Entsetzen im Publikum des ausverkauften Düsseldorfer Schauspielhauses. Die Protagonistin, eine Prostituierte, versucht mit dem Sohn des betrunkenen Generals anzubandeln. Bis der aus der Schweizer Nervenheilklinik kommende Jüngling wieder zurück nach Moskau kommt. Dann nämlich verlieben sich die beiden sonderbaren „Exoten“ – sie, die raffinierte Mätresse hoher Generäle und angesehener russischer Staatsbürger und geltungssüchtige Blondine und auf der anderen Seite, er, der naive und gar nicht berechnende junge Mann. Der junge Herr scheint so ganz anders als die von Gier und Habsucht durchdrungenen Menschen in Dostojeweskis „Idiot“, das eine Koproduktion des Düsseldorfer Schauspielhauses und des Dresdner Staatstheater ist. Premiere feierte das Stück schon im vergangenen Herbst, dennoch füllt es auch fast sechs Monate danach noch Theatersäle.

Abbild der russischen Gesellschaft

Der weltbekannte russische Schriftsteller zeichnet ein Bild einer Gesellschaft am Ende des russischen Zarenzeitalters, das mit dem heutigen Russland gut vergleichbar zu sein scheint. Überall wo man hinsieht ist Geld, Gier und Geltung Thema. Es wird um die Gunst von Frauen gebuhlt – natürlich mit viel Geld und mit Intrigen. Als Antithese gilt der junge Mann, der zerrissen ist zwischen zwei Frauen und, so scheint es, kaum etwas über seine Vorzüge gegenüber der Masse weiß. Er ist nicht an Geld interessiert, so lässt er beinahe emotionslos ein Haufen Rubel im Feuer des Kamines verbrennen, und prahlt auch nicht mit einer zufällig gemachten Erbschaft, die ihn im Handumdrehen reich werden lässt. Schließlich, und allen Erwartungen zum Trotz, heiratet die Mätresse den Jüngling, der sie aus den Händen eines reichen, versoffenen Mannes entreißen kann. Dann kommt es aber zur Katastrophe und die Mätresse, das Stück der Begierde, auch, weil sie mit jedem herumspringt, wie es ihr in den Sinne kommt, wird von dem viele Jahre älteren Nebenbuhler des Jünglings umgebracht.

Das passt auch zum heutigen Russland, wo immer wieder auf dubiose Weise Menschen verschwinden, umgebracht oder verkauft werden. Gerade die Kritik vieler junger Menschen am vergangenen Wochenende in großen russischen Städten, die dem Aufruf des Kreml-Kritikers Nawalny gefolgt sind, zeigt doch, dass die feudalen und hierarchischen, ja korrupten Strukturen, die Dostojewski offenlegt mit „Idiot“ aktueller denn je sind. Denke man nur an den russischen Premierminister, der mehrere Luxusvillen, Yachten und Wagen besitzt, weiß man, dass Russland noch einen weiten Weg vor sich hat.

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