Polizeidienst ist kein Ponyhof

Innenpolitik Ein Kommentar zum Polizeiskandal in NRW

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Gegen 29 Beamte überwiegend aus dem Bereich des Polizeipräsidiums Essen werden Vorwürfe wegen rassistischer Postings in privaten Chatgruppen erhoben. NRW-Innenminister Reul sagte in Düsseldorf, der Fall treffe die Landespolizei bis ins Mark. In den Chatgruppen sei „übelste und widerwärtigste Hetze“ betrieben worden. Gepostet wurden demnach unter anderem Bilder Adolf Hitlers sowie die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer. Nach Angaben von Reul wurden insgesamt 34 Polizeidienststellen und Privatwohnungen durchsucht. Bei solchen Skandalen, übrigens nicht der erste in jüngster Zeit und sicherlich auch nicht der letzte bei der Polizei, wird dann immer und zwangsläufig der Ruf nach Konsequenzen und Einschnitten laut. Aber ein differenzierter Blick auf die Causa hilft - auch hierbei, bei diesem stark emotional aufgeladenen Problemen, das unbestritten eine Schande für die Polizei in NRW ist und allgemein ein Faustschlag ins Gesicht des sonst so gelobten Rechtsstaates der Bundesrepublik Deutschlands ist.

GdP bezieht Stellung

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, hat recht, wenn er Fortbildungsprogramme für Polizisten ins Spiel bringt. Bildungsprogramme sind nie verkehrt. Radek will Projekte auflegen, damit die demokratische Resilienz nachhaltig gefördert wird - bei all jenen, die eine staatstreue und damit gute Arbeit machen in der Polizei. Das Ziel: Die guten Schafe sollen bloß nicht anfällig werden für rechtsextreme, populistische und faschistische Parolen. Auch sogenannte Anti-Rassismus-Trainings, auch von Radek befürwortet, sind sinnvolle Instrumente, um die Widerstandskraft der Polizisten gegen rechte Tendenzen zu stärken und ihnen in ihrem schwierigen Alltagsgeschäft auf der Straße und im Einsatz zu helfen. Auch sollte über einen flächendeckenden und anonymen psychosozialen Dienst bei der Polizei nachgedacht werden. Ob das aber zum Bild des knallharten Polizisten passt, der natürlich seine Probleme und den Stress im Einsatz nach Dienstschluß einfach so auf der Wache lassen sollte, ist eher unwahrscheinlich.

Schritt vom Konservatismus zum Rechtspopulismus ist nicht mehr allzu groß

Dennoch: Das alles ist richtig und sinnig, wird jedoch dem Kernproblem (Menschen verändern sich halt, wenn sie eine Uniform tragen, also Macht ausüben können, und täglich mit den Abgründen des Menschsseins zu tun haben und dazu teilweise wenig Reflexionsvermögen haben) kaum Rechnung tragen. Es braucht dringend eine umfassende Aufarbeitung, wie der Minister des Inneren des Landes NRW angekündigt hat. Wie die aussehen wird und wie ernsthaft hier Aufarbeitung tatsächlich betrieben werden wird, wird entscheidend für das Vertrauen der Bürger in die Polizei sein. Gelingt keine glaubwürdige und notabene transparente Aufarbeitung, verlieren die Ordnungshüter weiter an Ansehen und Vertrauen. Der eingeforderte Respekt vor der Polizei wird dann in vielen, nicht mehr nur in einigen, Bevölkerungsgruppen weiter sinken. Aber vor allem gilt es jetzt mit einer detaillierten, unabhängige und wissenschaftliche Untersuchung, man könnte sie auch Studie schimpfen, zu Rechtsextremismus und derartigen Einstellungen in der Polizei zu beginnen. Um mehr Gewissheit über Verhaltensmuster bei der deutschen Polizei zu bekommen. Denn besonders hier, wo immanente Forderungen von "Law and Order" zur DNA eines jeden Polizisten gehören, gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass Polizeibeamte besonders anfällig für rechte Hetze sind. Das soziokulturelle Umfeld, kurz die (selbst-)geschaffenen Strukturen und das Vorgesetztenverhalten, prägen diese Einstellungen, die auch gerne von vielen Konservative skandiert weden. Und der ideologische Abstand vom Konservatismus zum Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus ist nicht allzu groß.

Wieso verweigern sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), Bundesinnenminister Horst Seehofer, ebenfalls Konservativer, und weite Teile Deutschlands größter Polizeigewerkschaft, eben jener GdP, solch einer wissenschaftlichen Untersuchung? Aus Angst, dass noch viel mehr Dreck an die Oberfläche kommt, das faschistische Strukturen systematisch erkennbar werden könnten? Das man auf dem rechten Auge blind war über all die Jahre? Wie ernst ist ihnen tatsächlich der Wille um Aufklärung?

Viele sagen jetzt auch, darunter die Innenpolitiker Reul und Seehofer, das ist ebenso ein typisches Muster bei aufkommenden Skandalen, dass man nicht die vielen korrekten Polizisten, die es zweifelsfrei gibt in der Republik, unter Generalverdacht stellen sollte. Und dass die "überwältigende Mehrheit der Polizisten in der Bundesrepublik" nicht rechts sei, sagte noch jüngst Reul und Seehofer. Das Problem: Das wissen die beiden Innenpolitiker nicht, denn sie können unmöglich die "überwältigende Mehrheit" von den zig Tausenden Polizisten in unserem Land kennen. Hier wird also der Generelaverdacht positiv umgedreht. Das ist aber Augenwischerei. Es wird irgendwann zudem unglaubwürdig, wenn immer häufiger Eklats und Skandale publik werden, die "dunkelbraune Gesinnung" und abstruse Rechtsauffassungen sowie verachtende Einstellung zu Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei, Abschirmdiensten, Bundeswehr und Elite-Truppen herausstellen. Reine Floskeln können dies also nur sein von Reul und Seehofer.

Ich, hingegen, werde für keinen Polizisten in NRW oder sonst wo in Deutschland die Hand ins Feuer legen. Zu sehr haben Polizisten uns Journalisten gegenüber bewiesen, dass man vielen von ihnen keine Waffe in die Hand drücken sollte. Man denke nur an die Vorfälle um das ZDF-Team in Ostdeutschland und Berlin, die Polizei schreitete damals nicht ein, als Rechtsextreme Journalisten angingen. Im Gegenteil, man ist seitens der Polizei gegenüber Journalisten lieber erst einmal kritisch und abweisend eingestellt. Muss das so sein? Viele Journalisten werden auch bei Recherchereisen oder Reportagen von einigen, nicht allen, Polizisten systematisch an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert. Auch das ist leider Realität im deutschen Rechtsstaat. Reformbemühungen gibt es dazu derzeit, heißt es imer wieder.

Extrem wichtiger Beruf

Dass das Abitur Zulassungskriterium für diesen extrem wichtigen Beruf ist, ist ferner beschämend und wirft kein gutes Licht auf die Polizei als Institution und den Reifegrad ihrer Anwärter und jener die gerade die Matura bestanden haben. Vielfach schaffen Anwärter den Eignungstest noch nicht einmal - für die Kommissarslaufbahn. Defizite in Deutsch und Geschichte werden ihnen attetstiert. Das heißt nicht, dass es keine hellen Köpfe unter den Polizisten gibt. Nur gibt es derer zu wenig.

Neulich wussten junge Beamte noch nicht einmal, in welche Richtung ein Hakenkreuz zu malen ist oder dass es nicht mehr Volks- sondern Staatszugehörigkeit heißt. Oder, dass man, auch, wenn man jung und kurze schwarze Haare und dunkle Augen hat und etwa eine alte Dame anzeigt, nicht unbedingt unrecht haben muss. Schnell wird man als "linker Spinner" dargestellt, wenn man die Rechtsgrundlage für eine polizeiliche Maßnahme hinterfragt. Personenkontrollen treffen immer noch häufiger Migranten als "Bio-Deutsche". Das schafft Unverständnis und beweist, dass die Polizei ein Darstellungsproblem hat. Und von Vorurteile nicht frei machen können. Racial Profiling schon mal gehört?

Verständnis für Polizisten

Natürlich kämpfen die Polizisten auf den Straßen der Republik einen schwierigen, mancherorts aussichtslosen Kampf, der Ton wird rauer, Übergriffe auf Polizisten und andere Ordnungshüter nehmen zu, wenn auch insgesamt die Kriminalität in Deutschland leicht rückläufig ist. Dies alles ist belastend und wird gefühlt von Tag zu Tag belastender für die Polizisten, obwohl sie eigentlich eigens dafür gut ausgebildet sein sollten. Hier zeigt sich aber auch, dass manche, oder gar viele?, Polizisten schlicht untauglich sind für diesen Dienst, da sie den Aufgaben nicht gewachsen zu sein scheinen und sich nur über ihre Uniform, manche nur über die Größe ihrer Dienstwaffe, bestätigt fühlen. Sie haben ihre Autorität - oder ist es gar ein autoritäres Gehabe - nur deshalb, weil äußere Symbole es ihnen rechtlich zuweisen. Man fühlt sich besonders stark in der Uniform, wenn man zu mehreren ist, exponentiert sich dies noch (vgl. Sozialpsychologie und Gruppenverhalten). Bei der Kontrolle etwa eines arabisch stämmigen Kleinkriminellen zeigt man gerne einmal seine temporäre Macht und dreht kurzerhand das Machogetue um.

Einem guten Polizisten merkt man indes an, dass er auch ohne Uniform ernsthaft und eine Autorität ist. Das Problem: Nicht die aller Hellsten gehen zur Polizei. Nicht alle entwickeln eine natürliche Autorität, wie etwa der gute, also souveräne und authentische, Polizist, der auch noch ein wenig Allgemeinbildung in sich trägt. Zwischen dem Reifegrad einer Person und dessen Auftreten gibt es definitiv einen Zusammenhang - auch bei Polizisten. Wie war nochmals der Witz mit dem Lehrer und seinem früheren Hauptschüler, der Polizist werden musste? Klingt hart, ein gewisser Wahrheitsgehalt scheint aber dabei zu sein, nicht wahr?

Klar braucht es Härte gegenüber Kriminellen, klare Ansagen, mitunter Sanktionsandrohung, eine Selbstbehauptung gegenüber Bürgen, Kriminellen und Straftätern - natürlich. Das ist unabdingbar für diesen Beruf. Polizeidienst ist halt kein Ponyhof. Die Polizisten vertreten das Recht, setzen es durch, ohne dabei aber rechts zu sein. Auch das lehrt uns unsere Vergangenheit, wo Polizei schon einmal von Politik und Staatsapparat vereinnahmt (gleichgeschaltet) worden ist.

Konflikte wollen deeskaliert werden

Viele Polizisten schaffen es zudem nicht, Konflikte mit gewissen Bevölkerungsgruppen, wie etwa Migranten, Muslimen, jungen Männern oder Demonstranten, gezielt zu lösen. Auch das ist eine Einstellungssache und hat etwas mit dem Selbstbildnis (Staatsmacht statt Bürgerfreund) zu tun. Oft wird eskaliert anstatt zu deeskalieren. Auch das ist empirisch bewiesen. Und, je länger man bei der Polizei dabei ist, desto anfälliger wird man für rechte Tendenzen, besagt eine andere Studie. Vielleicht auch, weil man mit diesen, wie es oft heißt "problembelasteten" Gruppen (jung, männlich, muslimisch) überproportional oft in Konflikt gerät und "so seine Erfahrungen" sammelt.

Man fühlt sich insbesondere aber diesen erwähnten Gruppen überlegen. Das zeigen auch die privaten Chatverläufe der nun suspendierten Polizisten aus NRW. Und so tritt man auch auf und behandelt diese. Überheblich, anmaßend und nicht selten diffamierend. Kurz: nicht rechts(s)chaffend. Es liegt hierbei nicht nur ein Kommunikationskonflikt zwischen der Polizei und vor allem diesen Gruppen vor, sondern auch insbesondere ein psychologisches Problem. Wie können es Polizisten künftig besser schaffen, nicht menschenverachtende Fotos zu posten oder Hitler-Fots zu versenden, auch, wenn sie gerade wieder von einem Einsatz in einem Migranten-Bezirk zurückkehren oder sehen, dass all ihre Bemühungen, einen Kriminellen Ding fest gemacht zu haben und dabei zum Teil Kopf und Kragen riskiert zu haben, für die Katz waren. Wenn es Gerichte gibt, die jene Kriminelle freisprechen, sie mit niedrigen Auflagen "entlassen" oder gar das Strafmaß viel zu milde ausfällt.

Schonungslose Aufarbeitung

Es hilft daher einerseits nur eine schonungslose Aufarbeitung, mittels einer wissenschaftlichen Studie zu Rassismus in der Polizei. Die Polizei ist nun nach all den Skandalen der vergangenen Zeit in der Bringschuld. Sie muss ihren Korpsgeist zurückfahren - wie das allerdings gehen soll, soll mir mal einer sagen -, alte Strukturen müssen aufgebrochen werden, die Bürger für sich zurückgewonnen werden. Denn die Polizei ist für den Bürger da - als Freund und Helfer, wie es einst hieß.

Anderseits muss an der Fort- und Weiterbildung der Polizisten dringend gearbeitet werden. Mehr Angebote geschaffen werden. Etwa psychosoziale Dienste angeboten werden, mehr Seelsorge und Sozialarbeit. Viel häufiger müssen Psychologen mit ins Boot genommen werden, um über Einsätze zu sprechen und so womöglich falschen und gefährlichen Schlüssen, die sich in rechte Gedanken verfestigen können, entgegenzutreten und im Keime zu ersticken. Das geht nur durch ein Mehr an (interner) Kommunikation, differenzierter Schilderungen von Einsätzen, Strukturen und Vorgesetztenverhalten, Reflexion und einem Blick auf die sogenannte Meta-Ebene, der von vielen Polizisten noch explizit erlernt werden muss. Etwa: Warum handelt das Gegenüber so, wenn es "die" Polizei sieht? Sicher ist und das ist deutlich geworden bei den Skandalen rund um die Polizei in Deutschland: Polizisten haben ein großes Bedürfnis nach Kommunikation. Das sollte ihnen unbedingt zu Teil werden. Schließlich kann nur sprechenden Menschen geholfen werden.

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