Warum Gambias Herrscher an Rückhalt verliert

Unruhen. Was derzeit im kleinsten Land Kontinentalafrikas passiert, ist charakteristisch für viele politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Das wissen wir aus Gambia.

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Was derzeit im kleinsten Land Kontinentalafrikas passiert, ist charakteristisch für viele politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Zum einen beschreibt es den endlich einsetztenden Transformationsprozess zu mehr Demokratie in einem bisweilen autokratischen regierten Gambia. Zum anderen zeigt es, dass irgendwann zwangsläufig Schluss ist mit Bevormundung, Überwachung und Menschenrechtsverletzungen. Die Bevölkerung hat irgendwann genug davon. Einige Völker früher, andere später. Aber sicher ist: Irgendwann ist Schluss mit diktatorischen und autokratischen Regimen, Regenten und Regierungen. Zu groß ist die Verlockung nach Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit. Vor allem dann, wenn westliche Touristen diese vorleben.

Dazu passt noch die allgemein gültige Floskel, dass jeder sich der Nächste ist. Wer heute, ganz aktuell in die letzte Diktatur Westafrikas (die Militärjunta in Mauretanien einmal ausgenommen) schaut, erlebt typische Mechanismen, die man aus der Geschichte gut kennt.

Schon sieben Minister abgetreten

Die Vertrauten und Minister des sich krampfhaft im Amt haltenden Präsidenten Jammeh, der seit 22 Jahren in Gambia herrscht, kapseln sich allmählich, aber sicher, von ihrem Ex-Chef ab. Sieben Minister traten bereits zurück, jetzt sogar seine Stellvertreterin Isatou Njie Saidy und flohen aus dem ins Chaos zu versinken drohenden Kleinstaat. Jeder versucht seine eigene Haut zu retten. Loyalität und Rückendeckung für den früherern Machthaber scheinen passé. Alte Freundschaften zählen nichts mehr. Jeder will, wenn schon politisch nicht mehr möglich, aber wenigstens sonst, zu überleben. Viele der Minister und vor allem dem früheren Diktator Jammeh drohen Strafverfolgung und lange, lebenslängliche Haftstrafen.

Daher fliehen viele in den benachbarten Senegal, der das Staatsgebiet Gambias bis auf die Küste komplett umschlossen hat und der politisch Angeklagte nicht nach Gambia ausliefert. Das ganze zeigt einmal mehr, wie schnelllebig und heulerisch politisches Handeln und Strukturen sind. Der Schritt der Minister und Vetreter Jammehs, ihm und dem Land den Rücken zu kehren, ist verständlich und richtig. Wer würde da anders handeln?

Dennoch zeigt es deutlich, wie wenig Rückrat die Unterstützer von Ditaktoren, Autokraten un Despoten haben. Jammehs Minister hätten sich in tiefer Verbundenheit und Unterstützung weiter an die Seite ihres Chefs stellen können. Taten sie aber nicht, da sie ihre Haut, Leben sowie ihre Zukunft und die ihrer Familien und Kinder retten wollten. So lange das System funktionierte, so lange begehrte kein offiziel und öffentlich Minister auf (war ja auch schwer, denn Jammeh hat alle Medien kontrolliert- auch typisch diktatorisch Überhaupt ist das, was in derzeitin Gambia abläuft, ein Mustebeispiel für eine zerbrechende Diktatur - Achtung vor einem weiteren "faile state"). Wäre ich an Jammehs Stelle, wäre ich sichtlich enttäuscht von meinen Ministern, die ich schließlich ins Kabinett berufen habe. Sie müssten mir dankbar und verbunden sein - über meine Amtszeit hinaus. Auch, wenn ich ein Diktator wäre. Denn die Minister wussten ja schließlich vorher oder während all der ganzen Jahre, was ich für ein mieser Hund bin. Jetzt mir nicht die Stange zu halten, ist bitter.

Parellle zum arabischen Frühling

Ähnliches war bereits in Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien während der Jasmin-Rerevolution, später dann im sogenannten arabischen Frühling zu beobachten. Oder in vielen Staaten, wo langjährige, nicht demokratische oder pseudo-legitimierte Systeme an der Macht sind.

Wenn diese anfangen zu erodieren, dann rette sich, wer kann. Lieber ein schneller und abrupter Abgang von Bord der Politik, scheint die Divise zu lauten. Ist dieses Verhalten menschlich?

Ja, klar, dieses Verhalten ist zwar rückratslos, aber zutiefst menschlich. Dabei vergessen wir gerne, wie und durch wen wir in Positionen kamen. Dankbarkeit ist ein Fremdwort für viele. Schon Jesus wurde von seinen Jüngern verraten, obwohl er sie schützte und förderte. Menschen handeln nun einmal egoistisch, opportunistisch und interessengeleitet. Denn selbst der Altruist handelt egoistisch, wenn er Menschen hilft. Denn er erwartet immer etwas zurück, auch, wenn er dies nicht explizit ausdrückt. Warum soll er sonst Menschen helfen?

Nach Marokko ins Exil

Zurück zu Jammehs Gambia, das einer Militärinvention bevorsteht, falls die Verhandlungslösung – etwa die Bildung einer Einheitsregierung mit Wahlsieger Barrow oder Jammehs Weggang in ein komfortables Exil (Marokko scheint möglich)– scheitert. Beobachter hoffen, dass die glaubhafte Androhung eines militärischen Eingreifens durch die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas), begleitet von einer Truppenmobilisierung, Jammeh noch zum Einlenken bringen könnte.

Der Autor bereiste 2015 Gambia, lebte im Senegal und ist Journalist bei der größten Regionalzeitung Deutschlands.

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