"Tren Maya": Die Deutsche Bahn beteiligt sich am Ökozid in Mexiko

Ein blutiges Geschäft Die Deutsche Bahn ist an einem Megaprojekt in Mexiko beteiligt. Dessen Tragweite hat für Menschen und Ökosysteme fatale Auswirkungen. Eine territoriale Neuordnung Südmexikos zeichnet sich ab. Gewalt und Militarisierung nehmen zu.

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Interview zum „Tren Maya“ Projekt mit Victor H. von der internationalen Recherche AG.

Die Deutsche Bahn ist an einem Megaprojekt in Mexiko beteiligt, dessen Tragweite für die dort lebenden Menschen und Ökosysteme fatale Auswirkungen hat. Eine territoriale Neuordnung von Südmexiko zeichnet sich ab. Kriminalisierung, Verfolgung, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Ermordung von Aktivist*innen und Betroffenen sind die rationale Realität in Mexiko.

Ich habe darüber mit Victor, teil einer internationalen Recherche AG, gesprochen, um die Ausmaße der Vorgänge für Menschen und Natur verstehen zu können und zugleich die Beteiligung der Deutschen Bahn zu thematisieren. Victor ist aktuell vor Ort und hat eine aktuellen Einblick in die Vorgänge.

Tino: Die Deutsche Bahn ist Teil eines Bauprojektes in Mexiko mit dem Namen „Tren Maya“/“Maya Zug“. Um was genau handelt es sich bei diesem Projekt?

Victor: Die Megaprojekte im Südosten Mexikos tragen Namen, die gezielt verwirren sollen. Der „Maya Zug“ ist nämlich viel mehr als ein Zug, und mit den „Maya“ hat er wenig zu tun. Auf 1.500 Kilometern soll der „Zug“ fünf Bundesstaaten auf der Yucatán Halbinsel miteinander verbinden. In diesem Zusammenhang wird er meist als Tourismusprojekt beworben – die archäologischen Stätten der Riveira Maya sollen miteinander verbunden werden, Hotelkomplexe entstehen in den Naturschutzgebieten und an der Karibikküste.

In Wirklichkeit bildet der „Maya“ Zug jedoch nur einen Teil einer großangelegten „territorialen Neuordnung“ Südmexikos: Er ist direkt mit dem „interozeanischen Korridor“ in der Landenge von Tehuantepec verbunden. Hier liegen die beiden Ozeane so eng beieinander, dass seit Langem eine Art „zweiter Panama-Kanal“ auf Schienen geplant wird. Die großen Häfen im Westen und Osten sollen miteinander verbunden werden, was den Im- und Export aus und in die USA, China und Europa erleichtern würde. Die beiden „Züge“, die durch neue Autobahnen und Flughäfen begleitet werden, öffnen so eine ganze Region für die Interessen großer Konzerne: Riesige Industriekorridore entstehen entlang der Gleise, mit Autofabriken, Öl- und Gasraffinerien, Massentierhaltungsanlagen, Monokulturen etwa von Soja und Reis, und neuen Komplexen für den Massentourismus. Neben internationalen Unternehmen profitieren zwei weitere Akteure: Das Militär und die Organisierte Kriminalität. Die mexikanischen Streitkräfte bauen nicht nur Streckenabschnitte des Tren „Maya“, sie verwalten das gesamte Projekt und erhalten – ohne eine zwischengeschaltete Kontrollinstanz – jegliche Gewinne aus dem Betrieb des „Maya-Zugs“. Die Marine hat derweil die Kontrolle über die Häfen und Flughäfen übernommen und ist besonders im Korridor von Tehuantepec präsent. Aufgrund von Verwicklung in Korruption und Menschenrechtsverletzung ist die neue Macht der Armee im Zusammenhang dieser Projekte zutiefst besorgniserregend: Aktuell gehen Soldaten immer wieder gegen friedliche Proteste der lokalen Bevölkerung vor, die gegen die Zerstörung der Umwelt und ihrer Lebensrundlagen, Vertreibungen und die Militarisierung selbst protestiert. Gleichzeitig entstehen neben den Fabriken und Raffinerien immer mehr Militärbasen – denn die Region ist nicht nur ein Industrie-, sondern vor allem auch ein Migrationskorridor: Menschen aus Süd-, Mittelamerika und der Karibik versuchen verzweifelt, in Richtung USA zu fliehen. Neu geschaffene Militäreinheiten halten die Geflüchteten nun bereits in Südmexiko auf. Stellen wir uns ein „Zugprojekt“ des Militärs vor, welches von Küste zu Küste verläuft, wird schnell ersichtlich: Für viele Menschen bedeutet das „Zugprojekt“ vor allem eines: Eine Mauer. Für andere hingegen ist es eine „Öffnung“: Infrastruktur, Anbindung an den Weltmarkt über große Häfen, Tourismus und Urbanisierung haben das Interesse der mexikanischen Kartelle geweckt, die sich seit kurzem in Südmexiko ausbreiten und eine Gewaltspirale lostreten: Auf einmal geht es um die Kontrolle von Drogen-, Menschen-, und Waffenhandel in einer Region, die bisher von diesen Problemen in weiten Teilen verschont geblieben ist. Die Leidtragenden sind die Gemeinschaften vor Ort – vor allem die Indigenen, nach denen der „Maya Zug“ zynischerweise benannt wurde.

Hier findest du die eine Karte dazu: Kollektiv Geo-Communes (Mexiko), Recherche AG (Deutschland)

Wer ist neben der DB noch beteiligt?

Die Deutsche Bahn ist über ihr Tochterunternehmen „DB Consulting & Engineering“ am Tren „Maya“ beteiligt. Erst durch parlamentarische Anfragen konnte dies öffentlich gemacht werden. Bis heute weigert sich die DB, genaue Angaben zur ihren Aufgaben vor Ort zu machen – doch noch bis Ende 2023 erhält der Konzern über 8 Millionen Euro für die Mitarbeit am „Maya Zug“. Weniger Geld fließt zu den spanischen Bahnunternehmen Renfe und Ineco, die mit der DB ein Konsortium bilden. Andere europäische Unternehmen erhalten hingegen Milliarden: Alstom aus Frankreich baut die Züge, Unternehmen aus China, den USA oder Kanada sind ebenfalls beteiligt. Neu im Rennen ist auch Elon Musk: Tesla investiert zunehmend in Mexiko, und für den Tren „Maya“ soll sein Unternehmen Tunnel bauen, die von den Flughäfen direkt zu den Stationen des „Maya Zuges“ führen. Wichtig ist jedoch vor allem die Frage, wer von den Projekten neben den Gleisen profitiert: Kanadische Minenunternehmen suchen in der Region vermehrt nach Gold, Rüstungskonzerne aus aller Welt, auch aus Deutschland, streichen die Gewinne aus der Militarisierung ein, und in Hinblick auf große Gasvorkommen in den betroffenen Gebieten reiste auch Bundespräsident Steinmeier in diesem Jahr nach Mexiko, um eine neue Flüssiggaskooperation zu bewerben…

Wer hat entschieden, dass die DB sich daran beteiligt und wer ist autorisiert diese Zusammenarbeit zu beenden?

Da sich die DB in Staatsbesitz befindet, ist die Bundesregierung weisungsgebunden, was die Beteiligung des Unternehmens auch im Ausland angeht. Erst im vergangenen Jahr ist in Deutschland das Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der UN in Kraft getreten, welches die Rechte der Indigenen Völker festschreibt. Dazu gehört die Konsultierung der Gemeinden, die im Voraus, in ihrer Sprache, ihrer Kultur angemessen und mit allen Informationen über das Projekt befragt werden müssen, ob sie ein solches in ihrem Territorium dulden. Die mexikanische Regierung rühmt sich zwar, diese „Consultas“ durchgeführt zu haben, doch selbst große UN-Institutionen bezeichnen diese als Farce: Es wurden längst nicht alle Betroffenen befragt, fast nie in ihrer Sprache, und außerdem erst, als der „Maya Zug“ bereits beschlossen war. Überdies mehren sich Berichte von Stimmfälschungen und Bedrohungen. Spätestens seit dem Inkrafttreten des ILO-169 Abkommens wäre das Bundesverkehrsministerium dazu verpflichtet, die DB zum Austritt aus dem Projekt zu bewegen. Dass dies bis heute ausbleibt, ist ein starkes Zeichen gegen Klimaschutz und Menschenrechte, was beim aktuellen Minister Wissing jedoch kaum verwundert. (Seltsam auch, dass die „Klimaschützerin“ DB den aktuell stattfindenden Bundesparteitag der FDP mit sponsert…)

Auch das Außenministerium übt sich in Schweigen – tatsächlich scheint Deutschland das zerstörerische Megaprojekt zu befürworten: Dem Vertragsschluss der DB war ein von der deutschen Botschaft in Mexiko organisiertes Treffen zwischen deutschen Konzernen wie der KfW-Entwicklungsbank, dem TÜV und der DB mit Vertretern der mexikanischen Tourismusbehörde FONATUR vorangegangen. Kurz vor Baubeginn war die deutsche GIZ in der Region aktiv und führte Projekte zur „Nachhaltigen Nutzung der Selva Maya“ durch – deren Berichte dienen nun den mexikanischen Behörden zur Rechtfertigung des „Maya Zuges“. Besonders fragwürdig sind auch die offensichtlichen Falschaussagen der Bundesregierung und der DB auf weitere parlamentarische Anfragen: Nach einer Konfrontation mit der Umweltzerstörung und den Menschenrechtsverletzungen im Zuge des Tren „Maya“ Projekts verwies man uns darauf, dass keine Probleme erkennbar seien, schließlich wären zahlreiche UN-Institutionen wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte „eng eingebunden“. Doch ausgerechnet das Hochkommissariat kritisiert den „Maya Zug“ – u.a. aufgrund der mangelhaften Konsultationen der indigenen Gemeinden.

Du bist aktuell in Mexiko und beteiligst dich an der Karawane „El Sur Resiste“ , die im April 2023 gestartet ist. Was genau tust du bzw. ihr dort?

Ende April findet in den betroffenen Gebieten die Karawane „El Sur Resiste“ („Der Süden widersteht“) statt. Dazu aufgerufen haben viele indigenen Gruppierungen wie der Nationale Kongress der Indigenen (CNI), denen sich NGOs, Umweltschützer*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, alternative Presse- und Medienschaffende angeschlossen haben. Das Ziel der Caravana, die Anfang Mai in einem großen internationalen Treffen verschiedener Widerstände gipfelt, besteht vor allem aus zwei Aspekten: Zum einen sollen sich die verschiedenen Gegner*innen gegen die zahlreichen Projekte miteinander austauschen, vernetzen und verbinden. Viele Kämpfe sind isoliert und leiden unter Diffamierung und Repression. Es geht um einen Zusammenschluss all jener, die unter der „territorialen Neuordnung“ der Region leiden.

Gleichzeitig soll vor allem Sichtbarkeit über die Probleme der Megaprojekte hergestellt werden: Die Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörungen, Militärpräsenz und vor allem die Bedrohungen und Angriffe auf Aktivist*innen werden ungehindert voranschreiten, wenn sie weiter unsichtbar bleiben. Nationale und internationale Solidarität mit dem Süden der widersteht, ist dringend erforderlich. Dies zeigen vor allem die aktuellen Entwicklungen: Nachdem nach vielen Anläufen juristische Baustopps gegen Streckenabschnitte erwirkt worden sind, erklärte man den Tren „Maya“ durch ein neues Dekret zum „Projekt nationaler Sicherheit“. Seitdem gehen die Arbeiten ungehindert weiter – mit dem Schutz von über 5000 Soldaten allein zur Bewachung eines einzigen Abschnitts des „Maya Zuges“, 2000 Kameras, Militärhubschraubern und Drohnen. Blockaden werden angegriffen, und Gegner des Projekts erhalten Morddrohungen.

Welche Auswirkungen hat das Projekt auf die Natur/Ökosysteme in Mexiko.

Die Neukonfigurierung Südmexikos muss als drohender Ökozid gewertet werden. Die beiden Infrastrukturprojekte zerstören die letzten großen Regenwälder der Region, die Mangroven, die Korallenriffe und das sauberste Süßwasservorkommen des Landes: In unterirdischen Höhlen- und Flusssystemen, den sogenannten Cenotes, die jeweils eigene einzigartige Ökosysteme beherbergen, wird inmitten der stärksten Dürrejahre seit Beginn der Aufzeichnungen das Wasser kontaminiert, auf welches vor allem die indigenen Kleinbäuer*innen in der Region angewiesen sind. Während 70 Prozent des Landes von extremer Trockenheit betroffen sind, bleibt Wasser nur für die Pools der Touristen und Monokulturen.

Unter der Erde verlaufen die natürlichen Tunnel vom Wald bis an die Küste – und liefern Nährstoffe für die Mangroven, welche wiederum Nährstoffe für die Korallenriffe generieren. Ein hochkomplexer Kreislauf, der nicht nur durch die Schneisen für den Zug gefährdet wird, sondern vor allem durch das, was er mit sich bringt: Fabriken und Tourismus. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten werden in ihrer Existenz bedroht, so etwa der Jaguar, an dem sich dreisterweise das Design des Alstom-Zuges orientiert. In den vergangenen Tagen wird mitten im Regenwald Dynamit eingesetzt, um die Schneise zu erweitern und die Höhlen zu sprengen. Arten, die sich hier in Millionen Jahren entwickelten, verschwinden in einem Wimpernschlag. Zudem ist bei den meisten Cenotes überhaupt nicht bekannt, wo genau sie verlaufen – es herrscht ständige Einsturzgefahr für die ausgebeuteten Arbeiter*innen auf den schweren Baggern, genauso wie für den Zug, sollte er einmal fahren.

Dass es bei dem Projekt um mehr als die Zugschneise geht, zeigen die folgenden Zahlen, die erst in dieser Woche von Wissenschaftler*innen der UNAM (Nationale Autonome Universität Mexiko) veröffentlicht worden sind, nachdem ihre Forschung über vier Jahre hinweg zurückgehalten und zensiert wurde: Seit Baubeginn des „Maya Zuges“ 2018 wurden auf der Yucatán Halbinsel über 237.000 Hektar Wald gerodet. Gleichzeitig breiten sich Monokulturen aus: Die Anbaufläche von Soja stieg seit 2004 von 8000 auf 60.000 Hektar, jene von Zuckerrohr von 30.000 auf 55.000 Hektar, und die der afrikanischen Ölpalme, die die Selva Maya bereits in Guatemala drastisch verdrängt, von 5000 auf 25.000 Hektar. Das sind die Arten, die von den über 405 Baumarten der Selva Maya, von denen viele endemisch sind, übrig bleiben werden. Neben den Monokulturen entsteht nicht nur im „interozeanischen Korridor“ mehr als Schieneninfrastruktur: Der „Tren Maya“ wird von 5 Flughäfen, 8 Häfen, 4 thermoelektrischen Anlagen, einem Gasodukt, 4 Wärmekraftanlagen, Soloaranlagen und Windparks begleitet. Die „erneuerbare“ Energie fließt nicht zu jenen Gemeinden, die dafür ihr Land verlieren, sondern in die Fabriken und Touristen-Zentren.

Was berichten die Menschen vor Ort?

Der aktuell regierende Präsident Lopez Obrador (AMLO) genießt bei vielen Menschen in Mexiko große Beliebtheit. Nach jahrzehntelanger Parteidiktatur gewann er nach mehreren Anläufen als „linker“ Hoffnungsträger die vergangenen Wahlen. Viele erwarteten eine bessere Sozial- und Umweltpolitik, die Respektierung der indigenen Gemeinschaften und vor allem den Rückgang der Kartell- und Militärgewalt. Stattdessen schuf AMLO neue Militäreinheiten wie die Guardia Nacional, seine Partei MORENA ist in Korruptionsfälle mit den Kartellen verwickelt, und Großprojekte wie Minen nehmen landesweit zu. Viele der präsidialen Vorhaben, darunter der „Maya“ Zug und der „interozeanischen Korridor“ wurden unter anderen Namen bereits von den rechtskonservativen Vorgängern AMLOs implementiert, doch paradoxerweise waren sie noch nie so weit vorangeschritten wie heute. Grund dafür ist sicherlich ein Diskurswechsel: Die Megaprojekte werden nicht mehr „gegen“, sondern „für“ die indigenen Gemeinden vor Ort errichtet, Konsultierungen werden nicht mehr abgelehnt, sondern vorgetäuscht, und das Militär „unterstützt“ Infrastrukturvorhaben, statt Krieg zu führen. Es sind Versprechen, die nicht eingehalten werden, aber den Widerstand erschweren.

Viele „progressive Kräfte“, die sich etwa stets mit dem CNI solidarisierten, unterstützen nun die Projekte, die sie zuvor verurteilten. Vor Ort merken derweil immer mehr Menschen, dass es nicht um ihre, sondern die Interessen wohlhabender Hoteliers, Militärs und Konzerne geht: Viele, die sich neue Jobs erhofften, gehen leer aus oder arbeiten für wenig Lohn auf den Baustellen. Einige erhalten überhaupt kein Geld, in Tulum sind Arbeitskräfte „verschwunden“. Nicht selten werden Migrant*innen ausgebeutet, die gewissermaßen an ihrer eigenen Mauer mitbauen. Zentral für die lokale Bevölkerung ist vor allem die Landfrage: Einige stimmten einer Umsiedlung zu, da man ihnen versprach, neue Häuser zu bauen – auf diese warten sie bis heute. Andere werden vertrieben, und viele erleiden Repressionen. Menschen, die bisher von Subsistenzlandwirtschaft lebten, werden in einem brutalen Prozess zu schlecht bezahlten Arbeitern gemacht: Die „Maya“, nach denen der Zug benannt ist, müssen ihre Kultur aufgeben, die den Touristen tot in den Pyramiden präsentiert wird. In Zukunft werden sie ihren Lebensunterhalt mit dem Putzen von Toiletten der Hotelanlagen, als Bedienung in den neuen, schicken Restaurants oder als Arbeiter*innen in den Fabriken verdienen müssen – es ist Kolonialismus.

Was können wir hier in Deutschland tun, damit dieses Projekt gestoppt wird? Was ist deine Forderung bzw. was sind die Forderungen der Menschen vor Ort an die Deutsche Bahn?

Am wichtigsten ist sicherlich die Vernetzung der Widerstände von unten. Wir können und müssen viel voneinander lernen, und uns gemeinsam gegen die für die Zerstörung verantwortlichen Regierungen und Unternehmen organisieren. In Deutschland gehört dazu vor allem auch das Aufzeigen der Greenwashing-Lügen: Es gibt keinen grünen Kapitalismus, und Klimaschutz ist eben nicht "einfach", wie es die DB propagiert, sondern erfordert einen Systemwechsel. Die Deutsche Bahn ist dafür nur ein Beispiel: Während sich das Unternehmen in Deutschland als "Deutschlands schnellster Klimaschützer" präsentiert, treibt der in über 100 Ländern und längst nicht nur in der Bahninfrastruktur aktive Konzern einen mörderischen Kolonialismus voran - nicht nur in Mexiko: Der "grüne" Strom der Züge stammt in Wirklichkeit auch 2023 noch aus Kraftwerken wie Datteln IV, in denen sogenannte "Blut-Kohle“, etwa aus indigenen Territorien Kolumbiens verbrannt wird.

Ein neues Milliardenprojekt bahnt sich aktuell in Brasilien an: Inmitten eines Naturschutzgebiets im Municipio Alcântara beteiligt sich die DB am Bau eines riesigen Hafens einschließlich Schienennetz, um tonnenweise Erze, Soja und Wasserstoff abzutransportieren. So erklärt sich auch der Besuch von Kanzler Scholz oder der Minister Habeck und Özdemir in dem südamerikanischen Land. Die deutsche Botschaft forderte zuvor Informationen über das Projekt an, und die deutsche Regierung und Unternehmen sprechen seitdem neben ökonomischen Potential von "Sorgsamkeit in sozialen und Umweltbelangen". Diese sehen in Wirklichkeit so aus: Zerstörung unberührter Ökosysteme und Angriffe der brasilianischen Luftwaffe auf die lokalen indigenen Gemeinschaften der Quilombolas. Es ist dasselbe Muster wie beim Tren "Maya", es sind dieselben Akteure: Neben der DB zeigen die deutsche KfW Entwicklungsbank und die GIZ ihr Interesse.

Inmitten der globalen Klimakatastrophe und des enormen Artensterbens treiben die multinationalen Konzerne mit Hilfe auch von sich selbst als "links", "grün", oder "fortschrittlich" bezeichnenden Regierungen unaufhaltsam die Ausbeutung der letzten intakten Ökosysteme und die Vernichtung ihrer besten Beschützer - der indigenen Gemeinden - voran. Der Widerstand dagegen muss sich nicht als die marxsche "Lokomotive" der Revolution verstehen, sondern, nach Walter Benjamin, als "Notbremse".

Gibt es abschließend noch etwas, dass du den Leser:Innen noch mitteilen möchtest?

Ja, zwei Sachen würde ich gerne noch anfügen.

Im Industriegürtel des „interozeanischen Korridors" beteiligen sich auch deutsche Unternehmen an der Öl- und Gasförderung, so etwa die Oiltank GmbH mit Sitz in Hamburg. Der Konzern Europipe mit Sitz in Salzgitter unterstützt die wirtschaftliche Ausbeutung der Region durch das bereitstellen von Rohren und Pipelines. Auch aus anderen europäischen Ländern beteiligen sich Unternehmen, etwa aus Spanien und Holland. Zudem investieren chinesische und US-amerikanische Konzerne.

Die Umweltzerstörung und die tödlichen Attacken auf Landrechtsverteidiger*innen, die Verfolgungen und das „Verschwindenlassen" von Gegner*innen der Projekte gelten in Deutschland zynischerweise als Strategie zur Einhaltung der eigenen „Klimaziele": In einer parlamentarischen Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneten der Linkspartei heißt es: „Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens zählt Mexiko für die Bundesrepublik Deutschland als ein globaler `Schlüsselpartner´ hinsichtlich der Umsetzung klimafreundlicher Entwicklungsstrategien. So zählte Mexiko im Jahr 2017 zu einer der `zehn größten Empfänger deutscher Klimafinanzierungen´. Ein Großteil dieser Investitionen wird hauptsächlich durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH an staatliche Organisationen und Ministerien in Mexiko übermittelt. Aktuell finanziert die GIZ mit einem Volumen von 19 Mio. Euro Projekte in Mexiko, die in den Themenbereich `erneuerbare Energie´ fallen. Auch private deutsche Unternehmen, wie etwa Siemens, investieren in Mexikos Windenergie. Dabei steht gerade Siemens unter Verdacht, durch technische Unterstützung der Windparkanlagen in Mexiko Menschenrechtsverletzungen mitverschuldet zu haben." Es ist ein perfides Vorgehen: Im Zuge einer mexikanisch-deutschen Energiepartnerschaft arbeitet die deutsche Regierung direkt mit mexikanischen Banken, Unternehmen und Institutionen, welche nachweislich für schwere Menschenrechtsverletzungen mitverantwortlich sind. Durch Windparkanlagen in Mexiko beispielsweise sollen die deutschen Klimaziele eingehalten werden, doch auch diese Anlagen vertreiben indigene Gemeinden, die am Ende nicht einmal den generierten Strom nutzen können: Dieser fließt in die großen Fabriken der neuen Industriekorridore, etwa zur Herstellung von Billigweißbrot oder Textilien. Wo indigene Traditionen der Webkunst Stoffe mit Leben erfüllen, werden bald unter Menschen- und Umwelt unwürdigen Bedingungen industriell hergestellte „Trachten" mit Billigstoffen aus Asien an die Tourist*innen verkauft. Gemeinsam zerstören diese Großprojekte einzigartige Ökosysteme, die zuvor von den indigenen Bewohner*innen des Territoriums geschützt worden sind.

-ENDE-

Zur Person: Victor H., geb. 1999, studiert Geschichts- und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Weiter Infos

Hier gelangst du zur Seite der internationalen Recherche AG: https://deinebahn.com/2022/06/19/recherche-tren-maya-made-in-germany/

Spendenaufruf der Karawane: https://www.ya-basta-netz.org/spendenaufruf/

Im Buch „Ökozid – Wie ein Gesetz schwere Umweltschäden bestrafen und Lebensgrundlagen besser schützen kann“, kannst du die Ergebnisse der aktuellen Recherchen der internationalen Recherche Ag erfahren. Hier geht’s zum Crowdfunding des Projekts: https://www.startnext.com/oekozid-sammelband

Informationen über den Tren Maya im ya basta Netzwerk: https://www.ya-basta-netz.org/tren-maya-made-in-germany/

Zu den Zapatistas: https://www.cafe-libertad.de/zapatismus

Social Media Kanäle der internationalen Recherche AG

Instagram: https://www.instagram.com/trenmayastoppen/
Twitter: https://twitter.com/TrenMayaStoppen
Mastodon: https://mastodon.social/@trenmayastoppen

YouTube-Kanal: https://www.youtube.com/@rechercheag8287

Videomaterial:

Deutsche Bahn : Steigen Sie aus dem Maya-Zug-Projekt aus!

Umweltskandal in Mexiko? Zug durch den Regenwald

Der Tren "Maya", die Deutsche Bahn und das ILO-169-Abkommen in Deutschland

Deutsche Bahn raus aus Mexiko! Tren Maya Stoppen! Indigener Nationalkongress Mexiko CNI in Berlin

Tren Maya: 1500km Schienennetz durch den Regenwald | Zervakis & Opdenhövel. Live.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tino Pfaff

Umweltaktivist, Campaigner, Sozialarbeiter/-pädagoge, Student MA Gesellschaftstheorie

Tino Pfaff

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