Grüne, wir müssen handeln! Nicht nur reden.

Bürgerräte als Vorwand? Eine Partei zwischen Kompromissen, Machtanspruch und der Dringlichkeit um die Klima- und ökologische Katastrophe. Es fragt sich, wo dabei die Gesellschaft bleibt.

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Ein Beitrag von Rina Wahls und Tino Pfaff

(Wer nicht auf die Grünen warten will, kann jetzt unterschreiben: https://klima-mitbestimmung.jetzt/)

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Während des letzten Wochenendes wurde auf dem digitalen Parteitag der Grünen einiges beschlossen - manches neu, manches alt und manches längst überfällig. Zwei vermeintlich neue Ziele fanden Einzug in das Grundsatzprogramm der Partei. So wollen die Grünen ihre zukünftige Politik darauf ausrichten die Erderhitzung auf längst im Bundestag beschlossene 1,5°C zu begrenzen. Unterstützen sollen die Regierung in Zukunft geloste Bürger:Innenräte. Diese Bürger:Innenräte sollen laut den Grünen lediglich unverbindliche Empfehlungen an die Regierung ausarbeiten.

Fragen nach Wirksamkeit und Symbolpolitik sind nicht unbedingt abwegig, wenn man sich die Formulierungen der Grünen über die Rolle von Bürger:Innen in diesen Räten mal genauer anschaut. Es hat den Anschein, dass der vorgeschlagene auf Empfehlungen aufbauende Bürger:Innenrat Bürger:Innen lediglich als Alltagsexpert:Innen und nicht als mündige Entscheidungsträger:Innen sieht.

Bürger:Innenräte als Anwort auf komplexe Problemstellungen

Bürger:Innenräte gab es schon in der Antike, sie sind die Urform der Demokratie. Gerade heute bieten sie ein demokratisches Gegenmittel für die traditionellen Blockaden der Parteien wie beispielsweise Lobbyeinflüsse, Fraktionszwang und Wiederwahlambitionen. Sie können einer Regierung Wege weisen, wie die Regierung auf komplexe Problemstellungen reagieren kann. Die Räte bilden einen direkten Zugang zum Willen des Volkes. Quotiert werden Vertreter:Innen aus der gesamten Bevölkerung ausgelost. In einem transparenten Prozess aus Wissensvermittlung durch Expert:Innen, intensivem Austausch in Arbeitsgruppen und Reflektion erarbeiten die Teilnehmenden, in mehreren Sitzungen, Lösungsansätze. Am Ende des Prozesses wird über diese Ansätze abgestimmt. Nach einer erfolgreichen Abstimmung wird das Ergebnis der Regierung vorgelegt. Was dann passiert ist oft unklar.

Wenn es um Bürger:Innenräte geht, wird heutzutage schnell klar, dass unverbindliche Empfehlungen, so wie es die Grünen vorschlagen, keine Garantie dafür sind, dass Regierungen von ihrem bisherigen Kurs abweichen. Ein Bürger:Innenrat scheint sinnlos, wenn die Regierung nicht zuhören wird. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass progressive Empfehlungen aus Bürger:Innenräten gerade im Klimakontext, trotz großer Worte, wenig Beachtung finden.

Was aber, wenn die Regierungen nicht mitspielen?

Die irischen Bürger:Innenräte - welche durch die Empfehlungen und erfolgreichen Umsetzung eines Abtreibungsreferendum Vorbildcharakter erlangten - waren in Sachen Klima- und Umweltschutz mit Enttäuschungen verbunden. Auch diese Versammlung hatte von Wissenschaftler:Innen geforderte, progressive Vorschläge zum Entgegenwirken der Klima- und ökologischen Katastrophe vorgelegt. Von riesigen Investitionen in die Emissionsreduktion durch Moore und den öffentlichen Verkehr bis hin zu einer Steuer auf Agraremissionen. Doch die irische Regierung ignorierte diese Vorschläge zugunsten dessen, was Premierminister Leo Varadkar als "ehrgeizige, aber realistische" Politik bezeichnete, weitestgehend.

Auch die aktuellen Entwicklungen in Frankreich zeigen, dass es gerade bei Klimafragen schwer ist das Vertrauen in die etablierten Parteien und der Regierung aufrechtzuhalten oder gar zu stärken. Nach den weitreichenden Beschlüssen des französichen Klimarates versprach Präsident Macron, die Empfehlungen zu prüfen und umzusetzen. So auch die Forderung Ökozid als Verbrechen gegen den Frieden in die Verfassung aufzunehmen. Doch die Enttäuschung ist mittlerweile groß. Das Gesetz wurde aufgeweicht und dessen Durschlagskraft auch hier "wegrealisiert". Aus einem, für den Erhalt von Lebensgrundlagen, wirkmächtigem Gesetzesvorschlag ist eine Tropfen aus den Heißenstein geworden. Für die Durchsetzung der Empfehlungen aus dem vielversprechendem Bürger:Innenrat wird nun hoffnungsvoll mittels einer Petition gekämpft. Entgegen der Empfehlung hält Macron jedoch fest: Ökozid soll lediglich als Umweltverbrechen Einhalt in die Gesetzgebung bekommen.

Das grüne Dilemma

Wir müssen uns daran erinnern, dass während einige darüber spekulieren, ob eine schwarz-grüne Koalition eine bundesweite Option des Wahljahres 2021 ist, junge Aktivist:Innen von Fridays for Future und Wissenschaftler:Innen weiter dringlich darauf hinweisen, dass mit der Klimakatastrophe nicht verhandelt werden kann. Die Parteien sehen sich somit in Zeiten in denen das demokratische und vorallem machtpolitische Ideal des Kompromisses durch die Klima- und ökologische Katastrophe ganz schön unter Druck gesetzt.

Die Grünen haben einen schwierigen Spagat vor sich. Sie befinden sich zwischen politischem Kompromiss, auf der einen Seite, und der Radikalität die es braucht um der Klimakatastrophe und ihren sozialen Folgen zu begegnen, auf der anderen. Ob es, angesichts der Drastik dieses Problems, so bleiben kann, dass sich Radikaler Wandel und wissenschaftliche Erkenntnisse, einerseits, und ehrgeizige Realpolitik andererseits, quasi unvereinbar gegenüber stehen, ist eine wichtige Frage. Die Auflösung dieser Frage baut auf einem gesellschaftlichen Fundament auf. Denn ohne die konsequente Einbeziehung von Bürger:Innen und die Aufklärung über die Klima- und ökolgische Katastrophe lässt sich dieser Spagat nicht überkommen. Ein Wandel muss immerhin von der Gesellschaft umgesetzt werden und kann somit nur durch Zusammenhalt und ein gemeinsames Verständnis gestaltet werden.

Schlechte Aussichten?

Es scheint jedoch, dass Verbindlichkeit suggerierende Rhetorik in Verbindung mit zahnloser Bürger:Innenbeteiligung in Zukunft ein klimapolitischer Trend werden könnte. Politikern und Politikerinnen einen radikalen Wandel zu empfehlen bleibt allerdings eine bedrückende Fortsetzung des Wunschdenkens, welches das klimapolitische Handeln in den letzten 30 Jahren beherrscht hat. Und es ist genau dieses Denken, welches uns dahin gebracht hat, wo wir jetzt sind: An den Rand einer kaum noch abwendbaren ökologischen Katastrophe.

Wir können beobachten, dass Regierungen die Beschlüsse von Bürger:Innenräten nicht zwingend umsetzen, selbst wenn sie sich zuvor dazu verpflichtet haben. Aufweichungen und Relativierungen bleiben somit weiter an der klimapolitischen Tagesordnung.

Keine Verpflichtung ist jedoch auch keine Lösung. Bürger:Innenversammlung haben in alter und junger Vergangenheit bewiesen, dass sie im Vergleich zu Regierungen weitreichende Lösungen entwickeln und fordern können. Daher gilt es weiterhin genau hinzuschauen und den gesellschaftlichen Druck nicht nur zu halten, sondern weiter zu erhöhen.

Rina Wahls
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tino Pfaff

Umweltaktivist, Campaigner, Sozialarbeiter/-pädagoge, Student MA Gesellschaftstheorie

Tino Pfaff

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