Svenja Schulzes verspätete Erkenntnis

Der Weltbiodiversitätsrat Die Corona-Pandemie ist eine Folge der Naturzerstörung

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Regierung muss die wirtschaftlichen Interessen der Wenigen nun endlich hinten anstellen
Die Regierung muss die wirtschaftlichen Interessen der Wenigen nun endlich hinten anstellen

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und der Bundesumweltministerin wird der Zusammenhang zwischen dem Ausbrechen der Coronapandemie und der rücksichtslosen Zerstörung der Natur durch den Menschen anerkannt: „Mit zunehmender Naturzerstörung steigt das Risiko von Krankheitsausbrüchen bis hin zu Pandemien.“Dabei verweisen sie auf die Warnungen der Wissenschaft.

Doch seit nun mehr 40 Jahren warnen Wissenschaftler*innen vor den gravierenden Naturzerstörungen durch den Menschen. Schon 1972 war klar, dass unsere Art des Wirtschaftens für katastrophale Naturzerstörung verantwortlich ist. Interessiert hat es die Politik bisher kaum.

Die Coronapandemie ist eine Folge unserer Lebensweisen

Die Zerstörung der Natur, ist gleichzeitig die Zerstörung der Lebensräume von Wildtieren. Sei es durch das Befeuern der ökologischen oder der klimatischen Katastrophe. Die enge Verwobenheit wird durch die Coronapandemie mehr als deutlich. Ob direkte (Abholzen durch den Mensch) oder indirekte Zerstörung (Austrocknen oder Abbrennen durch Extremwetterereignisse) von Wäldern und Biotopen, die Folgen sind fatal und sie sind menschengemacht. Dadurch bleibt wilden Tieren keine andere Möglichkeit, als in die Nähe des Menschen zu fliehen und dort Schutz zu suchen. Dadurch kommt es, ebenso wie durch die Gefangennahme und das Verkaufen von Wildtieren, zu engen und häufigen Kontakten. Bis ein Virus mutiert, ist es nur eine Frage der Zeit.

COVID-19 ist also eine direkte Folge der Naturzerstörung und der Tierquälerei. Diese Pandemie ist ein Symptom unserer Lebensweise.

Entsteht nun ein neues Bewusstsein?

In der Coronakrise zeigt die Regierung, dass ein Handeln unter Einbezug der Wissenschaft möglich ist. Expert*innen werden öffentlich zu Rate gezogen und Handlungen rückgekoppelt, wenn auch deren Schlüsse kritikwürdig sind. Der Anfang ist zumindest gemacht.

Angesichts des drohenden ökologischen Kollapses funktioniert dies bisher noch immer nicht. Wie wir nun sehen ist dies fatal und kostet tausende Menschenleben.

Die Lehre: wissenschaftliche Erkenntnisse können und dürfen nicht länger ignoriert werden. Wer dies tut gefährdet Menschenleben. Statt wie bisher, stets vom Mindesten auszugehen, sollten nun endlich die Warnungen der Wissenschaft ernst genommen werden. Das Auftauen der nordischen Permafrostböden im Frühjahr 2019 hat dies schon einmal bewiesen, doch offensichtlich war dies noch nicht schlimm genug.

Die Regierung muss die wirtschaftlichen Interessen der Wenigen nun endlich hinten anstellen. Es ist Zeit zu beweisen, dass sie, angesichts dieser existenziellen Bedrohung, die wissenschaftlichen Fakten ernst nimmt und politisch verantwortungsvoll handelt.

Wenn da nicht die Wirtschaftslobby wäre

Wachstumsorientierte Lobbyverbände besetzen förmlich den Bundestag. Etwa 6000 Lobbyist*innen haben dort Zutritt und nicht wenige von ihnen führen nichts Gutes im Schilde. Ob Öl-, Gas-, Energie- oder Autolobby, sie alle haben enormen Einfluss auf unser aller Leben. Politiker*innen stehen auf ihren Gehaltslisten, Parteispenden sind eine Selbstverständlichkeit, Gefallen werden hier und da geleistet und ein Jobangebot ist immer drin.

Mutige und vor allem aufrichtige Politiker*innen braucht es heute mehr denn je. Erstens, da es sie kaum noch gibt, und zweitens, da die Zeit verdammt knapp wird.

Entsteht im BMU etwa ein Aufbäumen gegen den politischen Tiefschlaf?

Wenn Ministerin Schulze es ernst meinen würde

Dann würde Sie, erstens, von einem Verbrechen gegen das Völkerrecht sprechen und ein Ökozidgesetz fordern. Dieses würde verantwortliche Konzerne zur Rechenschaft ziehen und die Zerstörung der Natur unter Strafe stellen. Denn das, was diese tun, ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Gegen Indigene Völker, gegen Gesellschaften des globalen Südens, gegen Dörfer in Bergbauregionen, gegen die jungen und zukünftigen Generationen, gegen die Menschen in urbanen Räumen, die täglich vergiftete Luft einatmen, und, spätestens mit der Coronapandemie, nun auch gegen die Menschheit als Ganzes.

Zweitens würde Sie die umgehende Neuverhandlung eines Klimapakets fordern, welches die Netto-Null-Treibhausgasreduktionen bis 2025 zum Ziel hätte. Dieses würde u.a. eine Schließung aller Kohlekraftwerke ebenso bis 2025 und die sofortige Aufhebung der Solar- und Windkraftdeckel beinhalten. Und drittens, würde Sie die Subventionierung der Fleischindustrie beenden, die Konzerne vom Acker jagen und die Regionalisierung der Nahrungsmittelkreisläufe umsetzen.

Vor allem aber würde Sie nicht nur von der Zerstörung der Natur reden.

Ja, die Coronapandemie ist eine direkte Folge unseres Umgangs mit der Natur, aber eben nur eine. Andere Folgen und Mittel dieser Naturzerstörung sind mindestens genauso bedrohlich und fordern jährlich Millionen Opfer. Um sich Gebiete anzueignen, werden Menschen von Konzernen vertrieben, versklavt und getötet. Die Lebensräume von Menschen im globalen Süden schwinden und sie werden damit förmlich allein gelassen. Die Klimaungerechtigkeit ist eine klaffende Wunde, in der Beziehung zwischen dem globalen Süden und Norden. Der globale Norden als Verursacher, hat die nötigen finanziellen und materiellen Mittel, sowie die innovativen Möglichkeiten sich gegen die Veränderungen der Natur zu schützen. Im globalen Süden sieht dies anders aus. Von seinen Ressourcen beraubt, kann den Folgen der Naturzerstörung kaum etwas entgegengesetzt werden.

Kurz gesagt: Der globale Norden zerstört den globalen Süden und behält die Mittel zur Gegenwehr für sich. Während die Folgen im globalen Süden groß und die Mittel gering sind, sind die Folgen im globalen Norden gering aber die Mittel groß. Unterstützung und Reparation = Fehlanzeige!

Was sind schon solche Bekenntnisse des BMU wert, angesichts dieser überdimensionalen Bedrohung durch den drohenden ökologischen Kollaps?

Was nun?

Der ökologische Kollaps ist letztlich nur ein Teilproblem. Umso instabiler die Natur und das Klima werden, desto instabiler werden Gesellschaften. Neben Dürren, Extremwetterereignissen, Waldbränden, Überschwemmungen, Ernteausfällen, Wasser- und Nahrungsmittelknappheiten, Epidemien und Pandemien, zersetzen sich die sozialen Systeme und werden ebenso instabil. Es kommt zu sozialen Unruhen, ungeahnter Ungleichheit, Gewalt (besonders gegen Kinder, Frauen* und Minderheiten) und Kriegen. Faschistische Zustände sind da nicht weit und aus der einst geglaubten Doppelkrise der klimatisch-ökologischen Katastrophe, wird eine multiple Krise erwachsen, die kaum mehr zu kontrollieren sein wird.

Der Erkenntnis des BMU und der Bundesumweltministerin müssen unbedingt Taten folgen. Wollen sie der Sache gerecht werden, muss sich ihre Politik, vom „business as usual“ der deutschen Symbolpolitik, deutlich abheben. Aus den bis dato leeren Versprechen muss ein selbstbewusstes Ministerium erwachsen, dass sich letztlich auch durch „politischen Ungehorsam“ Gehör verschafft.

Die Demokratie muss demokratisiert werden

Wahrscheinlicher ist jedoch die Abhilfe durch die Einberufung einer repräsentativen Bürger*innenversammlung, wie sie die internationale sozialpolitische Bewegung Extinction Rebellion, in dutzenden Staaten der Erde, fordert. Sie würde jenen Politiker*innen Unterstützung zukommen lassen, die sich schwer damit tun die wichtigen und notwendigen Entscheidungen zu treffen. Sei es durch Wiederwahlambitionen oder Berufsblindheit, durch die Abhängigkeit vom oder durch die Machtlosigkeit gegen den Wirtschaftslobbyismus.

Die Politik, als Schoßhündchen der Wirtschaft, ist den Herausforderungen nicht gewachsen. Warum sonst liegen seit Jahren die Lösungen auf den Tischen und werden schlichtweg ignoriert?

Wenn wir das Schlimmste noch abwenden wollen, dann müssen wir uns darauf konzentrieren was Notwendig is,t und nicht auf das, was vielleicht möglich ist.

Die Demokratie muss demokratisiert werden. Sie gehört in die Hände der Gesellschaft und der Menschen, die sie ausmachen. Besonders angesichts des planetaren Notfalls und seiner Symptome, die Menschen leiden und sterben lassen.

Eines dieser Symptome ist die Coronapandemie.

Unsere Art des Wirtschaftens hat sie ausgelöst.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tino Pfaff

Umweltaktivist, Campaigner, Sozialarbeiter/-pädagoge, Student MA Gesellschaftstheorie

Tino Pfaff

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden