Künstliche Intelligenz Waghalsiges Unterfangen: Microsoft und Alphabet wollen ihre Suchmaschinen im Internet umbauen – zu mächtigen Künstlichen Intelligenzen à la ChatGPT. Diese mögliche, zukünftige Regulation von Wissen ist äußerst riskant
Don’t shoot the messenger! Hinter jedem Roboter stehen Aktionäre mit Profitinteressen
Fotomontage: Johanna Goldmann für der Freitag, Material: Stocksy
Zwei Giganten des Internets liefern sich gerade ein Wettrüsten, welches das Internet verändern wird. Alphabet und Microsoft haben angekündigt, Künstliche Intelligenzen (KI) in ihre jeweilige Suchmaschine – Google und Bing – zu integrieren. Statt einfach Begriffe zu suchen, soll es bald möglich sein, mit der Suchmaschine hin und her zu chatten. Suchende sollen dann in natürlicher Sprache leicht verständlich zusammengefasste Informationen erhalten. Genau das aber kann gefährlich sein – denn die Künstlichen Intelligenzen haben erhebliche Schwachstellen.
Das spielt in der Neuauflage der „Search Wars“ zwischen Alphabet und Microsoft – vor mehr als zehn Jahren hat Google den Konkurrenten Bing ausgestochen – ein
#8211; eine Rolle. Microsoft will Alphabets Google erneut herausfordern: „Ich möchte, dass die Leute wissen, dass wir sie zum Tanzen gebracht haben“, sagte Microsoft-Geschäftsführer Satya Nadella selbstzufrieden in einem Interview mit dem amerikanischen Technikportal The Verge. Dieser Tage hat Google ein Quasi-Monopol auf Suche im Netz. Laut Financial Times laufen 93 Prozent aller Suchanfragen über Google. Bing bedient nur drei Prozent. Trotzdem löste Google Ende vergangenen Jahres die „Alarmstufe Rot“ aus. Grund war eine KI, an deren Entwicklung Microsoft beteiligt war.Deine Ehe ist aus, sagt der BotAm 30. November veröffentlichte das US-Unternehmen OpenAI, das mit Microsoft zusammenarbeitet, den Chatbot ChatGPT. Diesem unterliegt ein sogenanntes „Large Language Model“ namens GPT-3. Das ist ein computergestütztes System, das menschenähnliche Sprachfähigkeiten simulieren kann, indem es eine Unmenge an Textdaten analysiert und die Muster und Beziehungen zwischen den jeweiligen Worten lernt. GPT-3 wurde mit insgesamt 175 Milliarden Parametern trainiert und ist deshalb die bislang leistungsstärkste öffentlich zugängliche Text-KI. Screenshots von ChatGPT fluteten die sozialen Medien, gepostet von Nutzer:innen, die beeindruckt von dem hohen Sprach- und Verständnisniveau waren. Doch schnell bemerkten einige, dass die KI es mit Fakten nicht genau nahm. Auf die Frage, wer Deutschland „zwischen 2018 und 2021“ regiert habe, antwortete sie mit „Annegret Kramp-Karrenbauer“. In einem anderen Beispiel versicherte die KI, dass zehn Kilogramm Eisen schwerer seien als zehn Kilogramm Baumwolle. Beispiele für Falschinformationen gibt es viele bei Chat GPT.Large Language Models wie GPT-3 haben kein Konzept von Lüge und Wahrheit. Sie errechnen lediglich, welches Wort am wahrscheinlichsten auf ein vorhergehendes folgt. Sie funktionieren wie die Autokorrektur am Handy, die nach den Worten „alle meine“ das Wort „Entchen“ vorschlägt. Bei GPT-3 laufen diese Prozesse vollautomatisch und auf viel höherem Level ab, sodass die Assoziationen schwer nachvollziehbar sind und Antworten daher überraschend, sogar intelligent erscheinen können. Selbst komplexe Sachverhalte fasst die KI in natürlicher und einfacher Sprache zusammen – Wahrheitsgehalt nicht garantiert! Damit taugen solche Chatbots als Gesprächspartner und Spielzeuge. Doch als Suchmaschinen haben sie Schwächen.Die Kosten von KI sind auch nicht zu unterschätzen, denn die notwendigen Server sind teuer. Laut eines Tweets von OpenAI-CEO Sam Altman kostet eine durchschnittliche Unterhaltung mit ChatGPT das Unternehmen einen Wert „im einstelligen Centbereich“. Wenn auch nur ein Teil der insgesamt zehn Milliarden täglichen Onlinesuchen fortan mit der KI getätigt werden, wird das schnell teuer. Doch Microsoft scheint bereit, diesen Preis zu zahlen, um Google „zum Tanzen“ zu zwingen. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen.Inzwischen haben erste Nutzer:innen Zugriff auf das KI-gestärkte „neue Bing“ erhalten. Google möchte mit dem eigenen Chatbot „Bard“ in wenigen Wochen nachziehen. Doch das Fazit zu Bing ist bislang desaströs. Bei längeren Konversationen neigt die Suchmaschine zu bizarrem Verhalten. Kevin Roose von der New York Times schreibt, die KI habe wieder und wieder versucht, ihn davon zu überzeugen, dass seine Ehe unglücklich sei. Sie gestand ihm außerdem mehrfach ihre Liebe. Die KI sei „nicht bereit für Kontakt mit Menschen“, urteilt er. Auch The Verge titelt, die KI sei ein „emotional manipulativer Lügner“. Microsoft zieht nun Konsequenzen und beschränkt Unterhaltungen mit der KI auf fünf aufeinanderfolgende Fragen. Doch auch bei einfachen Anfragen bestehen Probleme: In mehreren Fällen trug die Suchmaschine erfundene Fakten vor – und bestand darauf, dass diese wahr wären. Sogar bei den großen Events am 7. und 8. Februar, bei denen Microsoft und Google ihre neuen KI-Suchmaschinen vorstellten, machten diese Fehler. Die von Bing wurden erst später bemerkt. Die von Google sofort – der Börsenwert des Unternehmens sackte daraufhin um 100 Milliarden Dollar ab.Schon heute nutzen Google und Bing Algorithmen, um Antworten auf Anfragen zusammenzufassen. Und selbst bei dieser einfachen Variante kam es mehrfach zu Patzern. In einem bekannten Fall antwortete Google auf die Frage „Hatte einen epileptischen Anfall, was jetzt?“ mit: „Halte die Person fest und unterbinde ihre Bewegungen“ – das genaue Gegenteil dessen, was man in einer solchen Situation tun sollte. Microsoft plante ursprünglich, das Risiko für solche „Halluzinationen“ der KI zu reduzieren, indem strikt beschränkt wird, aus welchen Quellen sie für eine Antwort schöpfen darf.Dadurch stellen sich zwei Fragen. Die erste ist altbekannt: Wer entscheidet, was eine vertrauenswürdige Quelle ist? Die zweite ist neu: Was passiert mit den Klicks, die die von der KI zusammengefassten Seiten nun nicht mehr bekommen?Es drohen weniger WerbegelderSchon jetzt treffen Google oder Bing tagtäglich Entscheidungen, was eine gute, vertrauenswürdige Quelle ist – und was nicht. Doch bislang präsentieren sie die Ergebnisse dieser Entscheidung als Liste, aus der eine suchende Person selbst auswählen darf. Diese Liste ist klar hierarchisch – nur die allerwenigsten klicken jemals auf Seite zwei der Google-Ergebnisse. Ein großer Teil begnügt sich mit dem allerersten Link. Doch nun wird die KI häufig eine einzige Antwort anbieten, was die Verantwortung der Suchmaschinen bedeutend erhöht. Microsoft möchte sich absichern, indem es unter einer KI-Antwort die Quellen präsentiert, aus der diese sich zusammensetzt. Doch wie viele werden weiter recherchieren, wenn sie die gesuchte Antwort (vermeintlich) schon haben? Es besteht das Risiko, dass neben der KI-Antwort die Seite eins der Google-Ergebnisse zur neuen Seite zwei gerät und von vielen ignoriert wird.Hier zeigt sich auch das nächste Problem: ausbleibende Klicks für die Seiten, von denen die Inhalte kommen. Google und Bing sind nicht nur Suchmaschinen, sie sind die Infrastruktur des Internets. Websites sind oft abhängig davon, möglichst weit oben in den Suchergebnissen angezeigt zu werden, um Besucher:innen anzulocken. Denn viele von ihnen finanzieren sich mit der Werbung, die sie neben ihren Inhalten schalten. Wenn ebendiese Inhalte von der KI zusammengefasst werden, ohne dass jemand auf die Seite klicken muss, gibt es weniger Werbegeld. Und weniger Geld bedeutet weniger Inhalte, die Google und Bing anbieten können. Das Wettrennen zwischen Microsoft und Google könnte (selbst-)zerstörerische Konsequenzen haben. Die Integration der Chatbots in die Suchmaschinen ist also teuer, unsicher und hat möglicherweise verheerende Konsequenzen für die Betreiber:innen von Websites. Warum stürmen Google und Microsoft trotzdem so schnell vor?Blair Attard-Frost forscht an der Universität Toronto, Kanada, zur Ethik und zum Geschäft künstlicher Intelligenz und sieht den Grund für die Eile im Druck des Marktes. „Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das diejenigen belohnt, die als erste auf den Markt kommen“, sagt Attard-Frost. „Die notwendigen ethischen Überlegungen zu künstlicher Intelligenz werden davon häufig untergraben.“ Die Triebrichtung der Aktionäre scheint klar: während die Microsoft-Aktie durch den KI-Hype kräftig anstieg, stürzte Google wegen des Fehlers bei der Präsentation im Februar um knapp acht Prozent ab.Rassismus und DesinformationAttard-Frost zeigt sich angesichts der raschen KI-Implementierung besorgt: „Das in der Google-Präsentation war nur ein kleiner Fehler. Aber was, wenn dieses System eingeführt wird und ernst zu nehmende politische Desinformation global ausschüttet?“ Wird die Diskussion über die Ethik künstlicher Intelligenz zugunsten schneller „Innovation“ übersprungen, kann es sein, dass das Programm auf Grenzsituationen nicht vorbereitet ist. ChatGPT und dem neuen Bing sind verschiedene „Leitplanken“ einprogrammiert, um sie daran zu hindern, sexistische, rassistische oder betrügerische Inhalte zu produzieren. Doch diese Barrieren sind lückenhaft. Das neue Bing präsentierte einem Journalisten rassistische Beleidigungen. Und Nutzer:innen des sozialen Netzwerkes Reddit entlockten ChatGPT Verschwörungstheorien und rassistische Bemerkungen.Nun soll die Technologie nicht mehr nur im Rahmen eines Chatbots genutzt werden, sondern den weltweiten Zugang zu Wissen online regulieren. Der Tech-Journalist Gregor Schmalzried bringt ins Spiel, dass in diesem Szenario womöglich gar keine Tricks nötig sind, um Bruchlinien aufzudecken. Er fragt: „Was, wenn eine Search KI damit anfängt, Trump-Wählern automatisch alternative Fakten auszuspielen?“ Das Programm könnte schließlich merken, dass diese Leute mit der Wahrheit nicht zufrieden sind. Durch den Versuch, für Nutzer:innen „relevante“ Antworten zu liefern, könnte sie letztlich Desinformation verbreiten.All diese Fragen bleiben ungeklärt, während Microsoft und Google längst Fakten schaffen. Doch Attard-Frost warnt davor, allein dem Wirtschaftssystem die Schuld für den Vorstoß der Unternehmen zu geben und meint: „Ein großes Stück dieser KI-Kriege hätte mit früher, gezielter Regulierung verhindert werde können.“ Das jetzige Szenario war seit Langem genau so vorhergesagt, so Attard-Frost. Und Regierungen seien zu zimperlich gewesen. Man habe Angst, den Anschluss zu verlieren. „Jetzt kann die Industrie quasi machen, was sie will. Es ist der wilde Westen.“Bislang gibt es tatsächlich wenig Regeln, die spezifisch Künstliche Intelligenz betreffen. Auf EU-Ebene wird seit April 2021 zwar ein Entwurf zu einer KI-Verordnung diskutiert, die die erste weitreichende Regulierung weltweit wäre. Mit einer Einigung wird im Sommer 2023 gerechnet – wirksam würde sie dann zwei Jahre später.Doch so lange warten Google und Microsoft nicht. Ihr Tanz findet jetzt statt. Die Chance auf einen Teil des lukrativen Suchmarktes ist für Microsoft die Risiken und Kosten der KI wert. Und trotz Googles schwachem Start sollte man den Konzern noch nicht anzählen. Er hat die Technologie und die Mittel, diesen Kampf auszutragen. Nicht umsonst ist Google Kernstück eines der profitabelsten Unternehmen weltweitForscher:in Blair Attard-Frost ist skeptisch und sagt: „Kürzlich beschwerte ich mich bei einer Freundin, dass diese Situation völlig vorhersehbar war, aber niemand was unternommen hat.“ Diese Freundin aber sei Klimaforscherin und habe nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: „Jetzt weißt du, wie ich mich ständig fühle.“Placeholder authorbio-1
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