Porträt des Rappers als junger Mann

Im Kino In Curtis Hansons "8 Mile" schreibt sich Eminem in den amerikanischen Traum ein

An den Anfang einer jeden Hollywood-Erfolgsgeschichte gehört eine Niederlage. Jimmy Smith Jr., dem Namen nach ein amerikanischer Jedermann, gespielt aber von Amerikas erfolgreichstem Rapper Eminem, versagt kläglich bei einem öffentlichen Rap-Duell. Eine im Halbdunkel liegende, heruntergekommene Halle, ein überwiegend schwarzes Publikum, das erwartungsvoll mit den Beats mitgeht, ein Konkurrent, der Jimmy gerade als "Toastbrot" tituliert und wortreich heruntergeputzt hat: All das erzeugt eine knisternde Spannung um den schmalen weißen Jungen mit den weit aufgerissenen Augen. "Rabbit" wird er von seinen Freunden genannt, und nun sieht er wirklich aus wie das Kaninchen vor der Schlange. Jimmy hebt das Mikro an die Lippen, er lässt den ersten Einsatz verstreichen, dann den zweiten, den dritten. Die Menge buht, der Gegner feixt, und Jimmy verlässt der Mut. Rap-Duelle dieser Art haben sich aus der Straßenkultur und alten afroamerikanischen Traditionen entwickelt. Und so ist es nur stimmig, dass Jimmy im Verlauf des Films seine "street credibility" erst in einer spontanen "boasting battle" auf der Straße gewinnen muss, bevor er dann auch auf der Bühne siegt.

In Curtis Hansons 8 Mile geht es immer auch um die "street credibility" Eminems. Dessen Geschichte hat der Regisseur in einer entschärften Version auf die Leinwand gebracht. Und siehe da, der als weißes Enfant terrible einer originär schwarzen Szene berühmt gewordene Rapper ist hier mehr als nur ein Abziehbild seines Images; er transzendiert es, wird als HipHop-Variante des amerikanischen Traums ein neuer Held im Arbeiterklasse-Format. Die homophoben, gewalttätigen und frauenfeindlichen Ausfälle, mit denen sich Marshall Mathers alias Eminem auf seinen drei Alben The Slim Shady LP, The Marshall Mathers LP und The Eminem Show in Szene gesetzt hat, sind hier ausgeblendet.

Was wir sehen, ist ein Junge, der sich für die Ehre seiner Mutter prügelt - im wahren Leben freilich liefert er sich mit ihr üble Schlammschlachten vor Gericht. Was im Film zählt, ist der eiserne Wille zum Erfolg, der Glaube an die Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Dreck zu ziehen. Gar nicht so einfach in der heruntergekommenen Automobilstadt Detroit, wie sie Hanson ganz ohne Getto-Romantik zeigt. Jenseits der Straße 8 Mile wohnen die Verlierer des Lebens, viele Schwarze, wenige Weiße. Früher lebten die Bewohner von der Automobilindustrie, jetzt sieht die Fabrik, in der Jimmy Autoteile stanzt, aus, als müsste sie bald wegen Baufälligkeit geschlossen werden. Aber der Held stanzt mutig weiter und schaut nach Feierabend nach dem rechten im heimatlichen Wohnmobil, wo die attraktivste Alkoholiker-Mutter aller Zeiten, gespielt von Kim Basinger, das Bedürfnis nach Rausch und Sex über die Sorge für ihr Töchterchen stellt. Jimmy kümmert sich und tröstet. Abends zieht er mit seiner Clique durch die Gegend, die multiethnisch und einigermaßen stereotyp zusammengesetzt ist. Alle schmieden sie Träume vom großen Ausstieg - doch es ist klar, das Zeug dazu hat nur Jimmy, der Rabbit. Er ist der Phoenix, der aus dem Schrotthaufen Detroit aufsteigt.

In 8 Mile herrscht der Wertekodex der fleißigen Arbeiter. Selbst Jimmys obsessives Vollkritzeln von Zetteln hat weniger etwas Lustvolles oder Rauschhaftes, sondern erscheint mechanisch, fast wie eine industrielle Fließbandfertigung. In einer Schlüsselszene schreibt Rabbit Zettel um Zettel voll, während er am Kinderbett seiner kleinen Schwester wacht. Vaterfigur statt Lover: Eminems einzige Sexszene, zwischen ausgemusterten Maschinen in der Fabrik, ist fast schon unsinnlich in ihrer rostigen Nüchternheit.

Man muss Curtis Hanson, der schon in L.A. Confidential ein Genre erfolgreich gegen den Strich gebürstet hat, zugestehen, dass er die Utopie vom anständigen Rapper und den Geist des in postindustriellen Brachlandschaften wie Detroit entstandenen HipHop stilsicher miteinander verknüpft. Bei aller Verniedlichung der wahren Hürden zum Glück hat 8 Mile auch etwas Rührendes, eben wie ein Old School Rap Song, der ganz an die heilende Kraft des HipHop glaubt.

Gemessen an der Art und Weise, in der schwarze Rap-Stars bislang in HipHop-Filmen zu sehen waren, ist dies bemerkenswert. Ice Cube in Boyz in the Hood, Ice-T in New Jack City oder Tupac Shakur in Juice: Diese charismatischen "bösen Buben" des Rap taugten auch im Film nicht zu positiven Helden. Dass Eminem, ausgestattet mit Grammys und MTV Awards, nun als Vorbild auftreten darf, ist dabei nicht wirklich erstaunlich. Als weißer Rapper hat er einen besonderen Status und verfügt über ein besonderes kulturelles Kapital. Zwischenzeitlich geläutert und für den Mainstream tauglicher gemacht ist er eine Integrationsfigur, wie sie ein schwarzer Rapper eben nie sein könnte. Im Grunde wäscht Eminem in 8 Mile den Rap rein vom Unbehagen am amerikanischen Traum und führt ihn so in das Herz Amerikas. Umstritten ist, ob es sich hierbei um Sieg oder Niederlage handelt.

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