Joanne K. Rowling ist ja so vieles: künstlerisch begabt und geschäftstüchtig, immer auf der Seite der Armen und Entrechteten und dabei reicher als die Queen. Und jetzt, im gerade erschienen fünften Harry-Potter-Band, erweist sich eben jene britische Kinderbuchautorin, die in ihrem Schreiben durchaus einen mittelschweren Hang zum moralischen Pathos erkennen lässt, auch noch als fähig, einen unbarmherzigen Mord zu begehen. Alle Achtung. Wem das alles paradox erscheint, der sollte sich daran erinnern, dass Mrs. Rowling von Haus aus auch noch etwas anderes ist: Pädagogin. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, erweisen sich die vermeintlichen Ungereimtheiten in der Persona der Zauberwelt-Erfinderin als stimmig, weil pädagogisch wertvoll. Wir können wirklich eine ganze Menge von ihr lernen. Und zwar nicht nur, wie man mit clever geschriebenen Kinderbüchern reich wird.
"Unter Tränen", so berichtete die britische Autorin kurz vor Erscheinen des neuen Bandes in einem BBC-Interview, sei sie in der heißen Arbeitsphase an Potter Fünf in die Küche gestürmt. Dort saß ihr Mann, nichts Böses ahnend, am Tisch. "Ich habe eben diese Person getötet", sei es aus der emotional ergriffenen Schriftstellerin herausgebrochen. Man kann nun davon ausgehen, dass ihr Gatte Neil Murray ob dieses Geständnisses nicht gerade vom Stuhl gefallen ist. Schließlich handelt es sich bei dem bedauernswerten Opfer um eine Romanfigur, wenngleich um eine sympathische. Die Konsequenz, mit der Mrs. Rowling zu rechnen hat, ist nicht lebenslanger Freiheitsentzug, sondern eine Auflagensteigerung.
Weil aber Mord nun einmal Mord ist und kein Kinderspiel, und eine weinende Frau von ihrem Mann in einer solchen Situation eine angemessene Reaktion erwarten darf, habe Murray geantwortet: "Na, dann tu es doch einfach nicht". Woraus seine Gattin ihn darüber belehrte, dass man als gute Kinderbuchautorin auch mal ein "unbarmherziger Killer" sein müsse.
Murray, allgemein als "der nette und schüchterne Zahnarzt an Rowlings Seite" betitelt, wird seine Lektion in Sachen schriftstellerische Dilemmata wohl gelernt haben. Wir anderen, die als Zaungäste auf diese kleine anrührende Küchenszene gucken dürfen, können uns ebenfalls ein paar Lebensweisheiten davon ableiten. Erstens: Auch der umbarmherzigste Killer, und vielleicht gerade der, sehnt sich nach emotionalem Rückhalt. Zweitens: für das innere Gleichgewicht im beruflichen Umfeld ist ein Partner, der, wenn es hart auf hart kommt, verlässlich in der Küche seinen Mann steht, unerlässlich. Drittens, was die Opferperspektive anbelangt: Man sollte sich, nur weil man ein netter Mensch ist, seiner Sache nie zu sicher fühlen; wenn es für den Lauf der Geschichte erforderlich ist, wird man trotzdem aus dem Skript gestrichen. Denn viertens: Manchmal muss eine Frau eben tun, was eine Frau tun muss.
Nicht unerheblich für die thematische Erweiterung der Unterrichtseinheiten war das öffentliche Rätselraten darum, wer denn nun eigentlich der mordlustigen Feder von Rowling zum Opfer fallen würde. Kluge Informationspolitik betreibend hatte die Autorin schon früh den Tod eines wichtigen Sympathieträgers im fünften Band angekündigt. Fiebernd wurde nun um Hagrid und Dumbledore gebangt, gar um Ron und Hermione. Wer sich an diesen Spekulationen nolens volens beteiligt hat, wird auch die Mördergrube in seinem eigenen Herzen entdeckt haben. Denn - Hand auf eben jenes - wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, dem einen oder anderen Sympathieträger den Garaus zu machen? Eben. Lektion Nummer fünf.
Übrigens soll Neil Murray (der nette Zahnarzt) laut Aussage seiner Frau genauso unwissend um die Identität des Gemeuchelten gewesen sein, wie jener große Rest der Welt, der den Band noch nicht in eigenen Händen hält. Und damit lernen wir sechstens: Ein paar kleine Geheimnisse sind für eine Beziehung gar nicht schlecht, sie erhalten die Spannung. Die Medien, in deren Natur es nun einmal liegt, unbedingt alles als erste wissen zu müssen, haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben, das Geheimnis vorab zu lüften.
Allein: umsonst. Britische Kinder, die den Band schon gelesen hatten, wurden am vergangenen Wochenende bereits von Fernsehreportern bezirzt, ihr Wissen preiszugeben. Dem Vernehmen nach hielten sie sich aber an den Ehrenkodex der Potterianer und damit dicht.
Ganz so konsequent waren die Medien selbst nach Erscheinen des Buches nicht. In der Berliner Zeitung etwa war der Namen des Mordopfers zu erfahren - wenn man sich die Mühe machte, jedes zehnte Wort eines bestimmten Artikels aneinander zu reihen und daran ein bisschen herumzubasteln. Man konnte es natürlich auch einfach lassen. Ach, die Entscheidung lag bei einem selbst: Naseweis oder Stoiker? Oder, pädagogisch formuliert: Ist man eine Person, die sich selbst den Spaß nimmt, weil sie nicht darauf warten kann, ihn zu erleben? In dieser Form der harten Selbstprüfung läuft der Rowlingsche Pädagogik-Trieb wahrhaft zu seiner Höchstform auf. Per Fernwirkung. Wahrscheinlich ist die Dame auch noch eine Zauberin. Oder eine Hexe.
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