Ach, du schöner Liebesschwur

Musik Das vierte Album der Punkband Feine Sahne Fischfilet löst bei unserem Autor merkwürdige Gefühle aus
Ausgabe 05/2015

Schon Jochen Distelmeyer hat die Frage nach dem Bleiben oder Gehen zum Grundsatzthema eines gleichnamigen Songs gemacht. „Ist es das wert und was hält mich noch hier?“, hieß es in Distelmeyer’scher Klarheit auf der Post-Blumfeld-Soloplatte Heavy.

Bleiben oder gehen, dazwischen gibt es nicht viel. Denkt man die entscheidenden Stationen des Lebens rasch durch, lassen sich die meisten herunterbrechen auf diese simple Abwägung: Ja oder nein, weitermachen oder verwerfen. Der Mensch ist kein Einzelgänger, an jedem Ort streckt er seine Wucherungen in alle Richtungen aus und fängt sich andere ein. Soziale Beziehungen sind nicht ungeschehen zu machen – das ist der banale Stoff, aus dem die Dramen und Desaster unserer Lebensläufe zusammengesetzt sind. Nicht jeder kann gehen, das liegt in der Natur der Sache, und wer weggeht, beantwortet alle weiteren Fragen mit einem Nein.

Die Punkband Feine Sahne Fischfilet aus Mecklenburg-Vorpommern, die wiederholt durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes von sich Reden machte, widmet ihr viertes Studioalbum genau diesem Problem. Bewusst oder unbewusst heißt es wie jener Distelmeyer-Song.

Die zwölf Stücke auf Bleiben oder Gehen lesen und hören sich wie ein trotziges Ja zum Bleiben an, mit all dem schönen, naiven Pathos, das es dafür braucht. Wenn Weggehen mutig ist, ist Bleiben mindestens verwegen: „Wir verlassen uns auf uns selbst.“ Dieser Trotz ist teuer erkauft. In der besungenen Region nämlich ist die Band um den wuchtigen Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow im Kampf gegen einen alltäglich erlebten Rechtsradikalismus eine Art linkes Bollwerk. An klaren Bekenntnissen seitens der Musiker fehlt es nicht. In ihren jeweiligen Städten ist ein solches Statement vor allem eines nicht: bequem. Ein Bekenntnis zum Bleiben heißt da, sich dem Kampf jeden Tag wieder zu stellen.

Gut so

So weit voneinander entfernt die musikalischen Welten von Distelmeyers sanfter Popmusik und dem energischen Punk von Feine Sahne Fischfilet auch sein mögen, ihr Existenzialismus verbindet sie. Die Band erzählt uns von einer Welt, die wir vor langer Zeit verlassen haben. Wir sitzen irgendwo weit weg von daheim und haben uns ein bequemes Ich zurechtgelegt, während uns hier jemand beständig ein schlechtes Gewissen von den Kämpfen an der Heimatfront rüberfunkt. Gut so.

Punk war noch nie der Ort, an dem zwischen den Zeilen poststrukturalistisch philosophiert wurde, und er ist auch nicht der natürliche Verbündete elaborierter musikalischer Experimente. Dass es daher auf Bleiben oder Gehen künstlerisch eher rustikal zugeht, ist keine Überraschung. Einfache Fragen und klare Standpunkte, darum geht’s. In den meisten Fällen wäre das Grund genug für rigide Kritik, hier interessanterweise nicht. Es ist ein wenig wie an Weihnachten, wenn einen die Festtage nach Hause führen und sich die Schwermut einmal geleisteter Liebes- und Freundschaftsschwüre in ihrer ganzen Schönheit offenbart. Wer könnte dagegen etwas sagen?

Offensichtlich nur der Verfassungsschutz, aber der kann ja bekanntlich nicht einmal Verfassungsschutz. Hören wir lieber auf das, was Feine Sahne Fischfilet Versöhnliches zu berichten haben: „Ich glaube dir, es wird schon alles gut, auch wenn es manchmal schwerfällt.“

Bleiben oder Gehen Feine Sahne Fischfilet Audiolith 2015

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Timon-Karl Kaleyta | Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

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