Die drängenden Fragen der Gentrifizierungsdebatte haben nun auch die Berliner Außenbezirke erreicht. „Ausstellungen in einem Gewerbegebiet bringen erhebliche Nachteile für die emissionsintensiven Gewerbe im Umfeld. Es ist mit erheblichen Bodenwertsteigerungen zu rechnen, so wie es in den Innenstadtbezirken bereits erfolgt ist (‚Gentrifizierung‘). Das Bezirksamt sieht sich hier in der Pflicht, die vorhandenen Arbeitsplätze zu schützen.“
So erklärt es Birgit Monteiro, die SPD-Bezirksstadträtin von Lichtenberg, in einer Pressemitteilung. Frei nach der Theorie der Gentrifizierung, wie sie von dem Soziologen Richard Florida vorgedacht wurde: Erst kommt die kreative Klasse, dann die Kapitalisten, die den Boden für Zahnärzte aus Kassel und Anwälte aus New York bereiten.
Und darum geht es konkret: Ausgerechnet kurz vor dem Berliner Gallery Weekend, einem der größten und wichtigsten Kunstereignisse der Hauptstadt, erreichte die Kunstsammler Barbara und Axel Haubrok ein Schreiben vom Bezirksamt Lichtenberg, das mit einem Bußgeld in Höhe von 500.000 Euro drohte, sollte das Ehepaar es wagen, auf seinem Areal, der Fahrbereitschaft, weiterhin öffentliche Ausstellungen zu realisieren.
Auf dem Gelände warteten einst die Staatskarossen im Dienste des real existierenden Sozialismus auf ihren Einsatz. Vor fünf Jahren haben die Haubroks, Anfang der 2000er Jahre von Düsseldorf in die Hauptstadt gezogen, die Liegenschaften von einem Privatinvestor gekauft und für rund vier Millionen Euro gründlich saniert. Entstanden war in der Folge ein einzigartiges Projekt, das sich von den altbekannten, die Gentrifizierung ganzer Stadtteile beschleunigenden Strategien auch bei näherer Betrachtung grundlegend unterschied.
Unter dem Marktüblichen
Das zum Zeitpunkt des Ankaufs ansässige klassische Gewerbe – die Autolackiererei, die Autowerkstatt, der Reifenhandel oder der Arbeiter-Samariter-Bund – wurde von Haubrok mit langfristigen Mietverträgen weit unter dem marktüblichen Preis ausgestattet. Alles sollte so bleiben, wie es war, nur besser und durchmischter, Platz genug gab es ja auf dem 18.000 Quadratmeter großen Areal.
Und so siedelte sich tatsächlich auch die kreative Klasse in Form von Architekten, Werbeagenturen, einer Modemarke sowie einem stadtbekannten Rahmenbauer an. Außerdem baute der Architekt Arno Brandlhuber jüngst eine leichte, lichtdurchlässige Halle in Form eines 100 Meter langen Riegels auf das Gelände. Dort und überall durchmischen sich, man muss es so platt sagen, wie in einer friedlichen Dorfgemeinschaft, die neuen und die alten Gewerke. Platz ist obendrein noch für 25 Künstlerateliers.
Nun aber macht die Stadt also Schluss. Wie ernst die Lage tatsächlich ist, sieht dieser Tage sogleich, wer von der Herzbergstraße auf das Gelände der Fahrbereitschaft einbiegt. Gleich hinter dem Eingangstor stehen dort zwei große, fest montierte Plakatwände zu je 3,5m x 2,5m – die eine zeigt den Lageplan des Komplexes, auf die andere hat Axel Haubrok den an ihn gerichteten Brief des Bezirksamts Lichtenberg im Original gedruckt. Alle sollen sehen, was ihm zur Last gelegt wird.
Und zwar: Zwei- bis dreimal jährlich nutzten die Haubroks die Fahrbereitschaft bis dato, um darin eigene Ausstellungen zu realisieren. Größtenteils speisten sich die Schauen aus ihrer umfangreichen, über Jahrzehnte gewachsenen Sammlung, gerade erst waren Papierarbeiten von unter anderem Martin Kippenberger und On Kawara zu sehen. Der Eintritt ist frei. Überall auf dem Gelände stehen Kunstwerke herum, man kann sie anfassen und mit ihnen interagieren – noch nie war das klassenkämpferische Ideal, Arbeiter und Handwerker der Kunst näherzubringen, eingelöster als hier. Warum also der Ärger?
Während wir über das weitläufige Gelände spazieren, erzählt Axel Haubrok von den Entwicklungen der letzten Jahre und Wochen, und er tut das mit Zurückhaltung. Schließlich kommt es einem beim Laufen durch die Gewerke tatsächlich vor wie in einer eingeschworenen Gemeinschaft – man winkt und grüßt, es scheint nicht so, als hätten sich die Lackierer und Handwerker gegen den großen Gentrifizierer verschworen. Damit könnte bald Schluss sein, das Schreiben der Stadt, das die Haubroks am 26. April um 16.10 Uhr erreichte, klingt entschlossen: „Diese Art der Veranstaltungen – Kunstaustellungen/Galerien, etc. – sind auf o. g. Grundstück bauplanungsrechtlich nicht zulässig und damit auch nicht genehmigungsfähig.“ Und weiter: „Bei Feststellung der wiederholten Nutzungsänderung ohne Genehmigung werden wir von dem Recht Gebrauch machen und ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Sie einleiten.“ Die ganze Palette des Baurechts wird aufgefahren.
Vier Jahre lang, erklärt Haubrok, habe man eine mündliche Vereinbarung mit dem Bezirksrat gehabt, jährlich zwei bis drei Ausstellungen auf dem Gelände zu veranstalten. Grundlage dafür war ein Duldungsbeschluss im Senat, eine tatsächliche Genehmigung zur Durchführung von Kulturveranstaltungen hingegen lag nie vor – doch Politiker wie der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) hätten ihn dazu ermutigt, weiterzumachen.
Neue Bewegung kam nun in die Sache, als Haubrok bei der Stadt die Genehmigung zum Bau einer Kunsthalle einholen wollte – wieder sollte Arno Brandlhuber den Entwurf machen, man wollte den gesamten Gebäudekomplex modernistisch rahmen. Jetzt schlugen die Alarmglocken, die Stadt fürchtete, so hat es den Anschein, die Totalgentrifizierung von Lichtenberg. Folgt man der Argumentation der Stadt, dann handelt es sich bei dem Areal Herzbergstraße 40 – 43 um ein Gewerbegebiet, und das Gesetz sieht vor, in einem solchen Gebiet das Gewerbe vor fremder Nutzung zu schützen – genauso gilt andersherum in einem Wohngebiet der Schutz der Anwohner.
Erteilte man den Haubroks nun eine generelle Genehmigung zur Durchführung kultureller Veranstaltungen, und die bräuchte es nicht zuletzt für den Neubau der Kunsthalle, würden die anliegenden fertigenden Gewerbe einerseits durch Lärm und ständige Besucher gestört, andererseits würde sich das gesamte Gebiet mittelfristig zu einem zweiten Williamsburg wandeln, und spätestens dann wäre es auch vorbei mit dem schönen Traum der Durchmischung.
Im Gespräch glaubt man Haubrok uneingeschränkt, dass eine „erhebliche Bodenwertsteigerung“ nie sein Ziel gewesen ist, denn er betreibt hier keine Immobilienspekulation. Den Bau der Kunsthalle hat Haubrok bereits abgehakt, und – Stand jetzt – geht davon aus, dass die laufende Ausstellung in der Tat die letzte bleiben wird, das war es dann mit Kunst in der ehemaligen Fahrbereitschaft. Seine größte Sorge ist, dass ohne Ausstellungen die Künstlerateliers abgewertet werden und mit ihnen der gesamte Spirit im Orkus der Geschichte verschwindet.
Chance zur Regulierung
Es ist schon eine groteske Situation: Kulturschaffende und Bohemiens, die anderswo tatsächlich oft als Motor von Stadtaufwertung und Gentrifizierung fungieren, das aber nicht wahrhaben wollen, regen sich über die Regulierungswut einer Politikerin auf (die für uns leider nicht zu sprechen war). Aber es wäre auch zu einfach, die Schuld ausschließlich bei einer als rückständig einzustufenden Bezirksverwaltung zu suchen.
Ja, man muss der Bezirksstadträtin den Vorwurf machen, sich inhaltlich nicht genug mit dem tatsächlichen Anliegen der Haubroks und der visionären Idee der Fahrbereitschaft auseinandergesetzt zu haben – andernfalls hätte man gewiss eine Lösung finden können und die Paragrafendrohkulisse wäre in sich zusammengebrochen.
Doch ist es andererseits verwunderlich, wenn eine Stadtverwaltung, die sich seit Jahren den Vorwurf anhören muss, sie tue nichts gegen die steigenden Mieten und die Verdrängung, dann doch einmal die Chance zur Regulierung ergreift und den Falschen erwischt?
Es ist eine Mischung aus vorauseilendem Gehorsam und dem Aktionismus eines gebrannten Kindes, dass das Bezirksamt Lichtenberg nun Ernst macht und dass mit der Fahrbereitschaft eines der spannendsten kulturellen und sozialen Projekte Berlins vor dem Aus steht. Vielleicht sind Leute wie die Haubroks damit so etwas wie die Bauernopfer der Gentrifizierung.
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