Nach allem, was wir bislang über die Conditio humana wissen, verbringen wir den größten Teil unseres Lebens zwischen wehmütiger Rückschau und sorgenvollem Blick in die Zukunft. Der Moment, davon erzählt jedes kulturelle Artefakt, lässt sich weder festhalten noch irgendwann einholen. Für den Künstler bedeutet das tragischerweise, dass es kein Zurück gibt zu früheren Produktions- und Geisteszuständen, die das Schaffen einmal leicht und angstfrei erscheinen ließen. Nicht wenige scheitern an diesem Problem, das Ergebnis sind enttäuschende bis miserable zweite Platten, Bücher und Filme.
Gerade deshalb aber ist der britischen Band Metronomy, genauer gesagt dem für jeden einzelnen Ton verantwortlichen Joseph Mount, etwas Bemerkenswertes gelungen: Ihr fünftes Album Summer 08 setzt auf mehreren Ebenen die Zeit außer Kraft.
Mount beschwört jenen Sommer, in dem für ihn mit dem zweiten Album Nights Out (2008) alles begann; die Anerkennung, der nationale und internationale Ruhm, der Erfolg der dann folgenden virtuosen Platten The English Riviera (2011) und Love Letters (2014). Seither, erklärt Mount, habe er an einem Album über jenen Sommer gearbeitet, sodass Summer 08 nun die zeitlose Quintessenz einer achtjährigen Produktionsphase darstellt.
Das Grandiose: Zu finden sind darauf all jene musikalischen Aspekte, die Metronomy groß gemacht haben, die eingängigen Kompositionen, das Analoge, die Orgeln, die unverwechselbare Stimme von Joseph Mount. Woran so viele Musiker verzweifeln, hier gelingt es: Summer 08 könnte mit seiner angstfreien Leichtigkeit das grandioseste Debütalbum des Jahres sein. Wir hören brandneue Stücke, die von einem längst vergangenen Sommer erzählen, als würde er uns gerade erst durch die Finger rinnen. Wenn das kein Kunststück ist!
Und noch eine Fähigkeit hat Joseph Mount nun endgültig zur Meisterschaft entwickelt. Bestaunen konnten wir sie schon 2011 bei Metronomys erstem großen Hit The Look. Einem rundum gelungenen Stück fügte er am Schluss ein Orgelsolo an, das bis heute wesentlich zum Ruhm der Band beigetragen hat. Man sollte einmal live erlebt haben, wie das Publikum diesem Part entgegenfiebert – Mount ist ein Meister des Finales. Ihm gelingt das Paradoxon, dass man sich das Ende eines geliebten Songs herbeisehnt, weil er erst dort seinen emotionalen Höhepunkt erreicht.
Mit Kopfstimme
Auf Summer 08 ist das bei mehr als der Hälfte aller Stücke so. Kaum ein Song, der im finalen Teil nicht noch einmal erschüttert. So wendet sich in den letzten Takten von Hang Me Out to Dry, einem poppig-leichten Duett mit der schwedischen Sängerin Robyn, mit einem Male das gesamte Stimmungsgerüst. Es ist eine der hinreißendsten Passagen, wenn Robyn singt: „Take me down lonely roads and to the old spots we know. / Yeah, we can go on and on when you’re behind the wheel.“
Es sind solche Miniaturen, die dieses gelungene Album zu einem so besonderen machen. Auch die fulminanten Tracks My House, Back Together und Mick Slow enden mit solchen Variationen, und plötzlich singt Mount dann mit Kopfstimme: „I’ve got something better / Perfect for this weather. / You and I together. / Might it last forever?“
Die endliche Dauer eines Moments, sie ist das eigentliche Thema dieses der Zeit enthobenen Albums. Und so wie die meisten großen Songs von Metronomy vom Ende her gedacht werden sollten, hat sich Joseph Mount die große Pointe zum Sommer 2008 für das Jahr 2016 aufgehoben. Might it last forever.
Info
Summer 08 Metronomy Because/Warner 2016
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