Wenn im Sommer Möwen über den Köpfen der Düsseldorfer schweben, wenn Jet-Skis und Schnellboote die nach frisch gebratenem Mittelmeerfisch duftende Rheinuferpromenade auf und ab brettern, wenn das Leben hier so schön, reich und easy erscheint, wird klar: Es gibt eine deutsche Riviera – sie liegt in Düsseldorf. Man muss nur fest daran glauben. Nur wer selbst mal in Düsseldorf gelebt hat, weiß, wie hoch die mediterranen Träume hier schon immer in den Himmel wuchsen.
So installierte im Jahr 2008 die Beuys-Schülerin Tita Giese für zwei Millionen Euro einen dauerhaft palmenbewachsenen Formel-1-Ring inmitten der Innenstadt. Ein Ort der puren Unvernunft, vor dem sich Passanten bis heute die Augen reiben. Immer wieder gehen die Palmen ein und werden durch neue ersetzt. Die rheinische Côte d´Azur muss refinanziert werden. An diesen Traum glauben sie hier alle, die Stadtplaner und Investoren, die Bürger und manchmal sogar die Künstler. Das ist hinreißend und größenwahnsinnig, wie wir jetzt am neuen Album der Band Stabil Elite miterleben können.
Azurblauer Pophorizont
Seit ihrem ersten Longplayer Douze Pouze (2012) inszenierten sich keine anderen Musiker derart unzweideutig als Düsseldorf-Produkt wie die Formation um Lucas Croon, Nikolai Szymanski und Martin Sonnensberger. Viel Lob bekamen die drei Musiker vor vier Jahren für ein Debüt, das sich ganz bewusst auf eine Ahnenreihe von Kraut bis Kraftwerk bezog. Die Referenzen waren eindeutig, das Ganze zweifelsfrei virtuos umgesetzt, aber eben auch retrospektiv. Was man auf Douze Pouze bestaunte, war die aktualisierte Vergangenheit einer musikhistorisch gut bekannten Düsseldorfer Altstadt. Auf ihrem gerade erscheinenden zweiten Album jedoch ist alles anders, nur die Plattenfirma und die gut sitzenden Hemden sind gleich geblieben.
Es klingt nach Zukunft, mindestens nach Gegenwart – denn Band und Stadt treffen sich nun in ihrer gemeinsamen Vision von der Riviera am Rhein. Fast alles am neuen Album Spumante klingt, als wäre es an Deck einer vor Saint-Tropez ankernden Segelyacht aufgenommen. Schon der südenglischen Band Metronomy gelang es mit The English Riviera (2011) genau dort, wo man es nun wirklich nicht erwartet hätte, einen azurblauen Pophorizont aufzustoßen. Beide Alben lassen sich durchaus miteinander vergleichen, auch wenn Spumante bei all den samtweichen Synthesizern, den funkigen Gitarren, den Steeldrums und den unironisch eingesetzen Saxofonen doch extravaganter geraten ist.
Das liegt nicht zuletzt an dem gewöhnungsbedürftigen Gesang, der wie schon auf Douze Pouze immer wieder ins Schiefe abzukippen droht und auch vom Timing nie so recht zu passen scheint. Man könnte das bemängeln, weil auch die Texte nicht selten von einer uninspirierten Gleichgültigkeit geprägt sind. Doch der zunächst ungenügend erscheinende Gesang stellt auf Spumante das notwendige Gegengewicht zu den fast schon zu perfekten Kompositionen und Arrangements dar. Wer sich auf die Platte einlässt, auf die Leichtigkeit, die sich einstellt nach dem ersten Glas des namensgebenden italienischen Schaumweins, entdeckt große Songs. Das beginnt bei der Doppel-Single Alles wird gut / Spumante, in der es um Landflucht und Strandvillen geht, aber eben nie so ernst und bieder wie bei Peter Fox, sondern eher so wie man es sich in einem Film von Jacques Deray vorstellen würde. „Kühle Seide am Morgen, was du brauchst ist ein Schluck. / Lass sie unehrlich sein, es fährt ein Zug zurück“, heißt es darin.
Instrumental entwickelt alles eine hinreißende Kraft. Häufiger sollten wir künftig bei Sonnenschein über den Boulevard flanieren und dabei den Titel Pool hören: Auch hier landen wir wieder bei Jacques Deray und seinem Saint-Tropez-Film The Swimming Pool, 1969 mit Alain Delon und Romy Schneider verfilmt. An Verweisen auf das, was man problemlos als so etwas wie Yacht-Pop bezeichnen könnte, fehlt es an keiner Stelle. Und noch etwas macht Spumante gleich beim ersten Hören unverwechselbar: der angstfreie Einsatz von Saxofonen. Gefühlt jedes zweite Stück endet mit einem minutenlangen Solo, wie man es schöner und aufrichtiger in keinem Stück von Sade oder Rick Astley finden könnte.
Es ist bemerkenswert, welche Richtungen diese Platte einschlägt, um dann am Ende doch ein stimmiges Bild von sich und einer sorgenfreien Gegenwart zu entwerfen. So heißt es in Zeitzonen: „Was hast du außer Koffern zu verlieren?“ In der hier besungenen Welt der Orangenbäume, der Terrassen und der Hochmütigkeit ist kein Platz für Zweifel. Vielleicht ist es in diesem Sinne das beste Album zur richtigen Zeit, aus einer völlig unterschätzten Stadt.
Im wohlhabenden Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel bauen sie seit Jahresbeginn inmitten einer 20.000 Quadratmeter großen Parkanlage ein exquisites Wohnquartier, das laut Angaben der Bauherren „die mediterrane Stimmung und Lebensfreude der 50er Jahre“ aufleben lassen will. Es heißt: „Riviera“. Zum Einzug sollte jeder Bewohner ein Exemplar dieses vorzüglichen Albums in den Briefkasten bekommen.
Info
Spumante Stabil Elite Italic/Rough Trade
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