Nimmer? Immer.

Ausstellung Wie vielfältig die Bildsprache dissidenter Kunst in der DDR war, zeigt die Schau „Gegenstimmen“ mit rund 160 Werken im Berliner Martin-Gropius-Bau
Ausgabe 30/2016

Ganz so, wie die DDR historisch betrachtet an einer Mauer scheiterte, endet auch die Ausstellung Gegenstimmen im Berliner Martin-Gropius-Bau folgerichtig vor einer Wand. Die darin eingelassene Tür bleibt den Besuchern verschlossen. Nur dem uniformierten Aufsichtspersonal öffnet sie sich sporadisch. Wie der real existierende Sozialismus findet die Ausstellung ihr Ende in einer Sackgasse – das aber, so viel darf schon verraten werden, gilt nicht programmatisch für die Schau, sondern ist vielmehr eine schlaue Entscheidung der Kuratoren. In umgekehrter Raumfolge geht es von hier aus zurück zum Eingang, dabei nicht nur erneut vorbei an den 160 Werken dissidenter ostdeutscher Kunst, sondern auch an Erich Honeckers tragikomischem Ausruf von 1989, der in einem Raum auf die Wand gesetzt wurde: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“

Die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und der Fall der Mauer 1989 markieren die historische Klammer der Ausstellung. „Als Biermann ausgewiesen wurde“, wie A. R. Penck auf einer der zahlreichen Wandtafeln mit zeitgenössischen Erinnerungstexten zitiert wird, „konnte man von einer deutlichen Zäsur sprechen. Davor gab es eine Zeit des Experimentierens: Was tut der Staat, wie reagiert er, wenn ich was unternehme. Dieses Prinzip der Dialektik ist nun vorbei (…) Jede Hoffnung auf Veränderung ist nun ausgeschlossen.“

So zeichnet die Ausstellung das Bild einer für immer abgeschlossenen Mikroepoche, in der es für die Künstler einerseits kein legales Entkommen gab und die mit dem Fall der Mauer andererseits ihr Ende fand. Zu zeigen, dass es gerade in dieser Zeit zahlreiche Künstlerinnen und Künstler gab, die nicht vom Diktat des Sozialistischen Realismus usurpiert wurden, sondern widerständige Kunst unter dem Radar des Staatsapparats hervorbrachten, ist dabei das erklärte Ziel der Kuratoren Eugen Blume und Christoph Tannert.

Wer indes ausschließlich Kunstwerke erwartet, die politischen Protest mit einer politisch aufgeladenen Bildsprache formulieren, wird überrascht sein. Neben Gemälden, die recht unverhohlen die Gängelung der Kunstschaffenden durch den Staat thematisieren – etwa Hans-Hendrik Grimmlings gewaltvolles Triptychon Die Umerziehung der Vögel oder sein Selbstbildnis Ich in Leipzig, das den Künstler in Zwangsjacke zeigt –, sind viele der ausgestellten „Gegenstimmen“ in ihrem bildlichen Ausdruck bemerkenswert unpolitisch.

Recht auf Diskurs

Sie zeugen von der Idee des Weitermachens trotz aller Widrigkeiten und zeigen Haltung etwa in der (im Westen selbstverständlichen) Auseinandersetzung der Kunst mit sich selbst. In einer Gesellschaft, in der alle Bereiche des Lebens und insbesondere die Kultur als politisch verstanden wurden, ist die unpolitische Erscheinung der „Gegenstimmen“ nicht zu unterschätzen. Hans Broschs Diptychon Airport aus dem Jahr 1978 hängt in der Ausstellung zwar gegenüber einer Kopfhörerstation mit Songs von Untergrundbands in der DDR, jedoch wäre Brian Enos im selben Jahr veröffentlichte Komposition Music for Airports, eine Wegmarke der Minimal Music, der passendere Soundtrack zu diesem abstrakt-minimalistischen Gemälde.

Beim Rundgang durch die Ausstellung drängen sich unweigerlich Parallelen zur Kunst im Westen auf, man erinnert sich vielleicht an Jörg Immendorffs Gemälde Wo stehst du mit deiner Kunst, Kollege? von 1973. Die Figur eines politisierten Künstlers weist einem Malerkollegen, der in der Einsamkeit seines Ateliers an Werken arbeitet, den Weg nach draußen auf die Straße, wo ein Demonstrationszug für bessere Arbeitsbedingungen protestiert. Die Gegenstimmen zeigen auch das Gegenteil: Künstlerinnen und Künstler, die sich entgegen den Vorgaben des totalitären Staats das Recht herausnehmen, sich mit kunstimmanenten Diskursen zu befassen, während draußen der inszenierte Parteiumzug stattfindet.

Im Begleittext zu seiner Arbeit Vom Untergang der Titanic von 1982 erklärt Lutz Friedel, er habe „die an Banalität und Kleingeist scheiternde Utopie eines sozialistischen Staates mit Werken zu verändern“ gesucht. Zugleich stellt er fest: „Ich war nicht naiv, aber meine Vorstellung, die Subversion würde bemerkt und kritisch diskutiert, war einfältig.“ Für die Schwierigkeit, vielleicht sogar Unmöglichkeit eines Dialogs (mit der Staatsmacht) hat Reinhard Stangl 1987 in einer Gemeinschaftsarbeit mit Hans Scheib unter dem Titel Das Gespräch ein starkes Bild geschaffen. Vor dem Gemälde einer diffusen Figurengruppe sitzen sich zwei Holzfiguren gegenüber. Dabei steht der ausschweifenden Gestik der einen Figur die stille, durch Denkerpose unterstrichene In-sich-Gekehrtheit der zweiten gegenüber. Es ist ein sehr einseitiges Gespräch, das hier, in der Mitte des Ausstellungsparcours, gezeigt wird – wir können es so verstehen, dass der Weg in die Sackgasse DDR schon früh eingeschlagen wurde, spätestens mit dem Jahr 1976.

Wenn man nicht gerade zum Personal gehörte, gab es keinen Weg nach draußen, hinter die Mauer, nur die Hoffnung auf eine Veränderung der Situation, die jedoch erst mit dem vollkommenen Untergang des Staates viel grundlegender eintreten sollte.

Auf dem Rückweg zum Ausstellungseingang lesen wir plötzlich auf einem der großen, hoch angebrachten Wanddrucke ein Zitat von Bob Dylan: „There must be some way out of here“, es war ein frommer Wunsch. Hier endet die Geschichte.

Info

Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976 – 1989 Martin-Gropius-Bau Berlin, bis 26. September

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Geschrieben von

Timon Karl Kaleyta, Vincent Schmidt | Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

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