Prima für den Schulunterricht

Audiokassette „Science Fiction Park Bundesrepublik“ dokumentiert das vielleicht visionärste Kapitel deutscher Popmusik
Ausgabe 48/2014

Die Zeit der großen Utopien ist vorüber, sagt man. Stimmt vermutlich. Wo eine Gesellschaft nicht mehr in Alternativen denkt, hat die Vision einen schweren Stand. Die Zukunft als besseren, wünschenswerteren Ort zu imaginieren, fällt offenbar schwer. Wenn aber die Sicht nach vorn verstellt ist, kann ein Blick in die Vergangenheit helfen, wie ihn der Künstler Felix Kubin propagiert. Auf der nun beim Label ZickZack erscheinenden Kompilation Science Fiction Park Bundesrepublik versammelt Kubin 25 größtenteils unbekannte und unveröffentlichte Stücke aus den frühen 80er Jahren, dem deutschen Kassettenuntergrund. Eine Zeit radikal neuer Sounds und Texte – visionäre Zukunftsmusik.

Es ist eine nicht zuletzt auf technischen Erfindungen basierende Geschichte über die vielleicht innovativste Strömung deutscher Musik, an deren Ende Bands wie Fehlfarben, DAF oder Palais Schaumburg stehen werden. Und diese Geschichte geht so: Durch den ersten bezahlbaren Vier-Spur-Kassettenrekorder bemächtigt sich die Jugend ab 1979 rigoros der Produktionsmittel, eine kleine Marx’sche Revolution. Fortan benötigt man für das Mixing kein teures Studio mehr – Keller, Keyboard und Drumcomputer genügen. Innerhalb kürzester Zeit entsteht eine turbulent wachsende Untergrundbewegung. In der Fortführung des Punk und des New Wave entwickelt sich die eigentliche Neue Deutsche Welle, eine Stilrichtung weitab des Mainstreams, die für einen kurzen Moment kein Halten mehr kennt. Der Rekorder läuft für uns mit.

Dabei sind einige der hier versammelten Stücke schlicht unhörbar, aber darum geht es nicht. Die naiven Arrangements und dadaistischen Texte haben eine eigene Anziehungskraft und sind nicht selten wahnsinnig komisch, wenn beispielsweise Plastiktanz singen: „Ich will einen Pelikan. Hier ist meine Unterschrift.“ Wir sehen den ästhetischen Urboden, auf dem später sowohl Helge Schneider als auch die Hamburger Schule ihr Feld bestellen werden.

Der Plan, Fehlfarben, DAF

Faszinierend an der Platte ist nicht zuletzt ihr archivarisches Moment. Es scheint, als hätte jeder der vertretenen Künstler auch in der Band des anderen gespielt, alles überschneidet sich. „Zwei Leute waren im Schnitt zehn Gruppen“, heißt es im Pressetext. Auch bekannte Namen sind darunter, wir finden Stücke von Holger Hiller (Palais Schaumburg) und Chrislo Haas (DAF, Der Plan) sowie von Kurt Dahlke aka Pyrolator (Der Plan, Fehlfarben, DAF), dem Gründer des Düsseldorfer Labels Ata Tak.

Selbst Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner ist mit seinem Projekt „Das Glück“ und dem hypnotischen Stück „Die Bombe“ Teil der Party, so also fing es an. Stellt man sich die Utopie als einen Ort vor, an dem alles gedacht, alles gesagt und alles gemacht werden kann, als einen Ort der unbeschränkten Kreativität also, dann vermittelt diese Platte eine Idee dessen, was möglich ist. In einem Interview sagt Felix Kubin, er glaube nach wie vor an die Utopie. Man müsse nur unaufhörlich im Ideenreichtum der Vergangenheit nach Zukunftsmodellen suchen, alles war schon da.

Wir waren also schon mal näher dran, lässt Kubin uns mit Science Fiction Park wissen und meint das ganz praktisch, wie man lesen kann: „Prima für den Schulunterricht geeignet“, heißt es da. Und wo sonst sollte man beginnen, von einer anderen Welt zu träumen?

Science Fiction Park Bundesrepublik Various ZickZack 2014, CD 21,99 €, Vinyl 22,99 €

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Geschrieben von

Timon-Karl Kaleyta | Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

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