In einem alten Witz wendet sich ein Vater, so wohlhabend wie
verzweifelt, an seinen besten Freund: „Meine Tochter ist mit einem Kommunisten durchgebrannt. Was soll ich tun?“ „Schenk ihm 100.000 Mark“, antwortet der Freund, „dann ist er kein Kommunist mehr“.
Vielleicht ist es tatsächlich so, dass Besitzstandswahrungen dort beginnen, wo es an die eigene Tasche geht, dass der Wunsch nach gerechter Verteilung dort am stärksten ist, wo es nichts zu holen gibt. Mag alles sein.
Eine ganz andere Erzählung über Besitz und Verteilung, vor allem aber über Ideale und Überzeugen erfahren wir in der Lebensgeschichte des Mäzens Felix Weil, die nun – man möchte sagen endlich, endlich, endlich! – die deutsche Ethnologin Jeanette Erazo Heufelder in einem faszinierenden Band aufgeschrieben hat.
Es geht, so banal ist das manchmal, um die Frage, woher eigentlich das Geld kam, das es Horkheimer, Adorno und Co. ermöglichte, das Frankfurter Institut für Sozialforschung aus der Taufe zu haben, es über den Krieg zu retten und es unter dem Label Frankfurter Schule zu Weltruhm zu führen – irgendwie hatte sich dafür bislang niemand so wirklich interessiert.
Im Zentrum von Der argentinische Krösus – Kleine
Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule (Berenberger) steht Felix Weil, millionenschwerer Sohn des jüdischen Auswanderers Hermann Weil, der Ende des 19. Jahrhunderts Deutschland verlassen hatte, um in Argentinien ein Weizen-Imperium aus dem Boden zu stampfen.
Hineingeboren in die Privilegien eines Lebens, das ihm absolute Unabhängigkeit bietet, entwickelt Felix Weil revolutionäres Gedankengut – er sinniert früh über Fragen der Ungleichheit, fragt sich „wie Freundschaften funktionieren sollen, wenn einer allein in einem riesigen Haus wohnen durfte, und der andere sich ein kleines Zimmer mit seiner ganzen Familie teilen musste“, so Erazo Heufelder.
Er aber wird es nicht bei Salon-Marxismus belassen, er verlässt die argentinischen Anwesen und geht zum Studium nach Tübingen – hier wächst sein marxistischer Geist, und gemeinsam mit u.a Karl Korsch, Georg Lukazcs, Friedrich Pollock und dem späteren Sowjet-Spion Richard Sorge organsiert er 1923 die „Erste Marxistische Arbeitswoche“ – es ist der Startschuss zur Gründung des Instituts.
Bemerkenswert ist die Rolle des Vaters. Obgleich dieser, Kapitalist durch und durch, den Sohn als seinen Nachfolger installieren will, unterstützt er doch die Überzeugungen des Filius. Er schließt einen Stiftungsvertrag mit der Gesellschaft für Sozialforschung und verfügt, dass jährlich und unbefristet 30.000 Dollar zur Aufrechterhaltung des Betriebs überwiesen werden.
Aus Loyalität dem Vater gegenüber versucht Felix den absurden Spagat, die Firmengeschicke in Argentinien zu lenken und gleichzeitig Revolution zu machen. Es mag ein Grund dafür sein, dass er selbst nicht die analytische Tiefe seiner Mitstreiter erreichen wird.
Was ihn anspornt ist „eine Leidenschaft für die Enterbten“, wie Karl Korsch es einmal formulierte sowie das Ziel „eine Gruppe junger Menschen zusammenbringen, die durch ihre Forschungen und ihr Denken die Gesellschaft zu verändern versuchten“, so Erazo Heufelder.
Bisweilen lesen sich die knapp zweihundert Seiten als spannende Wirtschaftsgeschichte, geht es doch darum, das Imperium vor den Nazis zu schützen. Zu diesem Zweck überführt Felix Weil die Firma seines Vaters nach dessen Tod Ende der 20er Jahre in eine komplexe Investmentfirma, gründet 1930 unter anonymer Verfügung eine ähnliche Unternehmung in Rotterdam und führt hier sämtliche Vermögen der Familienstiftung zusammen.
1935 – die Nazis haben den Sitz in Frankfurt längst geschlossen, und der Umzug nach New York ist in vollem Gange – vollzieht Felix Weil den radikalsten Schritt und überschreibt auch sein pivates Vermögen dem Institut. „Freiwillig“, schreibt die Autorin, „gab er die Freiheit eines wirklich reichen Mannes auf“. Es ist die Voraussetzung dafür, dass Horkheimer und Adorno in den USA reüssieren und 1951 nach Frankfurt zurückkehren können.
Bis zu seinem Tod in bescheidenen Verhältnissen (1975) ist er der Überzeugung, dass es „auch ein Triumph Hitlers gewesen wäre, wenn er, der Stifter, sich in den Jahren der Verfolgung vom Institut distanziert hätte.“
Felix Weil aber war nicht nur „the man with the money“, er war, wie die Autorin schreibt, „der geborene Mäzen“, getrieben von dem Wunsch, die (gesellschaftliche) Distanz zu überwinden, die sein Reichtum stets zwischen ihn und andere gestellt hatte.
„Auf die Frage eines Cousins“, so Erazo Heufelder, „warum er als Kommunist nicht konsequenterweise sein Geld verschenke, hatte Felix Weil schon als Student geantwortet, wenn er das täte, würde er seine Position als Kommunist schwächen.“
Nein, nichts spricht dagegen, reicher Marxist zu sein. Streng genommen gibt es dazu gar keine Alternative.
Info
Der argentinische Krösus Jeanette Erazo Heufelder Berenberg 2017, 208 S., 24 €
Die Bilder des SPezials
Nadine Kolodziey, Jahrgang 1988, zählt zu Deutschlands talentiertesten Illustratorinnen. Ihre Perspektive ist laut, grell und rätselhaft: „Ich mag es, wenn meine Arbeiten einen schmutzigen, leicht punkigen Stil haben“, sagte die Grafikdesignerin dem Magazin Page. Für Salto Magazine bereist Kolodziey in jeder Ausgabe eine neue Stadt und dokumentiert ihre Beobachtungen grafisch und mit Texten. Dabei legt sie nicht nur die Zeichnung in vielen Ebenen übereinander – auch der Text der Kurzgeschichten ist zur Hälfte in Deutsch, zur Hälfte in Englisch gehalten und kann einzeln wie zusammen gelesen werden. Erschienen, in limitierter Auflage, sind: Salto #1 Berlin und Salto #2 Tokyo. Für das kommende Salto #3 ging es nach Osaka. Mehr Informationen auf nadinekolodziey.com
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