Vater Dickkopf

Pop Josh Tillman alias Father John Misty schenkt uns eine sinnliche dritte Platte. Musikalisch bewegt sie sich zwischen Folk, Country und Elton John
Ausgabe 16/2017

Josh Tillman, bekannt durch tadelloses Aussehen und weit offene Hemden, noch bekannter als Drummer der Band Fleet Foxes und schließlich am allerbekanntesten durch sein Künstlerego Father John Misty, beschenkt uns mit einem dritten Solo-Album. So viel sei verraten: Wir sollten ganz genau hinhören. Diesmal geht es ums Ganze.

Frisch rasiert hat sich Tillman, und auch sonst ist vieles anders, nur ein kleiner, metaphorischer Schnurrbart ist übrig geblieben vom Zyniker, der auf seinem letzten Album Liebesliedern folgende Form zu geben pflegte: „Everything is doomed / And nothing will be spared / But I love you, honeybear.“ Schon immer besaß er ein Gespür für Sollbruchstellen, davon zeugen Songtitel wie The Night Josh Tillman Came to Our Apartment oder I Went to the Store One Day. Es war diese Form des Nihilismus, die seine Fans schätzten; nicht selten waren die Songs sogar tanzbar.

Doch von beidem ist auf Pure Comedy nicht viel geblieben. Tillman hat eine sinnliche Platte gemacht, musikalisch irgendwo zwischen Folk, Country und Elton John, die Hybris hat er mit einer Beschwörung menschlicher Urzustände ausgetrieben.

So gerät gleich der Einstieg in die Platte fulminant, und wir müssen uns den Luxus gönnen, die ersten Zeilen aus dem gleichnamigen Song ungekürzt zu zitieren: „The comedy of man starts like this: / Our brains are way too big for our mother’s hips / So, nature, she devised this alternative: / We emerge half-formed and hope whoever greets us on the other end / Is kind enough to fill us in.“

Es scheint, als hätte er versucht, das gesamte menschliche Drama auf CD zu bannen – auch Gott wird immer wieder adressiert, und es ist wohltuend, in der Popmusik mal nicht einen zynischen, sondern einen theologischen Umgang damit zu erleben. In When the God of Love Returns There’ll Be Hell to Pay heißt es: „We crawled out of the darkness / And endured your impatience / We’re more than willing to adjust / And now you’ve got the gall to judge us.“ Man merkt dem US-Amerikaner seine baptistische Erziehung an.

Visuell gestaltet hat Pure Comedy Ed Steed, dessen detailreiche Illustrationen aus dem New Yorker bekannt sind. Zwar ist das Artwork der Platte bemerkenswert, doch mischen sich im Video zu Pure Comedy die Zeichnungen mit banalen Youtube-Schnipseln sowie, natürlich, Donald Trump. Selten wurde ein so feiner Song so schamlos mit dem Holzhammer bebildert; die einzige Überraschung des Videos ist, dass keine Einhörner vorkommen.

Nur beim flüchtigen Hören könnte man meinen, Father John Misty diene sich dem Zeitgeist an, gerade weil die Texte durchsetzt sind von aktueller politischer Rhetorik – an unterschiedlicher Stelle fallen umkämpfte Begriffe wie Homophobie, Feminismus, Kapitalismus und Industrie. Sehr präzise aber gelingt die Brechung liberaler Gewissheiten, so auch in Birdie: „Soon, we’ll live in a global culture devoid of gender or race / There’s just one tiny line: / You’re either born behind / Or you’re free to peek inside.“ Tillman weiß, dass auch progressive Umwälzungen Verlierer produzieren. Betrachtet man die gegenwärtige Demonstrationskultur der jungen, hübschen, gut ausgebildeten Globalisierungsgewinner, die an der Welt zwar alles, an den sozioökonomischen Ursachen aber eher nichts verändern wollen, könnte da was dran sein. Wer gehört zur Global Culture, und wer wird aussortiert?

Prominent zieht sich auch das Thema Digitalisierung durch die 13 Songs. Das ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil sich das Sprechen darüber so anachronistisch an der Folkmusik bricht. „When the historians find us we’ll be in our homes / Plugged into our hubs / Skin and bones“, heißt es in Total Entertainment Forever. Viel ist die Rede von sich in Newsfeeds und Feedback-Schleifen verlierenden Individuen, und immer wieder die Frage: Was ist der Mensch?

Misty hat dafür ein paar naheliegende, schöne Antworten gefunden. Der Mensch sei nichts als „a species born with a half-formed brain“, die auf einem unbedeutenden Felsen durchs Weltall irrt. Das menschliche Dasein ist traurig, sinnlos und banal – doch darin liegt seine Würde, früher nannte man das mal Demut. Die Platte richtet sich gegen eine Fortschrittsideologie, die menschliche Paradoxien als ein biotechnologisch zu lösendes Problem identifiziert. So heißt es ironisch in Birdie: „Oh, that day can’t come soon enough / It’ll be so glorious. / When they finally find out what’s bugging us.“

Eine besondere Erscheinung auf diesem besonderen Album ist dann noch einmal The Memo, das auf kleinem Raum das Prinzip der Platte enthält. Musikalisch hören wir einen Country-Song, während Tillman singt: „I’m gonna steal some bedsheets / From an amputee / I’m gonna mount ’em on a canvas / In the middle of the gallery / I’m gonna tell everybody / It was painted by a chimpanzee.“ Und plötzlich kippt der Song, wird fragmentarisch elektronisch, verzerrte Stimmen teilen ihren Subtext mit uns, und für einen Augenblick wird der Programmiercode hinter der Simulation sichtbar. Das Ursprüngliche war eine wohlige Illusion, „A world written in lines of code“, er stellt sie sich als den finalen Horror vor.

Und dann ist man wieder ganz am Anfang der Platte, bei Pure Comedy, beinahe seufzend teilt Tillman uns die naheliegendste Antwort mit – wie oft muss man es noch sagen? „I hate to say it / But each other’s all we’ve got.“

Info

Pure Comedy Father John Misty Pias Coop/ Bella Union/ Rough Trade

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Timon Karl Kaleyta

Timon Karl Kaleyta, in Bochum geborener Autor und Musiker, gründete 2011 in Düsseldorf das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ.

Timon Karl Kaleyta

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