Ein Schiff legt ab

Kehrseite I Buona Sera, meinte ich zum Barkeeper, als ich aufs Außendeck kam, und er fragte mich, ob ich Italiener sei. Und warum ich dann Buona Sera sage. Weil ...

Buona Sera, meinte ich zum Barkeeper, als ich aufs Außendeck kam, und er fragte mich, ob ich Italiener sei. Und warum ich dann Buona Sera sage. Weil ich gerade aus Italien komme, habe ich gesagt, und an Land gezeigt. Da ist Italien und hier ist schon Schiff. Es hat mich sehr bewegt, beim Beladen der Fähre mit unzähligen Lkws und winzigen Fußpassagieren zuzusehen. Auf einem Lkw stand "Frisches Obst und Gemüse vom Niederrhein". Eulen nach Athen tragen.

Die Fußgänger gehen durch eine Tür ins Schiff, die im Verhältnis zum Schiffskörper nur eine Pore ist. Ich habe dem zugesehen, mit dem Staunen eines Kindes, erst von der Mole, später vom Schiff aus, das Kinn auf der Reling, einfach das Passieren zu sehen, das Große daran, das Enorme, das Weite, das Maßstablose, die Ferne darin. Das Bewegende von Bewegung: Ein Zug fährt ein, ein Lkw fährt auf die Rampe, ein Signalboot legt ab, ein Kutter legt an, eine Fischereiflotte fährt ein, eine Fähre fährt ab. Gleich geht das Winken los.

Ich erinnere mich an das Winken, als ich einmal von Salina nach Napoli gefahren bin, immer wenn die Fähre ablegte von einer der Inseln. Alle winkten und ich habe auch gewunken, mitgewunken. Es sieht ja keiner, wenn einer winkt, obwohl er keinen hat, der zurückwinkt. Das Winken gilt immer auch dem Land, dem Festland, das man verlässt. Wer weiß, wie viele von denen, die gleich winken werden, wirklich jemanden unten stehen haben, der zurückwinkt. Oder wie viele von denen, die unten stehen und zum Schiff hoch winken, wirklich jemanden verabschieden.

Das Enorme, wenn ein Schiff ablegt: Als würde ein Stück Land losgerissen und abtreiben. Das Riesige dieser Fähren. Von ihnen aus gesehen sieht das Land aus wie nur ein anderes Schiff. Und dann bewegt sich dieses Schiff plötzlich, verschiebt sich diese Kulisse, drehen sich die Häuser um die eigene Blickachse. Gleich zwei solcher Pötte haben heute Abend abgelegt auf ihrer Nachtfahrt über die Adria. Als die erste Fähre ablegte, sah ich die Schatten der Zuschauer von unserem Schiff an der Wand des anderen entlang ziehen und erkannte unter den vielen sofort meinen eigenen und winkte. Und er winkte zurück. Als wir dann ausfuhren, habe ich einen weinen gesehen mit beiden Händen vor dem Gesicht und habe unten am Kai auch die gesehen, um die er weinte. Sie stand neben dem Auto, vor der offenen Beifahrertür, durch die er herausgesprungen und als Letzter noch aufs Schiff gekommen war.

Tobias Hering lebt in Berlin und schreibt, wenn er kann.


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