Nosferatu. Dieser Name allein kann das Blut erstarren lassen. Sprich ihn niemals laut aus!", warnte Friedrich Wilhelm Murnau zu Beginn seines düster-poetischen Films, der stilbildend wurde für das Vampirfilm-Genre. Der unglückliche Held Jonathan Hutter freilich gibt nichts auf die Ammenmärchen - und wird von dem blutrünstigen Grafen ausgiebig zur Ader gelassen. So gibt es manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehen. Elias Merhige verschiebt die Parameter ein wenig und präsentiert in seinem fiktiven Dokumentarfilm Shadow of the Vampire einen Murnau, der weit mehr im Schilde führt, als einen Gruselfilm zu drehen. Als gäbe es manche Sachen, die wir getrost belachen, weil wir sie nur im Kino sehen.
Murnaus Nosferatu weist eine Reihe von Merkwürdigkeiten auf, die teils den technischen Beschränkungen zuzuschreiben sind, unter denen vor 80 Jahren Filme gemacht wurden, teils der Fantasie des Regisseurs. Murnaus Spiel mit Licht und Schatten steht aber auch in einer beunruhigenden Komplizenschaft mit den Furchen im fahlen Gesicht seines Hauptdarstellers Max Schreck. In Shadow of the Vampire spekuliert Merhige, dass der Pakt zwischen den beiden Exzentrikern weit darüberhinaus ging, was üblicherweise in Schauspielerverträgen geregelt wird. Murnau ist hier ein Besessener, bereit, im Namen der Kunst nicht nur sprichwörtlich über Leichen zu gehen. Und Max Schreck ist tatsächlich der Vampir, den er spielen soll. Als Lohn dafür, dass er während der Dreharbeiten so tut, als sei er lediglich ein verschrobener Schauspieler, der das Tageslicht meidet, verspricht ihm Murnau das Blut seiner Mitarbeiter.
Wie Murnau seinerzeit mit dem Mythos des Vampirs, spielt Merhige nun mit den Myhten der Filmgeschichte. Dürstet es den Schauspieler nicht ebenso nach Unsterblichkeit, wie den Vampir? Ist dieser nicht auf das Blut der Lebenden angewiesen, wie jene auf das Zelluloid, das ihren Tod überdauern wird? Wenn die Kamera läuft, verdoppelt sich die Zeit, wird ein kurzer Ausschnitt dessen, was vergeht, dem Vergessen entzogen. Wenn aber der Moment vorbei ist, bleibt von ihm nur noch die Kopie. "Sie saugt mir das Leben aus!" ruft Murnaus Star Greta Schröder beim Anblick der Kamera. "Aber sie wird dir das ewige Leben schenken", verspricht ihr Murnau mit einem Schmunzeln und dreht die Kurbel. Mit einer ebenso simplen wie amüsanten Geste übersetzt Merhige das Bedeutungsspiel aus verborgenen Ängsten und irrationalen Abhängigkeiten von der Ebene der Filmerzählung auf die des Filmemachens.
Er weiß dabei, dass auch sein Film wiederum vom dekonstruktivistischen Bedeutungsstrudel nicht unberührt bleibt. Das beweist die Besetzungsliste, die den kollektiven Fantasien der jüngeren Filmgeschichte entsprungen ist. Wer könnte besser geeignet sein, den unter Realitätsverlust leidenden Regisseur zu verkörpern, als John Malkovich, der bereits das Vergnügen hatte, in seinem eigenen Kopf zu verschwinden? Und lief Willem Dafoes Leinwand-Karriere als mysteriöse Erscheinung im Halbdunkel nicht darauf hinaus, dass er früher oder später den Vampir gibt? Und wer könnte all diese Verstrickungen von Figur, Charakter und Mythos besser verstehen, als Udo Kier, der hier Murnaus Produzenten Albin Grau spielt, nachdem er von Hitler bis Dracula bereits das Böse in allen Varianten verkörpert hat?
Malkovich und Dafoe spielen Murnau und Schreck als eine gothic Variante des Gespanns Faust/Mephisto: Schreck wird für Murnau zu dem Geist, den er rief und nun nicht mehr los wird. Er geht den Pakt mit dem Untoten ein, weil er hofft, dass dessen Blutdurst ihm den Weg von der Fiktion zur Realität weisen wird. Geschüzt vom Studiolicht und seinem Ruf, ein schräger Vogel zu sein, soll sich der Vampir in einer fulminanten Schlussszene outen und am Blut seiner Schauspieler-Kollegen laben - bevor das Tageslicht ihm vor laufender Kamera den Garaus macht. Murnau/Malkovich wird am Ende übrig bleiben, benommen an der Kurbel drehend, deren Surren vom Verrinnen der Zeit erzählt. Für einen Moment ahnt man etwas von der Beziehung zwischen Film und Tod.
Bisweilen ist Shadow of the Vampire eine recht scharfsinnige Reflexion über das Verhältnis von Fiktion und Realität im Film. Aber selbst die ästhetische Anlehnung an Murnaus expressionistische Bilderwelt kommt noch mit einem Augenzwinkern daher und so ist das Ganze eher vergnüglich, als furchterregend. Aber vielleicht ist diese Harmlosigkeit nur eine neue Variante der Bedrohung. Vielleicht werden wir es ja irgendwann bereuen, den Namen Malkovich laut ausgesprochen zu haben.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.