Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, einen Bericht über mein äffisches Vorleben zu geben." Unlängst wurde die Schatzmeisterin der SPD, Inge Wettig-Danielmeier, vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Parteienfinanzierung in den Zeugenstand gerufen. Am gleichen Abend hatte nur einen Steinwurf entfernt George Taboris Inszenierung von Kafkas "Bericht für eine Akademie" Premiere im Berliner Ensemble. Peter Radtke wand sich spuckend und prustend in der Rolle des Affen. "Bitte riechen Sie selbst! Hier auf der Brust! Tiefer, die Nase ins Fell!" Und noch im Abgang die Beteuerung: "Ich will doch nur Kenntnisse verbreiten!" Auch die CDU-Inquisitoren Andreas Schmidt und Hans-Peter Friedrich waren der Wahrheitsfindung verpflichtet und stellten Fragen nach Telefonnummern und Rechenschaftsberichten, welche die Zeugin nach bestem Wissen und Gewissen mit Hinweisen auf Möblierungskonzepte und Büchertische beantwortete. "Wir kämpfen auf der gleichen Seite gegen das Affentum!" rief Peter Radtke vom Schiffbauerdamm herüber. Wie schön wäre es, im nachhinein versöhnlich nicken zu können.
An manchen Abenden kann man nicht anders, als sich aus dem Strandgut des Erlebten ein Floß zu basteln, um unbeschadet in den nächsten Tag zu schippern. Überlebensstrategien des Stadtmenschen, dessen Nase jedoch - wieder Kafka - am Ende vielleicht gar nicht maßgebend ist. Wer seine Nase an diesem Tag die Friedrichstraße rauf und runter spazieren trug, konnte zwischen dem morgendlichen Rollenspiel im Untersuchungsausschuss und dem abendlichen Affentheater am Schiffbauerdamm bei Dussmann schnüffeln gehen. In dem Literaturkaufhaus hatte sich um die Mittagszeit eine schlurfende Schlange gebildet, deren Kopf in einem Strauß aus Mikrofonen und Betakameras steckte. Unweigerlich, den Assoziationen seien spaßeshalber Tor und Tür geöffnet, dachte ich an die Schlange, die im siebeneinhalbten Stock auf den Einlass zum Kopf von John Malkovich wartete. Auf die Frage, "um wessen Kopf geht es hier?" war die Antwort bei Dussmann jedoch: Helmut Kohl. Und in der Tat: Reckte man den Hals, erkannte man die fleischigen Hände des Tagebuchschreibers Kohl, signierend, verifizierend, Schlussstriche ziehend.
Während im Untersuchungsausschuss der Name Kohl längst durch ein augenzwinkerndes "ein gewisser Altbundeskanzler" ersetzt worden war, waren dessen Hände dort doch anwesend: auf dem Tisch vor Christian Ströbele lagen sie, zierten den Schutzumschlag des sinistren Werkes, das dem Ausschussmitglied das bange Warten zwischen Frage und Antwort verkürzen sollte. Mit einem grellgelben Leuchtstift markiert Ströbele immer wieder ganze Seiten und zitiert schließlich besonders gelungene Passagen - im Dienste der Wahrheitsfindung, versteht sich, wohl aber auch um die gelegentliche Lektüre zu rechtfertigen. Ströbele hat die Passagen ausgewählt, in denen der Autor der SPD vorwirft, in ihren Rechenschaftsberichten gegen das Transparenzgebot des Grundgesetzes verstoßen zu haben. Ich hätte die Passage bevorzugt, in der Kohl berichtet, wie er mit Hannelore im Friedrichstadtpalast die "Goldene Henne" entgegennahm. Aber über Geschmack lässt sich nicht streiten.
Von dieser Henne aus ließe sich jedenfalls wieder eine der an diesem Tag so wohlfeilen Verbindungen ziehen, hin zu einem Ei, das auch bei Dussmann plötzlich flog. Nur dass es leider kein Ei, sondern ein Windbeutel war, der dem Altkanzler wieder einmal das Jackett ruinierte. Die Verbissenheit, mit der Kohl die Jacke auszog, um dann stur weiter zu signieren, stimmte die Kondolenzbesucher ernst. Wie stark muss das Märtyrerbewusstsein bei dem schon sein, der nach einem solchen Windbeutel nicht einfach geht? Ein wenig später ging er dann, schwitzend vom Rampenlicht, leeren Blickes, umgeben von den wütenden Augen der Bodyguards, denen diesmal auch die weiße Weste bekleckert wurde. Und auch die Spur, die Kohls Hände tausendfach in den Buchdeckeln hinterlassen hatten, las sich nachher wie ein Klecks. Das konnte alles heißen. Sollte es ein Name sein, am ehesten "Li Xu". Eine verschlüsselte Botschaft aus der Isolationshaft, in die sich Kohl dramatisch phantasiert? Was will uns K damit mitteilen? Vielleicht den Namen eines der ominösen Spender?
Aber erst Kafka, also Radtke, also der Affe fand am Abend die passenden Worte zu diesem Trauerspiel: "Ich wollte einzig einen Ausweg." Und der Ausweg war, zum Mensch zu werden. Versucht Kohl, zum Mensch zu werden, um bei denen Nachsicht zu finden, die das schon lange sind? Wenn all das nichts mit dem Untersuchungsauftrag einer Kolumne zu tun hat, dann bitte, genau darüber ging der Zwist auch schon im Ausschuss. Dient denn all das noch dem Untersuchungsziel? Wird denn hier noch Kenntnis verbreitet? "Transparenz" orakelte es dazu gelegentlich süffisant von einer auf die Gegenseite. Und im Schatten dieses Diktums lässt sich so ziemlich alles fragen und behaupten.
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