Suborte

Berliner Abende Kolumne

"Was passiert, wenn Immobilien Know-how, Investment Know-how und künstlerisches Know-how zusammenkommen?" Das erste, was in einem solchen Fall meist passiert, ist eine Powerpoint-Präsentation. Und die dreht denn an der Wand ihre stumme Runde und stellt sich selbst alle sechs Minuten dieselbe Frage. Ein Projektraum in einer "Büroimmobilie im Grenzgebiet zwischen Kreuzberg und Mitte", ein junges und selbstredend innovatives Unternehmen mit der Hoffnung auf "noch unausgeschöpfte Entwicklungspotenziale". Ein großer Raum im ersten Stock, durch Raumteiler begehbar gemacht. Die Schritte suchen die Fenster. Weil es draußen schon dunkel und innen zu hell ist, geht man auf sein Spiegelbild zu und muss das Gesicht an die Scheibe pressen, um zu sehen, wo man ist. In einer toten Ecke Berlins, wo dreimal in der Nacht der Wachschutz vorbeifährt und niemand geweckt wird, wenn morgens der Müll abgeholt wird.

Beim Reinkommen ist mir ein Büffet aufgefallen, und ich finde dort noch warme Pasta und kalten Weißwein. Das eine in der linken, das andere in der rechten Hand stelle ich mich nun der Kunst, die an den Wänden hängt, steht, oder klebt und die das Know-how beweisen soll, das zu behaupten die Powerpoint-Präsentation nicht müde wird. Neobarocke Bordüren aus Plastik, zum Cunnilingus verschränkte Hasenstatuetten, die Wände dramatisierende Schwarzweiß-Grafiken. Dekorative Objektkunst, die niemanden stört, solange sie nicht die Fluchtwege versperrt, und sich deshalb auch sicher gut verkauft.

Gewusst wie, das erste Standbein steht. Das dritte sitzt mittlerweile mit meinem Begleiter an einem Tisch in der Powerpoint-Nische und zeigt an die Wand, wo sich gerade aus einem Kreis ein Triangel formt. In der rechten unteren Ecke steht "Investment Know-how": "Das bin ich." Ich stelle das Weinglas auf den Tisch, um die Pasta essen zu können, und setze mich zu den beiden. "Was passiert...", fragt die Wand wieder einmal, und ich denke: "Was passiert, wenn man den Abend mit einem Freund verbringen will, der aber auch jemand anderem zugesagt hat, bei einer Ausstellungseröffnung vorbeizuschauen?" An der Wand dreht sich nun das architektonische Modell eines Gebäudes, einer "Universität", und füllt sich mit roten Kreisen. "Suborte", meint der Freund des Freundes, seien informelle Punkte in einem Gebäude, die sich zwischen den formellen Orten ergäben, typischerweise am Rande der Wege, die das Gebäude durchziehen und die formellen Orte miteinander verbinden. Ich denke an Hörsäle, Toiletten, Mensen, an Korridore und Pinnwände, an Sitznischen unter den Treppen und Heizkörper, die einem in den Hintern schneiden. "Suborte" prägen entscheidend die Kommunikationskultur eines Gebäudes, sagt der Freund des Freundes, und die Powerpoint-Präsentation gibt ihm das nächste Stichwort: "Subtexte". Das Gebäude werde aufgewertet, wenn man die "Suborte" highlightet, und dafür bediene sich der hier vorgestellte Entwurf einer Reihe per Zufall generierter Satzfragmente: "Subtexte", die auf bunte Planken gedruckt dreidimensional in die "Suborte" hineinragen sollen, wenn ich dem 3D-Effekt nicht in der falschen Richtung auf den Leim gegangen bin. Konkret: die wenigen noch nicht beschriebenen und beklebten Flächen eines Gebäudes (einer Uni!) sollen mit "ungestaltet-gestalteten" Satzbrocken möbliert werden.

Ich merke, dass ich eine Weile das Kauen vergessen habe und greife nach dem Weinglas. Mein Freund sagt "hm" und nickt. Er ist Dozent an einer Uni. Ich stelle mir vor, wie er im Geist die Klauseln über die Mitbestimmung des Lehrkörpers bei gestalterischen Eingriffen in den Baukörper rekapituliert. Schweigend sitzen wir in unserer Nische, die Powerpoint-Präsentation fragt wieder mal, was passiert, wenn eins zum anderen kommt. Und ich frage mich, ob uns aus diesem Schweigen vielleicht ein aus der Wand ragendes Satzfragment gerettet hätte. Aber welches? "dass man diesen Gedanken auch mahnend verstehen kann hört der Hirsch den Herbst im Atem seiner Herde".

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