Man sitzt auf dem Alexanderplatz am "Brunnen der Völkerfreundschaft", hört von weitem die Musiker aus den Anden, isst eine Thüringer und liest zum x-ten Mal die gleiche Zeitung zur Probe. Die Weltzeituhr zeigt an, dass es in Moskau Abend wird. Alles wie gehabt. Und doch bemerkt man auf dem "Haus des Lehrers", etwas oberhalb des farbenfrohen Heldenfrieses, ein verträumtes Flackern auf der Fassade, ein stummes Plätschern, als wäre dort hinten Wasser.
Wenn es nach den Plänen des Architektur-Diplomanden Eric Sturm ginge, die seit dieser Woche im Architekturgebäude der TU Berlin öffentlich präsentiert werden, könnte dieses Szenario am Alexanderplatz alltäglich sein. Dann wäre "dort hinten" Wasser. Sturm hat sich in seiner Diplomarbeit am Fachbereich Architektur der TU mit den funktionalen, unterirdischen Eingriffen beschäftigt, die der Verkehrsknoten Alexanderplatz erforderte: mit dem Autotunnel Grunerstrasse, dem Fußgängertunnel-System und der U-Bahnhof. Er legt nun einen Entwurf vor, der für einige dieser subkutanen Räume angesichts ihrer Entfunktionalisierung nicht die Zuschüttung, sondern eine Neubelebung vorsieht. Das Projekt heißt "Unter Null" und sieht als zentrale planerische Idee ein Hallenbad im heutigen Autotunnel Grunerstrasse vor.
Die "Null"-Ebene, also das Straßenniveau, wird nicht als undurchdringliche Membran, sondern als eine Art Interface betrachtet: durchlässig, bespielbar, offen für Kommunikation. So würden etwa Durchlässigkeit und das Spiel mit reflektierenden Edelstahlsegeln als ein Flackern auf der Fassade signalisieren: Hier ist Wasser. Und da wäre dann Wasser. Ein städtischer Raum, der unaufdringlich kommuniziert, der damit überrascht und auch noch Recht behält. Und nicht etwa überrumpelt und falsche Versprechen macht.
Das "Planwerk Innenstadt" des Berliner Senats, das nach dem Mauerfall als Masterplan für sämtliche innerstädtischen Bauvorhaben entwickelt wurde, sieht eine radikale Reduzierung des innerstädtischen Autoverkehrs vor. Der 1969 fertiggestellte Autotunnel Grunerstrasse gerät damit auf den Index. Da aber selbst die Zuschüttung der 650 Meter langen Trasse nach offiziellen Schätzungen bis zu 20 Millionen Mark verschlucken könnte, wäre eine kreative Nutzung des nun einmal Gegebenen nicht notwendig ein Luxus.
"Unter Null" ist ein ebenso einfaches wie verblüffendes Beispiel dafür, zeitlich und funktional divergierende Vorstellungen des städtischen Raumes miteinander zu integrieren. Es nimmt die Vorgaben mittlerweile obsolet gewordener Eingriffe spielerisch auf und interpretiert sie neu, anstatt sie und die dahinterstehenden stadtplanerischen Ansätze großspurig Lügen zu strafen. Gerade in Zeiten, in denen architektonische Lösungen mit dem Pathos des Kulturkampfes diskutiert werden, wirkt das angenehm dialogfreudig. Die komplexe Biographie der Stadt wird in diesem Fall nicht durch ein architektonisches Entweder-oder-Statement brachial dem Interpretationsbegehren der Gegenwart ausgeliefert.
Eric Sturm hat keine unterirdische Gegenwelt entworfen, sondern die funktionalen Gegebenheiten des Alexanderplatzes pragmatisch aufgegriffen. Anstatt einen vermeintlichen Hohlraum mit den Lügen "Erlebnis-Shopping" oder "Entertainment-Center" künstlich aufzuwerten, anerkennt der Entwurf den Alexanderplatz als hochfrequentierten Transitraum. Das Tunnelsystem soll vor allem Radfahrern und Fußgängern einen unkomplizierten Zugang zum öffentlichen Nahverkehr ermöglichen. Die üblichen Konsum- und Dienstleistungsangebote sieht der Entwurf nur für eine Seite der Gänge vor, die andere bleibt als "Überholspur" Transitstrecke.
Auch der spektakuläre Einbau eines Hallenbades im ehemaligen Autotunnel bleibt bei aller erfreulichen Verspieltheit funktional. Gedacht ist nicht an ein Erlebnisbad, sondern - ausschließlich den vorhandenen Raum nutzend - an ein 50 Meter Becken, in dem der beschäftigte Städter für kurze Zeit seine Schwerkraft reduzieren kann. Elegant bleibt diese Lösung schon dadurch, dass die ihre Bahnen ziehenden Schwimmer den ehemaligen Autoverkehr geradezu zitieren. Interessant ist dieser Entwurf jedoch auch in seinen Details: Auf einer zweiten unterirdischen Ebene ist ein Gastronomie-Raum vorgesehen, der sowohl als Restaurant, wie als Bar oder Club bespielbar wäre, und von dem aus sich durch eine grobflächige Glasscheibe das Aquarium aus Beinen, Füssen und Schwimmflossen einsichtig betrachten ließe. Auch von der Nullebene aus wäre das Hallenbad einsehbar, jedoch nur punktuell, dort wo das Wasser ein Flackern auf die Fassaden spiegelt und wo der Rücken-Schwimmer möglicherweise den Blick nach oben richtet, auf die Kugel des Fernsehturms, und sich für einen Moment wie ein Fisch im Wasser fühlt.
Das Projekt ist unter www.unternull.de ausführlich dokumentiert.
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