Digitiale Chancengleichheit an Universitäten

Corona Klausurenphase oder wie Gesundheits- und Datenschutz, während Corona gegeneinander ausgespielt werden kann, zeigen Universitäten am Beispiel der anstehenden Klausurenphase

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Klausurenphase an den Hochschulen ist in vollem Gange und für viele Studierende ist Planbarkeit das A und O in dieser Zeit. Man könnte meinen, nach einem Jahr Corona haben die Präsidien der deutschen Hochschulen inzwischen eine grobe Idee, wie man mit der Situation umgehen kann, um möglichst vielen Studierenden einen Fortschritt im Studium zu ermöglichen. Fehlanzeige!

Nach unabhängigen Kämpfen an den hessischen Hochschulen gibt es nach einem Jahr Corona zwar eine Verordnung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, die besagt, dass eine letzte Wiederholungsprüfung im Falle eines durchfallens als nicht angetreten gilt. Konkret bedeutet das, dass Studierende immerhin nicht exmatrikuliert werden, falls sie durch eine Höchstzahl an Prüfungsversuchen erreicht haben, jedoch müssen Studierende erst in der Lage sein, Prüfungen schreiben zu können. Denn die Planung der Klausurenphase war an vielen Hochschulen mehr als Katastrophe.

Ein Beispiel: Die Technische Universität Darmstadt.

Die hess. Hochschulen sind durch kontinuierliche Unterfinanzierung inzwischen kaputt gespart. Das macht sich neben der Betreuungsquote vor allem an der Verwaltung und der technischen Ausstattung bemerkbar. Die ohnehin schon überlastete Verwaltung wird jetzt noch zusätzlich beauftragt, Methoden für die digitale Lehre zu entwickeln. Die Rechenzentrenen haben bei begrenzten Mitteln mit einer Vielzahl an mehr Aufrufen zu kämpfen und können so kaum die vorhandene Infrastruktur instant halten. Deswegen bedient sich das Präsidium mehr und mehr an Lösungen externer Dienstleister. So wird für Vorlesungen und Tutorien eine campusweite Zoom Lizenz eingekauft, trotz starker Datenschutzbedenken. Eine Einschätzung des Datenschutzbeauftragten lässt sich erst Monate nach erstem Verwenden auf der Uni Seite finden. Für die Hochschulwahlen im Mai sollen nicht-quelloffene Lösungen eingekauft werden, bei denen die Wahlgrundsätze nicht erfüllt sind.

Um die Hörsäle nicht zu einem Coronapool zu machen, wurde versucht, Alternativen ins Boot zu holen. Durch ein Präsidiumsbeschluss an der TU Darmstadt sollte es möglich gemacht werden, Prüfungsformen kurzfristig zu ändern. Der Vizepräsident für Studium und Lehre sowie Diversität appellierte an alle Dozierenden, vermehrt auf Hausarbeiten, mündliche Prüfungen oder sogenannte ‘Take-Home-Klausuren’ zu wechseln. Bei dieser Klausurform bekommen die Studierenden 24 Stunden Zeit, eine Klausur eigenständig zu Hause zu bearbeitet und diese dann z. B. online hochzuladen. Da bei dieser Prüfungsform die Möglichkeiten für Hilfsmittel wie Google oder Wolframalpha auf der Hand liegen, müssen die Klausuren anders konzipiert werden. Für viele Dozierende kam die Information, diese Prüfungsform zu verwenden, Anfang 2021 zu spät an, denn durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse der wissenschaftlichen Mitarbeitenden war das Potenzial begrenzt. Eine proaktivere Planung der Klausurenphase hätte dieses Problem gelöst. Stattdessen müssen wieder Klausuren in Präsenz durchgeführt werden.

In einer offenen Sprechstunde des Vizepräsidenten heißt es, so ein dem Allgemeinen Studierenden Ausschuss (AStA) zugespieltes Kommentar, “unter den Gegebenheiten unseres Hygienekonzepts [sei eine] Gefahr der Ansteckung nicht gegeben”. Falls es zu einem Infektionsfall kommt, sei eine Informierung der Studierenden deshalb nicht nötig, obwohl Studierende mehrfach dazu angehalten wurden, ihre Telefonnummer der Universität mitzuteilen.

Um ein Kompromiss zwischen möglichst wenig Begegnungen und etablierten Prüfungsformen zu schaffen, ermöglichte die Schwarz/Grüne Landesregierung poroctorierte Fernprüfungen. Das Konzept sieht vor, dass Studierende sich freiwillig dazu entscheiden können, Klausuren zu Hause zu schreiben, werden dabei allerdings von einer künstlichen Intelligenz überwacht. Die Software dafür bekommt dafür Zugriff auf Webcam, Mikrofron, Bildschirminhalt, Internet, besuchte Webseiten, Dateien auf dem Computer und vieles mehr. Das an der TU Darmstadt dafür angeschaffte Tool Proctorio ist zudem nicht Quelloffenen, das heißt Studierende und Experten können nicht einmal nachvollziehen, was mit den gesammelten Daten passiert.

Eingebetteter Medieninhalt

Erkennt die KI einen Täuschungsversuch, wird in der Aufzeichnung des zu Prüfenden der entsprechende Bereich Rot markiert und eine menschliche Person entscheidet über einen Täuschungsversuch. In einem Test des AStA wurden diverse Situationen durchgegangen. Ein vorbei fahrender Lkw, eine Katze, die im Hintergrund durch das Bild läuft, das spiegeln einer Brille oder einfach nicht weiß und männlich sein reichen aus, um die KI dazu zu bringen, einen Täuschungsversuch vermuten zu lassen. So kann es sein, dass prekär beschäftigtes Personal 2 Stunden Aufzeichnungen von über hundert Studierenden bekommt, die komplett als Täuschungsversuch markiert sind und sie sollen prüfen, ob das plausibel ist. Eine Evidenz basierte Entscheidung ist zudem oft erschwert. Hinzu kommt noch, dass noch nicht final geklärt ist, ob Proctorio DSGVO konform ist. Netzpolitik.org berichtete bereits im August 2020 über die drohenden Probleme mit dieser Software.

Da die hessische Verordnung vorsieht, dass die Nutzung dieser Software komplett freiwillig sein soll, sollen Studierende die Wahl haben, ob sie teils weite Strecken an die Universität anreisen und im Fall einer Corona Begegnung keine Benachrichtigung erhalten, oder ob sie proprietäre Spionage Software auf ihrem Computer installieren wollen und hoffen, dem Idealbild der KI zu entsprechen.

Die Technische Universität schafft es, diese Situation noch zu übertreffen: Eine Veranstaltung der Grundlehre, die über 1500 Teilnehmende zeichnet, setzt für die anstehende Klausur auf dieses Tool. Um eine Gleichbehandlung der Studierenden jedoch zu ermöglichen, so der Dozierende, sollen auch diejenigen, die diese Klausur im Hörsaal schreiben, eine online Prüfung durchführen. In einem Forenpost der Veranstaltung wird erläutert, die Studierenden, die in Präsenz schreiben, sollen einen eigenen Laptop zur Prüfung mitbringen. Durch mangelnde Stromversorgung im Hörsaal solle darauf geachtet werden, dass dieser über 2 Stunden Akkulaufzeit verfügt. Um das Nutzen externe Seiten zu unterbinden, soll auch hier Proctorio eingesetzt werden, jedoch nur die Computer Überwachung, denn durch die Aufsicht könne wenigstens auf die Überwachung von Video und Mikrofon verzichtet werden.

Studierende die Fragen, was sie machen sollen, wenn sie weder Laptop noch Webcam haben, bekommen bisher keine Antwort. Auch an der Prüfungsform ließe sich nichts mehr machen, so der Dozierende in entsprechenden Beiträgen.

Hoffnungen, die deutschen Bildungseinrichtungen würden durch die Pandemie endlich dazu gezwungen werden, die verschlafende Digitalisierung nachzuholen, werden zerschlagen. Stattdessen wird mehr und mehr auf dubiose Lösungen gesetzt. Es braucht quelloffene Programme für digitale Lehre wie Big Blue Button und alternative Prüfungsformen wie ‘Take-Home Klausren’, um möglichst vielen Studierenden trotz Pandemie einen Studienfortschritt zu ermöglichen bei sicherer Verwaltung der Daten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tobias Kratz

Ich studiere an der TU Darmstadt und bin dort im AStA und Die Linke.SDS aktiv.

Tobias Kratz

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden