Vom Pepsi-Problem zum Prada-Gefühl

Heil aus dem Hypothalamus Wenn es im E-Plus-Shop wie bei Muttern riecht - dann lenkt die Hirnforschung die Bedürfnisse der Werbeindustrie

Die Zukunft beginnt am oberen Hirnstamm, sagen Werbefachleute, und sie meinen es ernst. Seitdem von der Forschung kolportiert wird, dass wir nahezu 80 Prozent unserer Entscheidungen unbewusst treffen, seither ist der Run aufs limbische System, auf Thalamus und Hypothalamus nicht mehr zu bremsen. Ein wachsender Kreis aus Hirnforschern und Marketingexperten ist derzeit mit Hirn-Scans auf der Suche nach dem "Jetzt-Kaufen-Knopf" und dem "Prada-Gefühl". Werber versuchen den Weg über Nase und Ohr; mit Gerüchen und Geräuschen wollen sie uns an die Amygdala. Der Grund für den Hype: Das derzeit größte Problem der Industrie - die wachsende Ununterscheidbarkeit von Dienstleistungen und Produkten.

Raumbeduftung beim Auto- und Einzelhändler, Sounddesign im Heißluftföhn und an der Cornflakes-Packung - all das dringt gerade erst ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, da basteln Marketingexperten schon am nächsten großen Coup: Corporate Smells, einheitliche Firmen-Erscheinungsbilder für die Nase, sollen Geruchsprofile von Marke oder Hersteller ins Kundenhirn einbrennen (im Fachjargon: "branden"). Je affektiver die Reaktion auf den Eindringling genannt Geruchsmarke, je assoziativer die Bilder, desto besser. Doch damit nicht genug: Seitdem der "neueste Schrei" namens Multisensorik, die Klang-, Geruchs-, und Tastgestaltung von Produkt, Verpackung und Verkaufsraum nun auch noch das Image der Hersteller, die Marke selbst erfasst hat, brüten Werber und PR-Fachleute über so befremdliche Fragen wie: "Wie schmeckt E-Plus?", "Wie riecht die Marke Apple?". (Womöglich nach allem, nur um Gottes willen nicht nach Apfel!) "Wie fühlt sich Siemens an?"

Der Industrie ist all das bitterer Ernst. Denn, so klagen Viele, in einer Welt, in der die Konsumgüter und Dienstleistungen eigentlich fast ununterscheidbar geworden sind, in der notgedrungen immer öfter nicht Produkte, sondern Images und der "kleine Unterschied" namens Marke verkauft wird, in einer solchen Welt muss ihr vermeintlich jedes Mittel recht sein, um zu bekommen, was sie derzeit für überlebensnotwendig hält: "Markenloyalität". Und die - das jedenfalls suggeriert eine durchaus geschäftstüchtige Gilde von Hirnforschern, Neuroökonomen (Mischwesen aus Hirnforschern und Wirtschaftswissenschaftlern) und Werbern - "Markenloyalität" bekommt man vor allem da, wo es gelingt, unbewusste Prozesse loszutreten.

Die Industrie glaubt nur allzu gern an das "Heil aus dem Hypothalamus". Angesichts des weltweiten Konkurrenzkampfes um Aufmerksamkeit und Wahrnehmung ihrer Produkte hat sie gar keine andere Wahl. Und während der Mensch nun also endgültig seinen freien Willen verliert, verlieren Wissenschaftler auf der Suche nach Drittmitteln noch die letzten Skrupel und die Werbewirtschaft jede Hemmung: "Wie fühlt sich Siemens an?" ist womöglich nur ein Vorbote zur Frage: "Wie fühlt sich Siemens?". Glauben Sie nicht? Seien Sie sich da mal nicht so sicher: Längst ist ein neuer Begriff im Schwange, der nichts Gutes verheißt: Markenpersönlichkeit. Der Rest ist, glaubt man der Forschung, nur mehr eine Frage des gekonnten Brain-Brandings - zu Deutsch: "Gehirn-Brandmarkens".

Der aktuelle Hype um Hirn, Haut, Nase, Ohr und Zunge der Konsumenten, er boomt, wen wundert´s, vor allem in den USA. Längst gibt es dort Patente auf Geruchsmarken und für viele Unternehmen ist es völlig normal, mit Hilfe von "Neurostrategien" das Image ihres Unternehmen oder ihrer Produkt zu verbessern. Zu verdanken haben wir, hat die Industrie, dies allem voran BrightHouse Consulting, einem unternehmerischer Zusammenschluss aus Designern, Werbern, Unternehmensberatern, Regisseuren und Wissenschaftlern aus Atlanta. BrightHouse löste eines der größten Probleme der Werbebranche, das sogenannte Pepsi-Problem, verschaffte so der aktuellen Wissenschaftsmode Neuroökonomie den entscheidenden Impuls und bereitete damit den Boden für den Angriff auf mutmaßlichen Sitz des Unterbewusstseins.

Und das ging so: Seit gut zwanzig Jahren ist bekannt, dass Pepsi-Cola in Blindverkostungen besser bewertet wird als Coca-Cola, und seit dem ersten Pepsi-Test fragt sich die Branche: Warum hat Coke trotzdem das bessere Image? Die Antwort auf dieses Frage fand - so sind sich jedenfalls Neuroökonomen einig - Read Montague, Neurobiologe bei BrightHouse, als er den Pepsi-Test wiederholte und dabei die Gehirne seiner Probanden im Kernspintomografen überwachte. Montague konnte zeigen: Trinkt ein Proband in der Blindverkostung Pepsi-Cola wird, wie erwartet, sein Belohnungszentrum stärker aktiviert. Sobald er aber sieht, was er trinkt, ändert sich das Muster seiner Hirnaktivitäten. Die Marke Coca-Cola stimuliert eine Region im Stirnhirn, die, wie man aus anderen versuchen weiß, eine entscheidende Rolle für das Selbstbild einer Person spielt: Coke hebt das Selbstwertgefühl. Pepsi tut das nicht. Die Forscher jubelten ob der vermeintlich eindeutigen Ergebnissen - und die Neuroökonomie hatte ihre erste Sternstunde.

Doch die Kritik, freilich, sie folgte auf dem Fuße: Der Rummel um das Testergebnis dürfte sich als der "größte Marketing-Coup" erwiesen haben, konstatiert etwa der Medienanalytiker Douglas Rushkoff. Zu Recht. Denn im Grunde zeigt der Pepsi-Test im Kernspintomografen nur das, was ohnehin zu erwarten war: Nämlich dass sich die größere Popularität von Coke im Gehirn der meisten Menschen irgendwie widerspiegeln dürfte. Den eigentlichen Grund für den Markenvorsprung aber kennt nach wie vor niemand so genau. Read Montague indes ließ angeblich verlautbaren: "Wäre ich Pepsi, würde ich anfangen, Gehirne zu durchleuchten."

Ob Pepsi das tat, ist nicht bekannt, sicher ist aber, dass es mittlerweile fast alle Großen tun: Procter, die Deutsche Bank, Eon, Lucky Strike und so fort. Neuroökonomie ist plötzlich überall, in allen Wirtschaft-Magazinen (zuletzt: impulse 2/2006) und auf jedem zweiten Business-Seminar. Und auch hierzulande leisten Forscher alsbald ihren Beitrag zur neuen Disziplin. So konnte etwa ein Team der Universität Münster beobachten, wie der Verstand bei "starken Marken" ausschaltet; seit kurzem wird in der deutschen Forschung kolportiert, dass Preise wie 0,99 Euro oder 9,99 Euro ein "Wohlgefühl" auslösen, das die Kauf-Wahrscheinlichkeit steigert. Die Industrie bekommt zu hören, was sie gerne hören will, und wir - seit Neuroökonomie und Neuromarketing en vogue sind - wir bekommen zu lesen, wie uns der freie Wille weggeforscht wird.

Erstaunlich ist das alles schon. Zumal längst bekannt ist, dass die bunten Bilder aus dem Tomografen eigentlich nicht minder irreführend sind als die allzu simple Annahme "mehr (Sinnes-)Reiz, mehr Wirkung" (Freitag 6/2005). Bislang gelingt es den Wissenschaftlern nicht einmal, grundverschiedene Emotionen im Gehirn zuverlässig voneinander zu unterscheiden. Beobachten sie im Kernspintomografen beispielsweise eine erhöhte Aktivität in der Amygdala, können sie nicht ablesen, ob die Versuchsperson gerade weint oder lacht. Und was im Oberstübchen wirklich vor sich geht, wenn es im E-Plus-Shop riecht wie bei Muttern, weiß auch keiner so genau. Der Forschung jedenfalls kann´s Recht sein - die Gelder für die teuren Apparate sprudeln wie nie. Und die Industrie? Sie hält es wohl, sie muss es angesichts des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit mit einem Satz von Franz-Peter Falke, dem Präsident des Markenverbandes, halten. Der hatte kürzlich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche gesagt: "Marke ist nicht Wissen, Marke ist Glauben."


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