Hat Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Yanis Varoufakis tatsächlich das griechische Volk beschimpft, wie dieser behauptet? Man weiß es nicht, und auch eine Einschätzung ist schwer. Meistens kursiert mehr als eine Version der Wahrheit. Politische Konflikte haben die Eigenheit, dass sie an der Glaubwürdigkeit aller beteiligten Parteien nagen. Wolfgang Schäuble hat schon eine ganze Reihe an solchen Konflikten hinter sich – und entsprechend ambivalent wird er in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Von Datenschützern wurde er als Fan eines Überwachungsstaates kritisiert, andere sahen ihn 2004 schon als Nachfolger von Johannes Rau im Amt des Bundespräsidenten.
Kein Wunder also, dass die SWR-Doku „Schäuble-Macht und Ohnmacht“ die öffentliche Wahrnehmung des deutschen Finanzministers als Einstieg in ein Porträt über den Politiker verwendet. Schäuble spricht über sich selbst als „alten, müden und etwas mürrischen Mann“. Einige Sätze zuvor unterstellt er dem ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis Koketterie im Umgang mit den Medien: „Er hat sein Motorrad und seinen Motorradhelm in einer Weise genutzt...“. Allerdings ist Schäuble selbst kokett, wenn er den allzu oft auf Oberflächlichkeiten fixierten Medienhype um seinen Gegner dazu nutzt, sich selbst als bodenständig und sachlich zu inszenieren. Parellel dazu präsentiert er sich auf politischer Ebene als Vertreter einer alternativlosen Sachlogik gegenüber dem Populismus eines aufgeblasenen Newcomers, dem er „etwas merkwürdige Vorstellungen“ unterstellt. Mit ähnlich scharfer Munition schießt auch Varoufakis, wenn er Schäuble zum Film-Bösewicht stilisiert, indem er ihn in der Öffentlichkeit nur Dr. Schäuble nennt. Er habe Schäuble gesagt, dieser habe mit der Eurogruppe ein Monster geschaffen, das er nicht mehr beherrschen könne, sagt Varoufakis im Interview.
Er sagt auch, er habe Schäuble als Gesprächspartner geschätzt, weil beide der Meinung waren, dass die Euro-Zone ein ernsthaftes Problem hat. Gleichzeitig stritten sie sich erbittert über die Lösung dieses Problems: Schäuble wollte den Grexit, Varoufakis einen Schuldenschnitt. Dass in der Griechenland-Krise auch schon mal verbale Schläge unterhalb der Gürtellinie ausgeteilt wurden ist allgemein bekannt. Ob Schäuble Varoufakis tatsächlich eine „dümmlich-naive“ Kommunikationsweise unterstellt hat, wie ein griechischer Regierungssprecher behauptet hat, wird vermutlich nicht geklärt werden.
Eben so im Dunkeln liegt die Rolle Schäubles in der CDU-Spendenaffäre. In der SWR-Dokumentation deutet Schäuble an, dass Kohl in zwei Punkten gelogen hat: Erstens mit seiner Aussage, er habe den Spendern sein Ehrenwort gegeben, deren Anonymität zu schützen. Schäuble sagt im Film über Kohls anonymen Spender: „Es gibt keine“. Zweitens behauptete Kohl, er habe nie Kontakt zu dem Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber gehabt, der sich aus Kanada mit angeblichen Enthüllungen zu dem Skandal gemeldet hatte. Schäuble aber wittert dahinter offenbar eine Strategie von Kohl, um ihn zum Schweigen zu bringen: „Kohl wollte mir drohen“. Dies wirft allerdings die Fragen auf: Was wusste Schäuble? Und was war seine Rolle in der Affäre? Man kann davon ausgehen, dass er längst noch nicht alles gesagt hat, was er weiß. Warum sonst hätte Kohl überhaupt versuchen sollen, ihn unter Druck zu setzen? Dass er zugegeben hatte, von Karlheinz Schreiber eine Spende über 100.000 D-Mark entgegengenommen zu haben, ist mehr der Eigendynamik der Untersuchungen zuzuschreiben als dem Willen Schäubles, sich an der Aufklärung zu beteiligen. Der Film jedenfalls vermittelt den Eindruck, dass Schäuble eher sein ungeschicktes Verhalten und die teilweise Aufdeckung der Affäre bereut, als seine Rolle im Spendenskandal an sich.
Was für ein Mensch ist Schäuble? Die Doku gibt darauf drei zentrale Antworten: Gleich zu Beginn, nach einigen Filmsequenzen aus Schäubles turbulentem Leben, in denen sowohl das Lob als auch die Schmähungen angedeutet werden, die er erfahren hat, zusammen mit dem Attentat als persönlichem Schicksalsschlag, wird er als „abgehärteter“ Mann beschrieben. Am Ende wird die Frage über Schäubles Verhältnis zur Macht aufgeworfen: Was für eine Art Mann er denn sei- ein mächtiger oder ein ohnmächtiger? Als Antwort auf die Frage deutet der Film an: Schäuble sei ein loyaler Diener, der im Zweifelsfall immer klein beigegeben habe. Gegenüber Kohl, den er versucht hatte aus der Flick-Affäre herauszuboxen und gegenüber Merkel, gegen die er sich nicht mit seinen Vorstellungen vom „Grexit“ durchsetzen konnte. Und drittens: Schäuble ist Politiker durch und durch. Er ist überaus ehrgeizig, er kennt den Rausch der Macht und weiß, dass man sich in seinem Geschäft „schon notfalls a bissel die Hände schmutzig machen“ muss.
Die Sendung kann online in der ARD-Mediathek abgerufen werden.
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