Einbürgerungen in Deutschland

Wer gehört dazu? Geteilte Lebenswelt oder Verwandschaft - Was stiftet Gemeinschaft? Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich

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Der deutsche Pass: Wer kriegt ihn, wer kriegt ihn nicht? Und wie unterscheidet man sich in der Beantwortung dieser Frage von Frankreich
Der deutsche Pass: Wer kriegt ihn, wer kriegt ihn nicht? Und wie unterscheidet man sich in der Beantwortung dieser Frage von Frankreich

Foto: John Macdougall/AFP/Getty Images

Hannah Arendt spricht in ihrem Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" von dem "Recht, Rechte zu haben". Im Zuge der Verbrechen der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts sei dieses Recht für viele Menschengruppen nicht vorhanden gewesen. Grundsätzlich stellt sich das Problem bei sogenannten Staatenlosen immer noch. Rechte sind scheinbar auf einen Staat angewiesen, innerhalb dessen sie durchgesetzt werden können und damit immer noch an nationale Staatsbürgerschaft geknüpft. Die Existenz einer Staatsbürgerschaft ist zentral, wenn es darum geht die eigenen Menschenrechte durchzusetzen.

Im Fall des Deniz Yücel zeigt sich die Relevanz, welche die Art der Staatsbürgerschaft mit sich bringt. Seine doppelte (deutsch-türkische) Staatsbürgerschaft führt dazu, dass die deutsche Regierung nicht alleine für ihn verantwortlich ist und somit nur schwierig auf das Einhalten seiner Rechte pochen kann.

Die Staatsbürgerschaft ist bis heute das zentrale Instrument, wenn es darum geht Menschen das „Recht, Rechte zu haben“ zu verleihen. Es ist somit eine höchst relevante Frage, wie diese organisiert ist. Staatsbürgerschaft ist jedoch mehr, als nur eine juristische Angelegenheit, es geht hierbei auch um Gemeinschaft. Damit stellt sich die Frage, wer dieser Gemeinschaft angehört. Und vor allem: Wer ihr nicht angehört. Ob diese Gemeinschaft real ist oder nur eine Idee spielt zunächst analytisch keine Rolle.

William Rogers Brubaker beschreibt in seinem Aufsatz „Immigration, Citizenship, and the nationstate in France and Germany: A comparative Analysis“ aus dem Jahr 1990 zwei idealtypische Modelle der Staatsbürgerschaft in Nationalstaaten am Beispiel von Deutschland und Frankreich.

In Deutschland liegt, so Brubaker, ein ethnokulturelles Verständnis davon vor, was die Nation ausmacht. Dies führt er auf die geschichtliche Situation der deutschen Staatsgründung im 19. Jahrhundert zurück. Es gab keine Tradition deutscher Staaten vor dem deutschen Nationalstaat und das einzige, was „die Deutschen“ einte waren die gemeinsame Sprache, Dichtungskultur, aber auch die Ethnie und so weiter. Die deutsche Staatsbürgerschaft wird über eine geteilte Vergangenheit erlangt. In Deutschland etablierte sich deshalb das Abstammungsprinzip. Die deutsche Staatsbürgerschaft wird per Geburt durch die Eltern erlangt und ist sonst schwierig zu erhalten.

Dem stellt Brubaker die französische Staatsbürgerschaft gegenüber. Die Gründung des französischen Staates erfolgte im Zuge der französischen Revolution 1789 und setzte eine Kontinuität französischer Staaten fort. Der französische Nationalstaat entstand als revolutionär-politisches Projekt. Das Teilnehmen an der französischen nationalen Gemeinschaft ist daher an das politische Projekt geknüpft und nicht an das Teilen ethnisch-kultureller Homogenität. Dieser Unterschied in der Frühphase des Staates führt dazu, dass die Staatsangehörigkeit über das Territorialprinzip aktiv vom Staat an alle vergeben wird, die auf dem Territorium des Staates leben.

Wie begründet Brubaker seine historische Unterscheidung?

Die französische Nation ist Folge der Revolution von 1789, jedoch nicht der französische Staat. Dieser hat eine lange Tradition, welche bis in das Frühmittelalter zurück reicht. Die französische Revolution war somit Fortsetzung einer Tradition, aber auch Bruch mit dieser. Die Nation ist in Frankreich ein politisches Projekt, so Brubaker. Mit der französischen Revolution findet der Bruch mit der Feudalgesellschaft und der Aufbau demokratischer Strukturen statt. Sich zu diesem politischen Projekt zu bekennen (und damit zu den Werten „Liberté, égalité, fraternité“) ist für die Nation konstituierend, nicht die kulturelle Gemeinsamkeit.

Dies führt er an einigen Beispielen aus. Zwischen 1792 und 1815 fanden die Koalitionskriege statt. Hier führten verschiedene europäische Koalitionen gegen die neue Republik Krieg, aber Napoleon trug den Krieg auch nach außen. Laut Brubaker wurden diese Kriege zu jener Zeit in Frankreich als Kriege zwischen politischen Systemen verstanden. Es ging hierbei darum das politische Projekt „französische Republik“ zu retten und damit zu expandieren.

Gleiches sieht Brubaker in der Sprache. Diese sei nicht Grundlage der französischen Nation, die sich als homogenen Sprachraum begreift, sondern eher Mittel der politischen Partizipation. Unter diesem Blickwinkel scheint die sprachliche Assimilationspolitik nicht als Projekt der ethnokulturellen Homogenisierung, sondern ebenso als politisches Projekt.

Die Vorstellung von französischer nationaler Gemeinschaft ist um den französischen Staat herum organisiert. Die kulturelle Homogenität ist Ausdruck der gemeinsamen Sozialisation durch den Staat und des gemeinsamen Ganges durch seine Institutionen.

Die Gründung des deutschen Nationalstaates fand in einem ganz anderen historischen Kontext statt. Es gab keine durchgehende Kette von deutschen Staaten, die einer solchen Gründung voranging. Die Reichsgründung fand dann im Zusammenhang des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich 1871 statt. Der Grundstein der französischen Nation war die französische Revolution, die ein Projekt des französischen Bürgertums war. Die deutsche Reichsgründung hingegen wurde durch den Adel „von oben herab“ durchgeführt.

In Deutschland war zwar keine Vorgeschichte deutscher Staaten gegeben, jedoch hatte sich im 19. Jahrhundert bereits ein Nationalgefühl entwickelt, das sich jedoch aufgrund des Mangels eines gemeinsamen staatlichen und damit politischen Rahmens als ein Gemeinschaftsgefühl von gemeinsamer Ethnie und Kultur entwickelte. Dies arbeitet Brubaker am Beispiel der Romantiker heraus, die als eine Art deutsche Kulturbewegung begriffen werden. Es lohnt sich hier das Wissen aus Deutsch- und Geschichtsunterricht wachzurütteln.

Brubaker betrachtet die Gründung des deutschen Nationalstaates in Interaktion mit Frankreich. Frankreich hatte gegen Deutschland mitunter sehr effektiv Krieg geführt und auch deshalb versuchte sich die deutsche Elite an Frankreich zu orientieren.

Auf die Phase der Bildung der Nationalstaaten folgte eine Phase der Konsolidierung. Hier haben sich laut Brubaker die Einbürgerungsgesetze ergeben, die bis heute in ihren Grundzügen noch aktiv sind. Diese These werde ich noch prüfen. Laut Brubaker ist die Form und Grundlage der nationalen Gemeinschaft grundlegend dafür, wer dieser Gemeinschaft beitreten kann.

In Frankreich wird 1889 ein Migrationsgesetz verabschiedet, dass eindeutig nach dem Territorialprinzip funktioniert, man spricht hier auch vom Prinzip des jus soli. An Kinder, die auf dem Territorium des Staates geboren werden, wird die französische Staatsbürgerschaft automatisch verliehen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern. Diese Einbürgerung muss nicht beantragt werden, sondern geschieht automatisch.

Dies hatte, so Brubaker, auch pragmatische Gründe. Eine Ausweitung der staatsbürgerlichen Bevölkerung bedeutet auch eine Ausweitung des Teils der Bevölkerung der zum Dienst in der Armee verpflichtet ist. Es wurde zudem nicht nur als ungerecht angesehen, dass auf dem Territorium Lebende nicht mit den staatlichen Rechten eines Staatsbürgers ausgestattet waren, sondern auch das Nichtvorhandensein der Pflichten für alle Franzosen, also für alle Menschen, die auf dem Territorium des französischen Staates lebten.

1913 wird ein thematisch ähnliches Gesetz in Deutschland verabschiedet. Auch hier wird geregelt, wie die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt werden kann. In Deutschland war das Verständnis von Staatsbürgerschaft von der Vorstellung einer ethnokulturellen Gemeinschaft geprägt. Dies führte dazu, dass ethnische Minderheiten, wie sie zum Beispiel Migranten stellen, als eine Bedrohung eben jener Homogenität wahrgenommen wurden. Auf dieser Basis wurde in Deutschland die Staatsbürgerschaft über das Abstammungsprinzip, also das Konzept des jus sangunis, vergeben. Nach dem Abstammungsprinzip wird die Staatsangehörigkeit über die Staatsangehörigkeit der Eltern erlangt.

Während in Frankreich die Bindung an den Staat als politisches Projekt der Franzosen entscheidend dafür war, wer als Franzose wahrgenommen wurde, so ist in Deutschland mit seinem ethnokulturellen Verständnis ein Beitritt zur nationalen Gemeinschaft deutlich schwieriger. Kultur und politische Werte mag man sich noch aneignen können, eine Ethnie hingegen nicht. Brubaker spannt von hier aus den Bogen noch etwas weiter und führt spätere Vertreibungen in den deutschen Ostgebieten darauf zurück, dass diese Menschen zwar dauerhaft auf dem deutschen Staatsgebiet lebten, jedoch nicht Teil der ethnokulturellen Gemeinschaft waren und folglich auch keine Staatsbürger. Eine Staatsangehörigkeit ist auch eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, die man in Deutschland nur sehr sporadisch an Menschen ohne bereits deutsche Eltern vergab.

Brubaker sah noch 1990 eine Kontinuität in der Gesetzgebung und der Vorstellungswelt. Dies belegt er beispielsweise damit, dass in Frankreich dauerhaft lebende Migranten viermal häufiger eingebürgert wurden, als in Deutschland (Stand: 1990).

In diesem nachfolgen Beitrag überprüfe ich die Thesen auf Aktuaität.

Quellen:

Brubaker, William Rogers : Immigration, Citizenship, and the Nationstate in France and Germany: A comparative historical analysis, International Sociology, 1990

Arendt, Hannah. Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. Ungekürzte Taschenbuchausg. Serie Piper 1032. München: Piper, 2015

Deutschlandfunk „Seyran Ates über Deniz Yücel - ‚Doppelte Staatsangehörigkeit wird ihm zum Verhängnis‘ (Archiv)“. Zugegriffen 4. Februar 2018. http://www.deutschlandfunkkultur.de/seyran-ates-ueber-deniz-yuecel-doppelte.1008.de.html?dram:article_id=380064

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