Abwehren, abschotten, abstauben

Niederlande Die Flüchtlingskrise beschert der rechten Freiheitspartei bisher nie erreichte Umfragewerte
Ausgabe 46/2015
Parteichef Geert Wilders hetzt seit Jahren gegen „Masseneinwanderung“
Parteichef Geert Wilders hetzt seit Jahren gegen „Masseneinwanderung“

Foto: Remko de Waal/AFP/Getty Images

Oss, drei Nächte Ende Oktober: Es beginnt mit toten Mäusen im Briefkasten. Dann wird Feuerwerk auf dem Fenstersims gezündet, schließlich ist das leer stehende Haus, in das eine Flüchtlingsfamilie einziehen soll, eines Morgens mit Parolen wie „Keine Flüchtlinge“ beschmiert, dazu die drei Buchstaben PVV für die fremdenfeindliche Partij voor de Vrijheid, die sich in diesem Herbst besonders eines Slogans bedient: „Eigen volk eerst!“ (Das eigene Volk geht vor).

Der Vorfall in der Kleinstadt Oss bei Eindhoven ist symptomatisch für die aufgeheizte Flüchtlingsdebatte in den Niederlanden, die der PVV einen beängstigenden Aufschwung beschert. Die Partei führt seit Monaten in den Umfragen mit Werten um 25 Prozent (Wahlergebnis 2012: 10,1), was für die dicht besiedelte Parteienlandschaft dieses Landes ungewöhnlich hoch ist. Seit Jahren agitiert Parteichef Geert Wilders gegen „Masseneinwanderung“ und profitiert nun vom wachsenden Unbehagen über Migranten aus Syrien, Libyen, Eritrea und Somalia. Seit Wochen ruft die PVV zum „Widerstand“, doch solle und müsse der gewaltfrei bleiben, wie Wilders beteuert. Dabei verschafft die Angst vor Überforderung und Überfremdung längst nicht mehr allein der PVV viel Zulauf.

Es war Anfang Oktober, als eine Gruppe vermummter Männer eine Notunterkunft in Woerden mit Rauchbomben angriff. Anders als während der vergangenen Monate in Deutschland wurden Unterkünfte für Flüchtlinge in den Niederlanden bisher nicht gewaltsam attackiert. Seit dem Anschlag von Woerden, bei dem niemand zu Schaden kam, gilt das nicht mehr. Die Hemmschwelle zu Hass und militanter Aggressivität sinkt auch bei den Verbitterten und Versprengten aus dem bürgerlichen Milieu, die Parolen wie „Eigen volk eerst“ mitnichten anstößig finden. Es häufen sich fremdenfeindliche Aufmärsche, die nicht wenigen Niederländern als angemessene Reaktion auf den anhaltenden Zustrom von Asylsuchenden erscheinen. Die Gesamtzahl entsprechender Anträge lag bis Ende September bei knapp 35.000, gegenüber gut 11.000 im Vorjahr. Dass der Wille zu Abwehr und Abschottung vor allem bei der extremen Rechten eine Heimstatt findet, kann nicht weiter überraschen. Was hingegen erstaunt – die Regierung unter Premier Mark Rutte von der rechtsliberalen VVD, die mit der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) eine Große Koalition bildet, bleibt eher zurückhaltend und scheint mit einem strengeren Asylrecht die vorherrschende Stimmung auffangen zu wollen.

Wie ein Schlachtruf

Unverkennbar gerät das politische Koordinatensystem in Bewegung. Auf den sogenannten „Info-Abenden“, die derzeit in etlichen Kommunen einberufen werden, um über neu zu errichtende Unterkünfte zu diskutieren, tauchen immer häufiger Gesandte der Nederlandse Volks-Unie (NVU) auf. Im Unterschied zur rechtspopulistischen PVV pflegt diese Gruppierung ungerührt Verbindungen mit einem neonazistischen Umfeld. Die NVU hat ihre Mitglieder wiederholt aufgerufen, die „Info-Abende“ zu besuchen und die Debatten zu dominieren. Was einer Zäsur gleichkommt, denn für den öffentlichen Diskurs galt in den Niederlanden jahrzehntelang der unausgesprochene Konsens, xenophobe Kräfte zu ignorieren und zu isolieren. Inzwischen können sich NVU-Mitglieder auf Kundgebungen nicht nur optisch als Teil des Mainstreams inszenieren – sie tun es auch rhetorisch, wenn sie „Eigen volk eerst“ wie einen Schlachtruf anstimmen, dem die Resonanz nicht versagt bleibt.

Seit Wochen werden in einigen Kommunen Lokalpolitiker bedroht. So hat die Rijswijker Stadträtin Yvonne Hagenaars einen anonymen Brief erhalten, dessen Absender für den Fall, – dass „das Asylantenheim kommt“ – damit droht, die Töchter der Politikerin „in der Schule zu besuchen“. In Steenbergen bei Rotterdam muss die Gemeinderätin Dasja Abresch von der Polizei auf Schleichwegen nach Hause eskortiert werden, nachdem sie sich für eine Notunterkunft ausgesprochen hat. Unbekannte haben mit einem Gesteinsbrocken ihre Haustür bersten lassen.

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