Der Block der Blockierer

Rechtstrend Mit der EU-Wahl sortieren sich die nationalistischen Parteien neu. Muss man Angst vor einer populistischen Superfraktion haben?
Ausgabe 17/2019
Europas Rechte demonstrieren Einigkeit, wie hier bei einem Treffen in Mailand im April
Europas Rechte demonstrieren Einigkeit, wie hier bei einem Treffen in Mailand im April

Foto: Miguel Medina/AFP/Getty Images

Es gibt divergierende Vorstellungen davon, was unter einem „europäischen Traum“ zu verstehen ist. Matteo Salvini, Innenminister Italiens und Ikone der xenophoben Lega, hat einen recht eigenwilligen: ein Bündnis nationalistischer, teilweise EU-feindlicher Parteien, die künftig ihre Kräfte bündeln wollen. Anfang April hat er das Projekt in Mailand vorgestellt. „Wir wollen nicht nur teilnehmen“, hieß es da im Blick auf die anstehende Europawahl. „Unser Ziel ist es, zu gewinnen und die Regeln Europas zu verändern.“ Flankiert wurde Salvini von drei potenziellen Partnern: Anders Vistisen, EU-Abgeordneter der Dänischen Volkspartei (DF), Olli Kotro, Kandidat der Finnen-Partei (SP), und Jörg Meuthen für die AfD, Spitzenkandidat der Partei für die in Deutschland am 26. Mai anberaumte Wahl. Gründen soll ihre Allianz auf drei Essentials, die auch entscheidend sind für Salvinis „Vision für das Europa der nächsten 50 Jahre“: Er will mehr Befugnisse für nationale Regierungen zulasten der EU, eine restriktive Immigrationspolitik nach australischem Muster und den Schutz einer „europäischen kulturellen Identität“.

Das liberale Europa empfindet angesichts dieser Bestrebungen Unsicherheit und Unbehagen. In Anbetracht der allenthalben erwarteten „Schicksalswahlen“ Ende Mai wird mit einem möglichen Schulterschluss im Zeichen einer nationalstaatlichen Renaissance gerechnet, die von bürgerlich-populistisch bis rechtsextrem reicht. Die 200 in Mailand anwesenden Journalisten wirkten wie Kronzeugen für den Grad dieser Besorgnis.

Nichts weniger als diesen Schulterschluss hat Salvini im Sinn: die Erstmitglieder seiner „European Alliance of Peoples and Nations“ repräsentieren die drei derzeitigen Rechtsfraktionen im EU-Parlament: Die Dänische Volks- und die Finnen-Partei gehören zu den selbst erklärten „Eurorealisten“ der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), die AfD zählt zur Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD). Salvinis Lega ist Teil des radikaleren Personals von Europa der Nationen und der Freiheit (ENF). Welche Erfolgsaussichten der von Salvini anvisierte Pakt haben wird, ist ungewiss. Man konnte das Propagandameeting von Mailand auch so deuten, dass statt Vertretern von zehn oder zwanzig Parteien neben dem Gastgeber Lega eben nur drei kamen – was die wohlfeile Binsenweisheit stützt, Nationalisten gehe eben doch das Vermögen zu Konsens und Kooperation ab. Andererseits schienen die Pioniere der neuen Allianz um die Botschaft bemüht, dass alle drei Rechtsfraktionen in Maßen zusammengehen wollen.

Nihilismus gegenüber der EU

Ob – wie Salvini suggeriert – eine Verschmelzung zu einer einzigen rechten „Supergroup“ diese zur stärksten Fraktion im EU-Parlament erhebt, bleibt dennoch unwahrscheinlich, auch wenn zu erwarten ist, dass die Parteien der ENF-Fraktion auf alle Fälle dabei sind, wie das die österreichischen Freiheitlichen inzwischen offiziell bekannt gaben. Doch braucht Salvini ebenso die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bislang der ECR-Fraktion zugeordnet war. Der Lega-Chef und der PiS-Dominator Jarosław Kaczyński trafen sich zwar zu Jahresbeginn in Warschau, doch gilt die Russland-Nähe der Lega, der FPÖ wie des als Partner ins Auge gefassten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen als Hemmschwelle für Polens Ultranationalisten. Auch über einen Schulterschluss mit Viktor Orbáns Fidesz-Partei wird im Augenblick bestenfalls spekuliert.

Von der jungen rechtspopulistischen Formation Forum voor Democratie, die unlängst die Provinzwahlen in den Niederlanden gewann, ist eher der Beitritt zur ECR-Fraktion zu erwarten. Dort würde die Partei des Newcomers Thierry Baudet unter anderem auf die flämisch-nationalistische Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) treffen, aktuell die stärkste Partei Belgiens. Diese schärft zwar im Hinblick auf die dortigen Parlamentswahlen, die zeitgleich mit den europäischen stattfinden, durchaus ihr rechtes Profil. Bisher aber hält sie sich von der rechtsextremen Konkurrenz des Vlaams Belang (Flämischer Block) im eigenen Land ebenso fern wie von dessen Verbündeten in der ENF-Fraktion. Der Vlaams Belang, Nachfolger des 2004 wegen Rassismus verurteilten Vlaams Blok, setzt im beginnenden Wahlkampf unter dem Slogan „Unsere Leute zuerst!“ voll auf die Identitäts-Karte. Spitzenkandidat ist Gerolf Annemans, der laut Parteiangaben zuletzt „eine Schlüsselrolle spielte bei der Bündelung der europäischen nationalistischen Kräfte“. Nach Jahren, in denen der Vlaams Belang Stimmen an die gemäßigtere Nieuw-Vlaamse Alliantie verlor, kehrte sich diese Tendenz bei den Kommunalwahlen im Herbst um. Die Konfrontation zwischen den flämischen Rechtsparteien bestimmt die laufende Kampagne, zumal neben dem föderalen Parlament ebenso die regionalen Kammern gewählt werden.

Zweifellos ist im Spektrum der europäischen Rechten momentan eine Dynamik entstanden, die auf eine populistische Tabula rasa hinauslaufen kann. Im Prinzip ist die Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit die Verkörperung dieses Trends: Man akzentuierte in deren Reihen den Nihilismus gegenüber der EU, betrieb Eliten-Bashing, verwahrte sich gegen eine vermeintliche „Masseneinwanderung“ in Europa und versuchte Differenzen weniger ins Gewicht fallen zu lassen.

Mit dieser Strategie wurde Geert Wilders, Chef der niederländischen Freiheitspartei (PVV), im Duo mit Marine Le Pen zum prägenden Akteur. Er schmiedete in den vergangenen Jahren Allianzen mit Parteien wie Vlaams Belang oder der FPÖ, um die er lange einen Bogen gemacht hatte. Zwischenzeitlich aber verdichtet sich der Eindruck, dass Matteo Salvini den Part des Mediators übernommen hat und auszuschlachten weiß, dass die Lega durch die Regierungsteilhabe in Rom aus einer komfortablen Position der Stärke heraus agiert. Le Pen und Wilders, die Anfang 2017 als Protagonisten des Rechtspopulisten-Treffens von Koblenz den „patriotischen Frühling“ ausriefen, sind infolge ihrer Niederlagen bei der französischen Präsidentenwahl im Mai 2017 bzw. der niederländischen Regionalwahl im März 2019 nicht mehr die unangefochtenen Matadoren der Ultrarechten in Europa.

Sie wollen nur unsere Seele

Das progressive Europa tut wahrscheinlich gut daran, sich nicht allzu verkrampft auf das Bild einer rechten Mega-Allianz in der kommenden Legislaturperiode einzurichten. Andererseits – auch wenn es weiterhin zwei oder drei unterschiedliche Fraktionen der Nationalisten geben sollte – werden die sich berufen fühlen, das europäische Projekt zu blockieren und auszuhöhlen. Dabei handelt es sich um einen elementaren Prozess, der das EU-Parlament in den nächsten fünf Jahren womöglich erfassen und den Wandel in der politischen Kultur des Kontinents spiegeln wird. „Wir sind mitten in einer ‚Big Battle‘ um die Seele unserer Zivilisation. Dieser Kampf findet überall statt. Es wird Siege und Rückschritte geben. Und die globalistischen Eliten werden nicht verschwinden, sondern ihren Platz verteidigen.“ So beschreibt Mischaël Modrikamen, ein Protagonist im Beziehungsgeflecht der europäischen Rechtspopulisten, den zu erwartenden Trend. Der in Deutschland kaum bekannte belgische Anwalt ist der Gründer von „The Movement“, eines nur vage definierten Netzwerks, das einschlägige Parteien miteinander in Kontakt bringen will.

Gemeinhin wird die in Brüssel ansässige Instanz mit dem ehemaligen Trump-Berater Stephen Bannon in Verbindung gebracht, der seit Sommer 2018 dort mitmischt. Die Ambitionen Bannons und Modrikamens beschwören den „großen Kampf um die Seele der künftigen westlichen Zivilisation“, sind also durchaus global. Die EU-Wahlen gelten als ein erster Test für den ideologischen Gebrauchswert eines solchen Tableaus. Doch trifft Bannons Aufgebot innerhalb der ENF-Fraktion auf eher verhaltene Reaktionen. „Wir brauchen keinen amerikanischen Rat, wie wir Europa zu reformieren haben“, meint zum Beispiel Marine Le Pen. Als „Forum“ dagegen heißt sie „The Movement“ durchaus willkommen. Und dann ist da noch eine Personalie, die Beachtung verdient: Einer der ersten Europäer, der das sich um Bannon und Modrikamen verdichtende Netzwerk nachdrücklich anpries, war ausgerechnet Matteo Salvini.

Spitzenkandidaten zur EU-Wahl

Manfred Weber (EVP)

Seit 2014 EVP-Fraktionschef, fällt er im Gegensatz zu anderen CSU-Politikern durch eine optimistische Europapolitik auf. Medial inszeniert sich der Wertkonservative als Zuhörer und Anpacker

Allianz der Liberalen und Demokraten in Europa (ALDE)

hat gleich sieben Spitzen am Start:
Nicola Beer (Deutschland)
Emma Bonino (Italien)
Violeta Bulc (Slowenien)
Katalin Cseh (Ungarn)
Luis Garicano (Spanien)
Guy Verhofstadt (Foto), (Belgien)
Margrethe Vestager (Dänemark)

Jan Zahradil (AKRE)

von der Bürgerpartei (ODS) in Tschechien bewirbt sich für die Allianz der Konservativen und Reformer. Er sehnt sich nach einem Ende der „von Brüsseler Bürokraten angetriebenen Integration“

Ska Keller (Foto), Bas Eickhout (Europäische Grüne)

Das Doppelgespann: Die deutsche Ska Keller und der Niederländer Bas Eickhout pochen auf die Einhaltung des Pariser Klimavertrages. Sie „lieben Europa“ und wollen eine Rückkehr der Nationalismen verhindern

Frans Timmermans (Sozialdemokraten)

Der Niederländer will die EU zu einem „Ort der sozialen Demokratie“ machen und plädiert deshalb für eine von Grund auf erneuerte Union und für mehr Frauenrechte

Violeta Tomič (Foto), Nico Cué (Europäische Linke)

Die slowenische Journalistin Violeta Tomič und der belgische Gewerkschafter Nico Cué geben der EU nur eine Zukunft, sollte sie sich als reformierbar erweisen und nicht länger neoliberal ausgerichtet sein

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