Die Missionarin vom Ijsselmeer

Stolz auf die Niederlande Volkstribun Rita Verdonk unterwegs auf Sommertournee

Da steht der Antichrist!" sagt Katrijn mit einem Grinsen und weist auf die stämmige Frau im schwarzen Kostüm mit roter Krücke. Doch die dreadlockige Politikstudentin bleibt ziemlich auf sich allein gestellt an diesem Abend der Begegnung in Heerhugowaard, einem Nest zwischen Nordsee und Ijsselmeer. Denn die meisten der etwa 200 Menschen im Saal beseelt der Glaube, gleich den Messias sehen zu dürfen. Warum sie trotzdem hier ist? "Know your enemy", lächelt Katrijn ironisch, bevor das Gemurmel rundum verstummt. Die Frau in Pechschwarz humpelt in die Mitte des Saals. Gespannte Erwartung liegt zwischen tiefen Teppichen und schweren Kronleuchtern, dann nimmt Rita Verdonk das Mikrofon.

Sie braucht nur einen Satz, um den Abend für sich zu entscheiden: "Wir werden uns eine gezellige Stunde machen", prophezeit sie. Enthusiastisches Nicken, befreites Lächeln allenthalben: Gezellig ist das niederländische Pendant zu "gemütlich". Das klingt nach Wärme, Vertrautheit, Konsens und vor allem dem Gegenteil von Politik, denn dort - da sind sich die meisten in Heerhugowaard sicher - findet man diese Werte nicht mehr. Sie liegen verschüttet in den tiefsten Tiefen des scheinbar so flachen Landes und werden fortwährend entbehrt im Geschäftsverkehr zwischen Bürgern und Berufspolitikern.

Also zog eine ganze Schar zorniger Volkstribune in den vergangenen Jahren aus, den Kampf gegen das politische Establishment aufzunehmen, Unter all diesem Heilsbringern ist Rita Verdonk seit langem unbestritten die Galionsfigur. Im Herbst 2007 war sie von ihrer früheren Partei, der rechtsliberalen VVD, vor die Tür gesetzt worden, nachdem die unerschrockene Partisanin des Guten wieder einmal einen Richtungsstreit vom Zaun gebrochen hatte. Eine Weile blieb es still um die Dame, bis sie im April all denen Frühlingsgefühle verschaffte, die sich nach dem deutlichen Wort und der schnellen Lösungen sehnen und deftige nationalistische Folklore zu schätzen wissen: Trots Op Nederland ("Stolz auf die Niederlande") nennt Rita ihre neue Mission, bei der es sich um keine politische Partei handelt. In Parteien gebe es nur Gerede, unübersichtliche Gremien und Angst vor der eigenen Courage, ist Verdonk überzeugt. Bei ihrer Bewegung dagegen könne jeder mitmachen, auf den Foren ihrer Website auftreten und Vorschläge machen - Politiek 2.0 nennt sie das.

Latrinenparole und Kantinengespräch

Kurz gab es einen Aufschrei der Medien, als Verdonk wissen ließ, schlussendlich bestimme nur sie allein den Kurs. In Heerhugowaard erregt das an diesem Abend niemand mehr. Das protzige Event-Center am Rand der Industriezone ist gut gefüllt mit Menschen, die sich auf Verdonks "Sommertournee" das erprobte Serum verabreichen lassen wollen: Empathie und Savoir Vivre. Dafür wird Rita geliebt, die Themen mit hohem Wiedererkennungswert zu schätzen weiß - volksnah, dröhnend und vorhersehbar wie Stadionrock. Schon die ersten Akkorde kündigen ihren Dauerbrenner an: den Bürgern zuhören, darauf komme es an, und dann folgt eine Attacke gegen "Den Haag", die blutleeren Technokraten, die Redenschwinger, die eine Kommission nach der anderen gründen und nichts ausrichten. "Sie wissen schon, was da rauskommt" - Kunstpause - "Nichts!" Die flache Pointe trifft den Nerv des Publikums, also wiederholt die "eiserne Rita" - wie sie es genießt, genannt zu werden - noch einmal den Refrain: "Den Bürgern zuhören, das ist es, wofür ich stehe!"

Ein älterer Herr kann seine Neugier nicht länger zügeln, wie sie denn nun die immensen Staus in den dichtbesiedelten Niederlanden zu beseitigen gedenke. Wissenschaftliche Untersuchungen legten bekanntlich den Schluss nahe legen, die Blechlawinen zwischen Amsterdam, Utrecht, Rotterdam und Den Haag seien faktisch nicht aufzulösen.

Für Verdonk ist das nur eine Frage des Ansatzes: "Wir sind sehr beschäftigt damit, Lösungen auszuarbeiten", antwortet die selbsternannte künftige erste Ministerpräsidentin der Niederlande. Diesen Satz hört das Auditorium von Heerhugowaard ununterbrochen, und die Betonung liegt immer auf "sehr". Kritiker halten ihr vor, hinter ihren Floskeln verberge sich völlige Konzeptlosigkeit. Knapp ein Fünftel der Wähler jedoch vertraut Verdonk - ihre Bewegung wäre zweitstärkste Kraft im Land, wollte sie als Partei auftreten.

Rita will den Niederlanden Stolz und Selbstwertgefühl zurückgeben, seziert im vertraulichen Plauderton jede Menge Missstände und einen bedrohlichen State of the Nation. Das alles wird mit Anekdoten aus dem wuchernden Bürokratiedschungel oder dem täglichen Kampf der Kulturen garniert, wenn Verdonk erzählt, wie ein Bild mit nackten Frauen auf Wunsch der muslimischen Community aus einem Gemeindehaus entfernt oder ein politisch unkorrekter Karikaturist verhaftet wurde. "Und das in den Niederlanden, meine Damen und Herren!" Die Melange aus Latrinenparole und Kantinengespräch ist ihr Metier. Sie braucht keine neuen Inhalte, sondern vertraut der hemdsärmeligen Glaubwürdigkeit derjenigen, die den Arbeitskollegen in der Mittagspause die Welt erklären. In ihrer Sprache, versteht sich.

Ein Podium braucht Rita nicht. Unermüdlich stöckelt sie zwischen ihrem Publikum hin und her, das Mikrofon in der linken Hand, die Krücke in der rechten. Es folgt die Geschichte, wie sie in der Waschküche stürzte und sich verletzte, drei Minuten später sind die "echten Flüchtlingen" dran, "die unsere Meinungsfreiheit noch zu würdigen wissen".

Warmer Applaus und Einvernehmen

Bei Einwanderern verweilt Verdonk gern länger. Das ist immerhin ihr Kerngeschäft. Als Ministerin für Ausländerfragen und Integration avancierte sie einst zur umstrittensten, um keine Kontroverse verlegenen Politikerin des Landes. Die einen bewunderten sie für ihren kompromisslose Gebrauch der Asylgesetze, die sogar vor einer VVD-Parteikollegin nicht halt machte. Den anderen wurde sie zur Symbolfigur einer unbarmherzigen Abschiebepolitik. "Eines ist klar: wenn Sie gern tolerieren, sind Sie bei uns falsch", markiert sie ihr Terrain. Ausländer, die nur die Hand aufhalten und in besetzten Häusern leben, das könne doch nicht angehen! "Wir brauchen ein sofortiges Hausbesetzungsverbot", was amüsant klingt, da bekannt ist, dass Rita selbst als Studentin in Nijmegen an einer Demonstration gegen die Räumung eines Squats beteiligt war. Eine Aktion, die seinerzeit gehörig aus dem Ruder lief. Später wurde die Soziologin Gefängnisdirektorin, und lernte dort, "dass Regeln Regeln sind und eingehalten werden müssen - auch von Ausländern: Wir sind oft viel zu bescheiden!" - Warmer Applaus, inniges Einvernehmen, es folgt die Fragestunde. Verdonk wäre nicht Verdonk, bräuchte sie dafür einen Moderator. Die Krücke erweist sich als gefälliges Requisit ihrer Inszenierung: Sie humpelt von Stuhl zu Stuhl, hält den Menschen selbst das Mikrofon hin, hört sie an - und versteht alles. "Da stimme ich Ihnen völlig zu", beginnen die Antworten - an den Choleriker, der sich über einen aus Umweltgründen ausgesetzten Autobahnausbau austobt. An die alte Dame, die um ihre Rente besorgt ist. Sie alle stattet Rita mit ihrem Mitgefühl und der Versicherung aus, sich um alles zu kümmern. Ein wütender Mann gibt sich damit nicht zufrieden, zweimal schon hat er Rita gemailt - ohne Antwort. Sie entschuldigt sich umgehend, fragt zielstrebig nach seiner Telefonnummer und verspricht, ihn am nächsten Tag anzurufen. "Deal?" Zögernd schlägt der bisher Verschmähte ein. Die härteste Nuss des Abends ist geknackt.

Eine schüchterne Mittelstufenschülerin will wissen, was Politik eigentlich sei, niemand ihrer Freunde kenne darauf eine Antwort. Die "eiserne Rita" lädt sie umgehend ins Parlament ein, um ihr zu zeigen, was sie gesehen haben sollte. Manchen Frager fordert sie unverblümt zum Mitmachen auf, alle sollten doch Teil einer Volksbewegung sein. Und dann steht sie vor einem alten Mann, der zaghaft fragt, ob er sie "Rita" nennen dürfe. Er darf, und vom Kamm einer neuen Welle der Zuversicht verkündet der Alte: "Mit Ihnen an der Regierung und mit Maxima (der jetzigen Prinzessin - T.M.) als Königin gehen wir einer glorreichen Zukunft entgegen." Allgemeine Heiterkeit und fröhliches Klatschen. Verdonk ist entzückt, Heerhugowaard ist ein Erfolg. Katrijn verdreht die Augen.

€ 4,95 statt € 14,00 pro Monat

nur heute am Geburtstag von F+

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden