Raus aus der EU, dafür bilaterale Handelsverträge mit Brüssel. Abschied vom Euro, Rückkehr zum Gulden. Herr über die eigenen Grenzen sein, die künftig geschlossen werden sollen für osteuropäische Arbeitsmigranten sowie Zuwanderung aus islamischen Ländern – das Wahlprogramm der niederländischen Freiheitspartei (PVV), veröffentlicht Anfang April, ist kurz und prägnant wie ein Spickzettel. Am Schluss steht ein identitäres Bekenntnis: „Wir wollen bleiben, wie wir sind.“ Wenig überraschend bevorzugt das dazugehörige Wahlplakat das Rot-Weiß-Blau der niederländischen Trikolore. Was das Destillieren politischer Inhalte zu Slogans angeht, setzt die Partei von Geert Wilders wahrlich Maßstäbe. Acht Buchstaben, mehr braucht man nicht für die Standortbestimmung: „Minder EU!“ (Weniger EU), das Credo für die letzten Wochen vor dem Europavotum.
„Weniger“ wurde zum Schlagwort, seit Geert Wilders – Gründer, einziges Mitglied und Fraktionschef der PVV – nach der Kommunalwahl im März vor seine Anhänger trat. Wie üblich war er zu den Powerchords von Eye of the Tiger eingelaufen, um sich wie ein stadionerprobter Hardrocker zu geben. Nur dass er nicht „Sing yeah“ ins Mikro rief, sondern die Frage ins Auditorium schmetterte: „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?” Statt „yeah yeah yeah“ schallte ihm ein vielfaches „Weniger“ entgegen.
Die Flamen in Antwerpen
Ein veritabler Skandal, weit über die Niederlande hinaus. Doch verstellte die Welle der Empörung ein wenig die Sicht auf das, was tatsächlich nur schwer zu übersehen war. Vor Geert Wilders stand auf der Bühne ein Schild mit der Aufschrift: „Und jetzt: 22. Mai“ – das Datum der Europawahl in den Niederlanden. Nicht umsonst verlangte er vom Publikum auch ein „Mehr-oder-weniger“-Urteil über die EU und die PvdA (die niederländischen Sozialdemokraten). Nach diesen Aggressionen wurde es unruhig. In Tausenden von Anzeigen wurde Wilders heftig attackiert. Es gab einen spontanen Einbruch bei sämtlichen Umfragen, die seine Partei ein halbes Jahr lang angeführt hatte, dazu einen Aderlass von acht Mandatsträgern in nicht einmal einer Woche. Ein Kommentator im NRC Handelsblad spekulierte gar, Wilders sei erledigt, wenn die PVV am 22. Mai nicht zulege. Eine gewagte Hypothese, denn zwischenzeitlich ist der Absturz bei den Demoskopen gebremst, die Spitze wieder in Reichweite. Und abgeschrieben hat man die Partei wahrlich schon öfter.
In Antwerpen, vier Tage nach dem Wilders-Auftritt, lädt die separatistische Partei Vlaams Belang (Flämische Interessen) zum Wahlkongress in einem Theater der Stadt ein. Diese flämischen Nationalisten haben ihre besten Zeiten erkennbar hinter sich, doch an diesem Tag verspricht der Ehrengast einige Brisanz: Geert Wilders kommt! Lange wollte die Koryphäe des zeitgenössischen Rechtspopulismus mit dem Vlaams Belang nichts zu tun haben: zu nah an der Neonazi-Szene in Belgien, zu tief verwurzelt in der alten extremen Rechten. Freilich ist die Partei, ähnlich dem französischen Front National (FN) oder den Freiheitlichen (FPÖ) in Österreich, um mehr Imagekultur bemüht. Darum sollen auch diese extremistischen Eiferer bald einer Fraktion der Ultras im Europaparlament angehören, falls die „Nationalistische Internationale“ Ende Mai auf einen Stimmenanteil kommt, der ihr den Fraktionsstatus beschert. Allerdings warten die Flamen in Antwerpen umsonst auf ihren neuen Alliierten. Erst heißt es, Wilders’ Sicherheit könne bei dieser Kundgebung nicht garantiert werden. Dann sickert durch, die eigene Partei nehme ihn derzeit übermäßig in Anspruch.
So sagt eben Belang-Ikone Filip Dewinter, was gesagt werden soll: Auch in Antwerpen gebe es zu viele Marokkaner, außerdem in Gent zu viele Roma. Er steht mit wild fuchtelndem Zeigefinger und sich fast überschlagender Stimme auf der Bühne: Zuwanderung nach Europa müsse „aufhören“. Auch Dewinter hat einen Saal vor sich, der „Weniger, Weniger“ skandiert.
Es bleibt harmonisch
Was die geplante Einheitsfront der Ultra-rechten betrifft, so ist einiges in Bewegung: Der Front National hat bei den französischen Kommunalwahlen erneut bewiesen, sich unter Marine Le Pen salonfähiger und geschmeidiger präsentieren zu können. Geert Wilders, der sich bisher von vermeintlich radikaleren Kräften fern hielt, gibt nun den „Bad Cop“, was durchaus als Aufforderung an andere rechtsnationalistische Parteien zu deuten ist, sich dem Bündnis anschließen. Das benötigt mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Staaten, um im Europaparlament eine Fraktion zu sein. Offizielle Verlautbarungen über die Teilnehmer gibt es nicht. Neben der PVV und dem Front National gelten die Lega Nord, die Schwedendemokraten, die FPÖ und Vlaams Belang als wahrscheinlich – was nicht genug wäre. Denn gewonnen wird die Wahl für die anti-europäische Rechte nicht nur am bürgerlich-konservativen Rand, sondern auch in stramm identitären Gefilden.
Möglich, dass man beim Front National nicht sonderlich beglückt war über die Wortwahl des Partners in den Niederlanden. Doch sollte man nicht vergessen, wie Wilders und Le Pen im Herbst öffentlich ihr Wahlprojekt besiegelten. Auch damals sprach der Gastgeber nicht nur davon, den Nationalstaat in Ehren wieder herzustellen. Er wollte ebenso „gegen Massenimmigration“ vorgehen. Ganz harmonisch ergänzte seinerseits Marine Le Pen: „Heute haben wir beschlossen, als nationalistische Bewegungen in Europa zusammenzuarbeiten, wollen wir doch unseren Völkern die Freiheit zurückgeben.“
Tobias Müller schreibt für den Freitag regelmäßig über die Benelux-Staaten
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