Genossen in der Schlucht

Niederlande-Wahl Die niederländischen Sozialdemokraten haben eine epische Schlappe erlitten. Die Gründe dafür sind struktureller Art

Der befürchtete Große Knall blieb aus: dass Geert Wilders' Partij voor de Vrijheid die niederländischen Wahlen nicht gewonnen hat, sondern abgeschlagen hinter der marktliberalen Regierungspartei VVD landete, dass sie gar den zweiten Platz mit Christdemokraten und den progressiv – liberalen D66 teilen musste – dieses Ergebnis lässt zunächst einmal viele Beobachter aufatmen.

So groß scheint die Erleichterung, dass dahinter ein anderen Knalleffekt leicht verschwindet. Was damit zu tun haben könnte, dass der Absturz der niederländischen Sozialdemokraten einer stillen Implosion gleicht. Von 38 auf neun Sitze wird die Fraktion der Partij van de Arbeid schrumpfen, fünf Jahre, nachdem man beinahe die stärkste Partei des Landes geworden wäre. Eine Legislaturperiode liegt zwischen Spitze und Absturz. Eine volle, wohlgemerkt, was an sich schon bemerkenswert ist, denn fast 20 Jahre lang scheiterten niederländische Kabinette vorzeitig.

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Vielleicht liegt gerade hierin die Tragik der PvdA. Ausgerechnet diese vollendete Legislaturperiode, deren milliardenschweres Kürzungsprogramm in den ärmeren Schichten des Landes so schmerzhaft einschnitt, hat die Partei in das tiefste Tal ihrer Geschichte gestürzt. Was freilich in dem Moment absehbar war, als man, wie man hier sagt, 2013 mit der VVD "in See ging”. Dass für die sozialdemokratische Basis das Narrativ der notwendigen Grausamkeiten nicht zieht, stand immer fest.

Abgestraft wurden am Mittwoch im Prinzip beide Partner der liberal–sozialen Regierung Rutte II. Dass die Niederlage der Sozialdemokraten so viel schwerer ausfiel, hat noch einen anderen Grund: enttäuschte Wähler auf der Linken hatten in GroenLinks eine mehr als brauchbare Alternative – deren Erfolg auf der, man möchte es kaum so nennen, Wahl–Party der PvdA auch den Umständen entsprechend frenetisch beklatscht wurde.

„Wir dürfen die Populisten nicht imitieren, sondern müssen aufrecht unsere eigenen Werte vertreten.”

GroenLinks hatte nicht nur eine ansprechende Kampagne rund und den charismatischen Spitzenkandidaten Jesse Klaver, sondern auch ein deutlich schärferes soziales Profil als in früheren Jahren. Und für PvdA–affine mit eher linksliberaler Neigung waren diesmal offenbar Democraten66 die überzeugendere Option.

Soweit die etwas weiter reichende Ursachenforschung. Jenseits dieses parteipolitischen Kontexts spielt im Fall der niederländischen Sozialdemokraten aber noch mehr. Seit der Fortuynschen Revolte 2002 ist offensichtlich, dass die Partei in einer strukturellen Krise gelandet ist, die ihre tiefste Identität betrifft.

Seither gibt es einen Graben, der die politische Landchaft der Niederlande durchzieht: die inzwischen sprichwörtliche Kluft zwischen “Volk” und “Elite”. Und mitten in diesem Graben sitzen seither, mal mehr, mal weniger tief, die Sozialdemokraten. Der dritte Weg, das sieht man 20 Jahre später auch in anderen europäischen Ländern, hat in den Abgrund geführt.

Eine hektisch hin– und herflackernde Fieberkurve – so gestaltet sich das jahrelange Ringen der PvdA um den eigenen Kurs. Ein neuer Vorsitzender nach dem anderen wurde zuletzt als Hoffnungsträger empfangen und nach einer Weile wieder verabschiedet: Wouter Bos, Job Cohen, Diederik Samsom, nun Lodewijk Asscher. Gut möglich, dass man in diesen Tagen einen neidischen Blick nach Berlin wirft. Doch der Schulz der niederländischen Linken heißt, wenn überhaupt, Jesse Klaver. Der am Wahltag im Übrigen einen Satz sagte, welcher der PvdA in den Ohren klingen dürfte: „Wir dürfen die Populisten nicht imitieren, sondern müssen aufrecht unsere eigenen Werte vertreten.”

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