Und plötzlich war Geert W. zur Lachnummer geworden. Stand dort vor dieser überdimensionierten Fahne in rot, weiß und blau, der Requisite aus einem Stück, das gerade abgesetzt worden war. Nur der Hauptdarsteller hatte das nicht mitbekommen – ausgerechnet er, der mit zwei Fingern beständig den Puls von „Henk und Ingrid“ fühlte, dem fiktiven weißen Mittelschichtpaar und Protagonisten seiner Rhetorik, deren vermeintliche Interessen zu vertreten er einst zu seiner Mission erhoben hatte.
Jetzt ist ihm, dem Populisten par excellence, das Volk einfach davongelaufen. 2012 hat Geert Wilders seinen Zauber verloren. Bei den niederländischen Parlamentswahlen letzte Woche büßte seine Partij voor de Vrijheid (PVV) fast die Hälfte ihrer Wähler ein. Nur noch 15 statt 24 Sitze wird sie künftig haben.
„In Brüssel feiern sie jetzt eine Party“, sagte Wilders hilflos, als er seinem Anhang zum ersten Mal eine Niederlage verkaufen musste. Tatsächlich dürfte man den Absturz der radikalen Europafeinde wohl im Hauptquartier der EU mit einem erleichterten Seufzer quittiert haben; vielleicht hat manch einer die PVV im Geiste sogar schon auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgt.
Zenit überschritten
Für ihren Einbruch gibt es triftige Gründe. Die zentrale Agenda der „drei großen I“ – Immigration, Integration und Islam –, die den politischen Diskurs der Niederlande fast ein Jahrzehnt lang prägte, hat ihren Zenit überschritten. Die anhaltende Wirtschaftskrise war das zentrale Thema des Wahlkampfs. Und die PVV hatte darauf keine Antwort. Stattdessen widmete sie sich intensiv einem damit verwandten Aspekt: der europäischen Dimension der Krise. Allerdings trafen Ton und Inhalt ihrer monatelangen Tirade gegen den „Brüsseler Superstaat“, der die Niederlande zu einer „unbedeutenden Provinz“ mache, nicht mehr den Nerv der Zeit.
Geert Wilders, der Lautsprecher der Volksseele, vergaß einen essentiellen Baustein der Mentalität im Land: „Sei normal, dann bist du schon verrückt genug.“ Dieses vielzitierte Sprichwort bringt die allgemeine Wertschätzung für Durchschnitt und Konsens zum Ausdruck. Wilders’ rabiate Rhetorik hatte eine Zeit lang Konjunktur. Doch das schrille Gezeter über EU-Austritt und seine allzu plakative Restaurationsromantik bezüglich einer Rückkehr zum Gulden überspannten den Bogen. Auch dass er im April der letzten Regierung seine Unterstützung entzog und damit die Neuwahlen nötig machte, brachte ihm wenig Sympathie.
Öffentliche Revolte
Hinzu kommt, dass die PVV seit ihrem großen Durchbruch vor zwei Jahren immer wieder durch interne Querelen auffiel, die auch auf ihr explosionsartiges Wachstum zurückgingen. Die Konstellation – neue Partei, entsprechend unausgereifte interne Strukturen, viele Mandate – erwies sich als Magnet für allerlei zweifelhafte Figuren. Unerlaubter Waffenbesitz, Anzeigen wegen Körperverletzung und Bedrohung, Verbraucherbetrug – dies waren nur einige der Schlagzeilen über PVV-Abgeordnete. Außerdem hinterließ die öffentliche Revolte des populären Fraktionsmitglieds Hero Brinkman Spuren, der schließlich sein Mandat aufgab und mit seinem Widerspruch andere anstachelte.
Nimmt man all dies zusammen, hätte der Absturz der Partei eigentlich noch schlimmer ausfallen müssen. Für eine Partei mit so engem Fokus ist Wilders’ PVV dann doch erstaunlich stabil. Ihr Wählersockel umfasst immerhin noch mindestens zehn Prozent der Stimmen, und die PVV bleibt zusammen mit den Sozialisten die drittgrößte Partei der Niederlande.
Statisten und Protagonisten
Das ist viel im Kontext dieser Wahlen, die die politische Landschaft der Niederlande geteilt hat. Dort gibt es nun eine Art politischer Zwei-Klassen-Gesellschaft: nämlich neben zahlreichen Statisten nur noch zwei Protagonisten. Die sogenannten Rechtsliberalen und die Sozialdemokraten sind die eindeutigen Gewinner und schicken sich nun an, zusammen eine proeuropäische große Koalition zu bilden. Premier Mark Rutte muss sich und seine Volkspartij voor Vrijheid en Democratie wohl etwas neu justieren, um den Sozialdemokraten Diederik Samsom ins Boot zu holen. Denn seinen Wahlsieg verdankt der alte und vermutlich neue Regierungschef einem radikalen Kürzungsprogramm, das ihn zu einer Art Musterknaben der Austerität gemacht hat.
Es ist aber nicht so, dass mit der neuen Koalition die Agenda von Ruttes früherem Partner Wilders rückstandsfrei verschwunden wäre. Als Ruttes Partei ihren Sieger feierte, ließ sich das auf den Plakaten gleich hinter der Bühne ganz gut erkennen: „Ärmel hoch statt Hand aufhalten“ stand dort zu lesen, „Mehr Polizei auf der Straße statt hinterm Schreibtisch“, oder „Kein Niederländisch, keine Stütze“. Für einen Abgesang auf Geert Wilders ist es also auf jeden Fall zu früh.
Tobias Müller berichtet als Korrespondent aus Belgien und den Niederlanden
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