"Die Sache ist klar: was illegal ist, ist verboten, egal, wer es tut". Tim Kuik, Direktor der niederländischen Autorenrechtevereinigung Brein (Gehirn), zeigte sich zufrieden, als Ende Juli ein Amsterdamer Gericht zu einem spektakulären Urteil kam. Binnen zehn Tagen musste die Download-Plattform Pirate Bay auch in den Niederlanden offline sein, ansonsten stehen den Angeklagten drastische Geldbußen ins Haus. 30.000 Euro soll sie jeder Tag kosten, an dem Internetnutzer zwischen Maastricht und Groningen die Downloadsite noch abrufen können. "Weil auf der Website mehr als zwei Millionen Filme, Musikalben und Spiele ohne Zustimmung der Rechteinhaber angeboten werden", war Brein gegen die Datenpiraten vor Gericht gezogen. In einer Pressemitteilung hieß es, hierbei handelte es sich um "die vielleicht umfangreichste Verletzung der Urheberrechte aller Zeiten."
Den drastischen Worten folgte indes ein Verwirrspiel mit vielen Unbekannten und noch mehr Fragezeichen. Wenn die Frist am heutigen Montag ausläuft, wird Pirate Bay aller Wahrscheinlichkeit nach auch in den Niederlanden weiter erreichbar sein. Die einfachste Erklärung dafür ist, dass die Angeklagten ein Berufungsverfahren anstrengen und ihrerseits nun Brein auf Schadensersatz verklagen wollen – wegen Rufschädigung. Erst ein Urteil in höherer Instanz könnte die Verurteilten also zur Kasse bitten. Doch als Mitte letzter Woche bekannt wurde, Pirate Bay bleibe in den Niederlanden online, steckte dahinter noch eine wesentlich vertracktere Konstellation. Der mitverurteilte Pirate-Bay-Pressesprecher Peter Sunde wies darauf hin, die Angeklagten seien nicht mehr die Betreiber der Website und könnten diese demnach auch nicht stillegen.
Diese Bucht gehört mir gar nicht
Sunde spielte damit auf die Frage an, wer eigentlich für die größte Filesharingseite des Internet verantwortlich ist. Erst im Juni verkündete Global Gambling Factory – eine schwedische Softwarefirma, die auch Internetcafés und Spielhallen betreibt – Pirate Bay Ende August für 5,5 Millionen Euro übernehmen zu wollen. Um den zahlreichen Klagen gegen die Webseite zu entgehen, will man diese in ein bezahltes Filesharing-System umbauen. Auch eine Reihe von Hollywood-Filmstudios kündigte dieser Tage eine Klage gegen die Seite an. Laut Peter Sunde, der vergangene Woche nun auch noch seinen Rücktritt als Pressesprecher bekannt gab, sind die drei angeklagten Gründer allerdings schon heute weder Eigentümer noch Betreiber von Pirate Bay. Statt dessen verwies er auf eine auf den Seychellen ansässige Firma namens Reservella als derzeitige Besitzerin. Das Domainregister whois verzeichnet diese tatsächlich als registrierende Organisation. Daneben finden sich jedoch auch Name und Mailadresse des Mitangeklagten Fredrik Neij, einem weiteren Gründer von Pirate Bay, der ebenfalls verurteilt wurde.
In den Hintergrund tritt dabei, dass sich der digitale Kampf um Autorenrechte mehr und mehr zuspitzt. Der Prozess in Amsterdam, von dem die Angeklagten trotz Kontaktversuchen auf Facebook und Twitter nach eigener Aussage nichts wussten, lieferte bereits das zweite millionenschwere Urteil gegen die schwedischen Datenpiraten. Ein Stockholmer Gericht hatte sie im April zu Schadensersatzzahlungen von 2,75 Millionen Euro samt einem Jahr Gefängnis verdonnert. Auch hier gingen die Verurteilten in Berufung. Im Raum steht damit dennoch die Frage, welche Justiz-Instanzen überhaupt für die Verfolgung der vermeintlichen Verstöße verantwortlich sind. Das Urteil von Amsterdam könnte als Präzedenzfall Schule machen, auch und gerade wenn die Angeklagten betonen, niemand von ihnen sei in den Niederlanden wohnhaft.
Piraten verschärfen Rhetorik
Zugleich reagieren diese neben einem offensichtlichen Versteckspiel auch mit zunehmend kämpferischer Rhetorik. "Wir nehmen solchen Nonsens nicht länger hin, dass Anti-Piraten- Organisationen uns absurde kriminelle Handlungen vorwerfen. Die Menschen sollten sich über all die Gesetze bewusst sein, die unsere politischen Gegner brechen, um uns zum Schweigen zu bringen", so Peter Sunde nach der Urteilsverkündung. Laut Christian Engström, Europaabgeordneter der schwedischen Piratenpartei, zeige das jüngste Verfahren, dass Film- und Musikindustrie immer verzweifelter auf die Piratenbewegung reagierten, weil sie wüssten, den Kampf nicht gewinnen zu können.
In den Niederlanden ist das drohende Verbot der Website, zumal im Sommerloch, durchaus für Schlagzeilen gut. Eine öffentliche oder publizistische Debatte zum Thema findet in den Mainstreammedien jedoch kaum statt, und Autorenrechte stellen keinen Schwerpunkt auf der politischen Agenda dar. Zwar besteht seit 2006 ein niederländischer Zweig der Piratenpartei, die aber bisher weder an Wahlen teilnahm noch in Diskussionen von sich reden machte und auch zum aktuellen Urteil nichts verlauten ließ. An mangelndem Bedarf für freies Downloaden liegt das jedoch kaum. In Anspielung auf ein nationales Klischee äußerte sich der Teilnehmer eines Diskussionsforums letzte Woche wie folgt: "Die Niederlande sind eins der größten Piratereiländer, weil wir zu schäbig sind zu bezahlen."
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.