Geht es nach Attje Kuiken, hat die parlamentarische Linke der Niederlande am 4. Februar 2023 „einen historischen Moment“ erlebt. Was feiert die Fraktionschefin der Partij van de Arbeid (PvdA) so enthusiastisch? Die Sozialdemokraten hielten an jenem Tag ihren Parteikongress in Den Bosch ab, und das in der gleichen Halle wie die Oppositionskollegen von GroenLinks (GL) den ihren. Delegierte konnten zwischen den beiden Veranstaltungen hin- und herlaufen, Kuiken und ihr linksgrünes Pendant Jesse Klaver hielten ihre Reden quasi vor beiden Parteien.
Gemeinsame Fraktion
Mit dem Doppel-Kongress wurde die Kampagne für die Regionalwahl eröffnet, die in allen zwölf Provinzen der Niederlande am 15. März stattfindet. Sie gilt als aussagekräftiger Stimmungstest in
r Stimmungstest in der Mitte der Legislaturperiode des Haager Parlaments. Der Ausgang des Votums entscheidet über die Zusammensetzung des Senats, in dem die Mitte-rechts-Koalition von Premier Mark Rutte schon jetzt keine Mehrheit hat. Aus roter und grüner Sicht ist diese Wahl jedoch aus einem anderen Grund ein Schlüsselmoment: Die beiden Parteien wollen im künftigen Senat eine Fraktion bilden. In der Provinz Seeland tritt bereits eine gemeinsame Liste an. Angesichts einer möglichen Fusion, über die seit Jahren spekuliert wird, ist das Frühjahr 2023 insofern ein Meilenstein.„Unsere grünen und sozialen Ideen haben einen gemeinsamen Feind: den übertriebenen Kapitalismus. Ausbeutung und Verschmutzung gehen Hand in Hand“, formulierte Klaver, 2022 einer der Protagonisten des Projekts „linke Zusammenarbeit“. Im vergangenen Sommer beschlossen jeweils mehr als drei Viertel der Mitglieder beider Parteien die Koordinaten für mehr Nähe: Doppelmitgliedschaft, koordinierte Kampagne samt Wahlprogramm für die Europawahl 2024, Referenden über gemeinsame Listen für die Parlamentswahlen Anfang 2025. Bekenntnisse wie die des Frontmannes Jesse Klaver, der eine „fundamentale linksprogressive Alternative“ anstrebt, um die Dominanz neoliberaler Politik zu brechen, hört man seit Jahren bei GroenLinks. Die Partei entstand vor gut drei Jahrzehnten aus dem Zusammenschluss der KP der Niederlande, linker Christen und pazifistischer Sozialisten.Attje Kuiken träumte im Januar für die PvdA gar von einem linken Wahlsieg 2025, wenn man nur die Kräfte bündele. Dass Mark Rutte von der strikt marktliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) zuletzt gegen eine „linke Wolke“ vom Leder zog, schien einen Rechts-links-Konflikt auf Augenhöhe anzudeuten, was es lange nicht mehr gab, weil die Sozialdemokraten merklich an Gewicht verloren haben.Die Aufbruchsstimmung bei PvdA und GroenLinks erinnert an vergleichbare Augenblicke der jüngeren Vergangenheit wie den rauschhaften GL-Aufstieg mit Jesse Klaver als Shootingstar 2017 oder den frischen Elan der Sozialdemokraten 2012 mit dem Spitzenkandidaten Diederik Samsom, der aus der ökologischen Bewegung kam, oder mit Job Cohen 2010. „Linker Frühling“ wird ein solches Momentum gern genannt. Die Sehnsucht danach ist groß, doch in der Regel verpufft schnell, was ein Aufschwung werden könnte. In der politischen Kultur der Niederlande münden Krisen trotz aller Unruhen und Vorbehalte zumeist in eine von der Mehrheit getragene Standard-Antwort: mehr Markt! Das Projekt „linke Zusammenarbeit“ trägt die Hoffnung in sich, diesem Zustand zu entkommen, obwohl der GL-Boom seinen Zenit überschritten hat und die Sozialdemokraten sich bis heute nicht vom „Ablegen ihrer ideologischen Federn“ erholt haben, das ihnen Wim Kok als einstiger Regierungschef 1995 verordnete. Sie konnten nicht wirklich darüber hinwegkommen, dass ein Teil der Basis zu den Rechtspopulisten eines Pim Fortuyn abwanderte. Im Senat kommt die PvdA derzeit auf sechs von 75 Sitzen, GL auf acht. In der Zweiten Kammer des Parlaments besetzen beide Parteien lediglich 17 von 150 Mandaten. Ein linker Machtblock sieht anders aus.Fraglich ist, ob sich diese Anteile einfach verdoppeln lassen und zu mehr linkem Einfluss führen. Nach einer aktuellen Umfrage könnte eine gemeinsame Senatsfraktion mit 13 Sitzen rechnen und läge damit noch immer zwei hinter der VVD. Bliebe noch die Frage des inhaltlichen Angebots – dass der ökologische Umbau der Wirtschaft sozial gestaltet werden muss oder beispiellose zentrifugale Wirkungen entwickelt, steht außer Zweifel. Dass Bruchlinien zwischen traditionellen sozialdemokratischen und grün-progressiven Milieus verlaufen, ebenso.Welcher Art die Bedenken auf beiden Seiten sind, wurde zuletzt immer wieder deutlich. Der ehemalige PvdA-Chef Ad Melkert mahnte an, dass ein Fusionieren im Senat noch keine zusätzlichen Stimmen einbringe. Mehrere Parteiprominente unterzeichneten 2022 einen offenen Brief, in dem sie auf ihr „rot schlagendes Herz“ verwiesen, sozialdemokratische Ideale und den Rückhalt bei „Leuten mit schmalem Portemonnaie und bescheidener Ausbildung“, die sich von den Sozialdemokraten abgewandt hätten. „Holen wir sie durch eine Fusion mit GroenLinks zurück?“ Unterzeichner wie die Ex-Parteichefs Ruud Vreeman und Hans Spekman verwahren sich nicht gegen mehr Nähe zum künftigen Partner, wollen aber bedächtiger und analytischer vorgehen.Vorwurf „Verwalter-Partei“Aufschlussreich sind die Vorbehalte junger GL-Mitglieder. Auch sie veröffentlichten ein Positionspapier, in dem sie sich als eine Generation beschreiben, die den Klimawandel schwer zu spüren bekomme und keine Chance auf ein eigenes Haus habe, dafür aber mit akuten Defiziten bei der medizinischen Versorgung aufgewachsen sei. Missstände, die von den etablierten Generationen der PvdA mitzuverantworten seien, da sie einst in Regierungskoalitionen dem neoliberalen Zeitgeist dienten. Wegen „gravierender ideologischer Unterschiede“ distanziere man sich als junge GL-Generation von der PvdA als „Verwalter-Partei“ im Sinkflug.Auch wenn es intern rumort, machten beide Parteien im Februar eine Ankündigung, die klar erkennen ließ, weshalb sie sich annähern. Sie erklärten, nochmalige Einschnitte bei der Pflege und der sozialen Sicherheit wie beim Wohnen werde eine gemeinsame Senatsfraktion nicht hinnehmen. Auf ihre Stimmen dürfe die Regierung nie und nimmer rechnen.