Wilders wildert bei den Sozis

Niederlande Mehr als die deutschen haben die niederländischen Sozialdemokraten bei der EU-Wahl verloren. An die Rechten. Die Partei steckt tief in der Krise. Nicht zum ersten Mal

Eine kritisch- analytische Nabelschau ist nichts Neues bei der Partij van de Arbeid (PvdA). Nach den an die Wand gefahrenen Europawahlen und dem Absturz von 23,7 auf 12,1 Prozent artet sie mehr denn je in Selbstgeißelung aus. Ein elitärer Club für Hochgebildete sei man geworden, den Kontakt mit den „Volksvierteln“, dem Hort der traditionellen sozialdemokratischen Basis, habe man verloren, so seziert Bildungsminister Ronald Plasterk als erste Parteigröße das Debakel schuldbewusst im Algemeen Dagblad, das seinerseits den Kontakt in eben jene Viertel noch pflegt. Plasterk schlussfolgert: „Wir müssen zurück zur Kernfrage: wozu ist die PvdA auf der Erde?“

Eine klare Antwort darauf ging auch durch den Modernisierungsprozess verloren, den die die Sozialdemokraten europaweit in den neunziger Jahren durchliefen. Die Niederlande waren seinerzeit einer der kontinentalen Vorreiter. Als die Schröder- SPD kurz vor der Jahrtausendwende versuchte, ihre Reformagenda unters Wahlvolk zu bringen, diente das Nachbarland mit seiner Konsenskultur und dem „Jobwunder Poldermodell“ als Musterbeispiel. Das Vakuum, das die PvdA durch den Anschluss an den neoliberalen Mainstream hinterließ, wurde in den vergangenen Jahren von der Sozialistischen Partei (SP) ausgefüllt. Die verheerende Niederlage bei der Europawahl jedoch erklärt sich damit nicht. Sozial motivierte Protest gegen die Wirtschaftskrise fiel bisher auch in den Niederlanden aus. Die SP – die bei den Parlamentswahlen 2006 noch vom sozialdemokratischen Reformkurs profitiert hatte – verzeichnete nur minimalen Zuwachs.

Als Hauptschuldiger denunziert

Wichtiger ist der tiefgreifende politische Wandel in den Niederlanden, der Abkehr vom Multikulturalismus. Den eklatanten Verlusten der PvdA stehen die Gewinne der xenofoben Partij voor de Vrijheid (PVV) nicht nur gegenüber – es gibt auch einen direkten Zusammenhang. „Wenn ich die PVV-Wähler sehe, sehe ich unsere Menschen“, sinniert Plasterk. Den übergelaufenen Wählern gingen zudem einige prominente Politiker voraus. Pim Fortuyn begann seine politische Laufbahn ebenso als Sozialdemokrat wie Hirsi Ali oder Ronald Sørensen, der Gründer der rechten Protestpartei Leefbaar Rotterdam, aus deren Reihene Pim Fortuyn hervorging. PVV-Vormann Geert Wilders bedient heute nicht nur eifrig chauvinistische Ressentiments, er bezichtigt die PvdA zugeich als Hauptschuldige für das vermeintliche multikulturelle Chaos. Der Vorwurf: Sie werde von den Funktionsträgern dominiert und habe sich von den Problemen der einfachen Menschen entfremdet. Ausgerechnet Minister Plasterk stimmt nun in die Kritik aus der rechten Ecke ein.

Fliegende Müllsäcke

Seit einem Jahrzehnt versuchen die Sozialdemokraten, ihr Image-Defizit zu korrigieren. Der jetzige Parteichef Wouter Bos bemüht sich um härtere Töne bei Themen wie Zuwanderung und Integration. Demonstrativ sägte die Parteispitze 2008 die eigene Integrationsministerin ab, die zu sehr an die alte PvdA erinnerte. Doch der Kampf bleibt ein hoffnungsloser – die Partei ist in dieser Frage tief gespalten. Kaum hatte sie zu Jahresbeginn ein neues Positionspapier zur Integration veröffentlicht, musste sie es auf Druck der Basis auch schon wieder entschärfen. Hinzu kommt, dass ihr diese Botschaft nicht abgenommen wird, wie die konstant hohen Umfragewerte der PVV zeigen. Das ganze Dilemma spiegelt sich in den Worten Plasterks. "Ich würde gerne auf dem Markt von Volendam stehen, wo eine Mehrheit für die PVV stimmte, und fragen, was wir anders machen müssen. Wir können nicht weiter die Segnungen der multikulturellen Gesellschaft betonen, wenn die Menschen ihre Nachbarn nicht mehr verstehen und die Müllsäcke nach unten fliegen sehen."

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