Alle Wahlen wieder

Berlinwahl Zwei Gründe, warum die etablierte Politik den Höhenflug der AfD nicht nur nicht stoppt, sondern sogar noch beflügelt

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Frank Henkel (CDU), Michael Müller (SPD), Ramona Pop (Grüne): Was nun?
Frank Henkel (CDU), Michael Müller (SPD), Ramona Pop (Grüne): Was nun?

Bild: STEFFI LOOS/AFP/Getty Images

Wir erleben dieser Tage vor und nach jeder bedeutenden Wahl dasselbe Spiel. Vor dem Urnengang warnen alle etablierten Parteien den Wähler einhellig davor, ihre in Umfragen sichtbar gemachte Wahlabsicht wahr zu machen. Und nach jedem erneuten und erwarteten Höhenflug der Rechtspopulisten von der AfD ist die Bestürzung groß. Das haben wir jüngst in Mecklenburg-Vorpommern beobachtet und auch heute in Berlin ist es nicht anders.

Die Wahlergebnisse scheinen für die politischen Akteure weiterhin vollkommen unverständlich zu sein. Denn bislang haben weder die tendenziell linken Parteien, noch die CDU ein Rezept entwickelt, den Aufstieg der Schreihälse von Rechtsaußen zu stoppen. Dies liegt keineswegs nur an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, die ausschließlich von der AfD vollends abgelehnt wird. Viel mehr liegt ein ganz zentraler Grund darin, dass Linke, Grüne, SPD und CDU ihre bisherigen Strategien nicht überdenken, sondern weiter fortsetzen – trotz ihrer offensichtlichen Erfolglosigkeit.

Genau genommen haben sich bislang zwei Strategien abgezeichnet, der AfD entgegenzutreten – und beide haben fatale Folgen.

Rechts-populistische Abwege der Großkoalitionäre

Erstens lassen sich die einen von Petry, Meuthen, Holm und Co inhaltlich nach rechts abdrängen. Vorneweg marschiert seit Langem die CDU-Schwesterpartei CSU, deren Forderungen sich bei anonymisierter Veröffentlichung kaum von denen der AfD unterscheiden lassen. Während die CSU auf diese Weise leicht durchschaubar um ihr Alleinstellungsmerkmal in Bayern kämpft und damit durchaus Erfolg haben könnte, gibt es auch in Merkels CDU unterschiedliche Scharfmacher, die das ‚konservative‘ Profil ihrer Partei betonen möchten. Anders als in früheren Auseinandersetzungen ist das aber dieses Mal keine CDU-Taktik, in welcher Merkel die Ihrigen mit verbalen Testballons vorschickt, um de Maizière, Tauber oder andere später mit einer maternalistischen Rüge wieder einzufangen. Es verfestigt sich vielmehr das Bild eines ernstzunehmenden Richtungsstreits in der CDU und das ist schlecht für die Christdemokraten. Konservative Wähler mögen persönliche Fehltritte und politische Richtungswechsel verzeihen, aber Streit mögen sie überhaupt nicht.

Eine ähnliche Strategie scheint sich nun auch im Willy Brandt-Haus durchzusetzen, wenn man Chefstratege Sigmar Gabriel zuhört. Diese Richtungsentscheidung lässt sich relativ monokausal mit dem vermeintlichen Wahlerfolg Erwin Sellerings erklären, aber es ist mehr als fraglich, ob die SPD ausgerechnet auf diese Weise ihren sukzessiven Prozent-Verfall aufhalten kann. Es stellt sich zum einen Frage, ob sie hiermit nicht ihre verbliebenen, links-orientierten Wähler verprellt. Und zum anderen stellt sich die, ob sie somit die zur AfD abwandernden Arbeiter tatsächlich wieder einfängt. An genau dieser Stelle machen CDU und SPD einen entscheidenden Fehler (während die CSU damit Erfolg haben könnte). Denn an der Wahlurne ziehen die Wählerinnen und Wähler stets das politische Original vor (man erinnere sich an die plötzliche Wende Merkels in der Atomfrage vor der Wahl in Baden-Württemberg). Und wenn es darum geht, einen (rechts)populistischen Gegenpol zur aktuellen Flüchtlings- und Integrationspolitik der Kanzlerin zu bilden, ist die AfD das noch dazu radikalere Original. Aus diesem Grund ist das Bestreben, AfD-Forderungen auf die eine oder andere Weise als 'berechtigte Ängste' zum eigenen Programm zu machen, keines, mit welchem sich gegen die AfD Wahlen gewinnen lassen.

Schlimmer noch, diese Strategie ist nicht nur inhaltlich fraglich, sondern beflügelt die AfD eher noch. Indem die Etablierten den Rechtspopulisten nachlaufen, verschaffen sie deren Forderungen Legitimität und machen sie damit für bestimmte Wählergruppen erst wählbar. Es ist folglich ein doppeltes Eigentor, dass sich die Parteien der großen Koalition auf diese Weise schießen. Die AfD lacht sich derweil ins Fäustchen.

Moralisierende Hysterie

Ganz anders und moralisch auf der vermeintlich sicheren Seite wähnen sich Grüne und Linke in ihrer fast hysterischen Ablehnung der AfD. Natürlich, mit ihren radikal anti-europäischen, ausländerfeindlichen und noch dazu neo-liberalen Positionen könnte es kaum einen deutlicheren Gegensatz zu den Programmen von Linken und Grünen geben. Und da ist es natürlich beängstigend, wenn dieses radikale Kontrastprogramm aus dem Stand an den Beiden Oppositionsparteien vorbeizieht. Und das zum Teil auf der Überholspur (Meck-Pom).

Aber in ihrer hysterischen (Über-)Reaktion verpassen sie es nicht nur, für die Stärke der eigenen Konzepte zu werben, sie spielen der AfD-Logik von Protest und Polarisierung zusätzlich in die Karten. Indem sie die AfD per se als undemokratisch disqualifizieren, ihr jede Dialogeignung absprechen und ihre Wahl als individuelle Denkfehler einer demagogisch fehlgeleiteten Minderheit interpretieren, bestärken sie deren Wähler in doppeltem Sinn. Eine zentrale Ursache in der Wahl der AfD liegt im Wunsch begründet, Protest auszudrücken und damit das politische System und seine Eliten zu erschüttern und zu verängstigen. Die Hysterie von Grünen und Linken versichert die Protestwähler nun gerade darin, dass ihnen dies gelungen ist. Vor den TV Schirmen wird kein AfD-Wähler angesichts erschrocken mahnender Politiker seine Entscheidung bereuen. Vielmehr freuen sich andere potentielle Protestwähler (etwa an Saar, Rhein und Ruhr oder hoch im Norden) diebisch mit und lassen sich somit für kommende Wahlen einfacher rekrutieren. Dies ist das berühmte Gefühl politischer Selbstwirksamkeit.

Hinzu kommt noch ein zweiter Punkt. Und zwar ist es der politischen Linken in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren gelungen, den politisch-gesellschaftlichen Diskurs in ganz zentralen Politikfeldern zu besetzen (Europa, Familie, Ernährung, Energie, Flüchtlinge, etc.). Sie hat damit nicht nur die Deutungshoheit über das was als politisch korrekt gelten und damit als legitime Forderung betrachtet werden kann, erlangt. Sie hat auch politische Entscheidungen massiv geprägt (zum Beispiel Atomausstieg, Kita-Plätze, gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder die Aufnahme von Flüchtlingen). Man mag das - wie der Autor dieses Artikels - inhaltlich vollkommen richtig finden. Abgesehen von Baden-Württemberg hat sich diese Gestaltungsmacht bislang allerdings nicht in Wahlergebnissen wiedergespiegelt. Folglich war es naheliegend, dass viele Menschen nicht still mit den Politiken sympathisieren, sondern - und dies kann man natürlich falsch finden - sich missachtet, bevormundet und überholt fühlen. Dass sie sich nun in einem Rundumschlag gegen alles wenden, was sie mit links-intellektuell oder grün assoziieren, ist unabhängig von den tatsächlichen, realpolitischen Auswirkungen.

Und wenn die links-intellektuelle Politik der Protestwahl jetzt einhellig jede Rationalität abspricht, lebt sie diese vermeintliche Bevormundung weiter vor. Sie schürt damit die Wut derer zusätzlich, die sie eigentlich zurückgewinnen will. Sie war zuletzt vergleichsweise erfolgreich darin, ihre politischen (Teil-)Ziele durchzusetzen oder dem politischen Gegner zu eigen zu machen. Dies als technokratisch-moralischen Determinismus zu kommunizieren hat aber in etwa dieselbe Wirkung, wie wenn Eltern auf das gefragte 'Warum' ihrer Kinder mit einem trockenen 'Darum' antworten. Diese antworten auf die Frage nach ihrer Rebellion ebenso trocken mit 'Darum'.

Rationale politische Auseinandersetzung anstatt Anbiederung oder Verurteilung

Man muss nicht allen Argumenten an dieser Stelle zustimmen, aber für die etablierten Parteien ist es höchste Zeit, ihre dysfunktionalen Abwehrstrategien zu überdenken. Anstelle sich fremde Parolen zu eigen zu machen oder in moralisierende Verurteilungen zu verfallen, sollten sie auf die Stärke ihrer demokratischen Programme setzen, ihre politischen Erfolge betonen, sich rational mit AfD-Positionen auseinandersetzen und auf die Überlegenheit der eigenen Argumente vertrauen. Echte politische Auseinandersetzung ist jetzt gefragt. Anhand dieser Auseinandersetzung werden auch die Wähler sehen, wem sie am ehesten ihr Vertrauen schenken sollten.

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