Die neue Minderheit

Generationengerechtigkeit Die Alten machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt. Und die Jungen können wenig dagegen tun. Ein Plädoyer für mehr Generationengerechtigkeit.

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Dieser Beitrag widmet sich einer scheinbar paradoxen Frage: Wie kann ein offensichtlich gerechtes und vor allem gleiches Wahlrecht ungerecht sein, ja zu möglicherweise illegitimer Politik führen?

Im Zentrum der demokratischen Idee steht das argumentative Ringen um Mehrheiten. Dies hat sich zweifelsohne bewährt. Problematisch wird der Kampf um Mehrheiten aber, wenn Mehr- und Minderheit in bestimmten Fragen vorherbestimmt sind. Dann kann es zu einer sogenannten Diktatur der Mehrheit kommen.

Momentan erleben wir die Marginalisierung einer neuen Gruppe zu einer Minderheit: Die Jugend. Der demographische Wandel kommt, was hinlänglich bekannt ist. Trotz erster kritischer Artikel, wird bislang überraschend wenig darüber diskutiert, welchen Einfluss dies auf die politischen Entscheidungen unserer Gesellschaft hat. Ein Übergewicht der Silver Ager ist per se erstmal kein Problem. Insbesondere, da lange als ausgemacht galt, dass die Wahlentscheidungen der Alten stärker als die der Jungen durch Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein geprägt sind. Weisheit an der Wahlurne als Privileg des Alters sozusagen. Aber was passiert, wenn die Alten sich primär als eigene Interessengruppe begreifen, stärker in ihrem als im gesamtgesellschaftlichen Sinne entscheiden?

Erste Hinweise hierauf hat die jüngere Vergangenheit bereits für uns bereitgehalten. Es gehört zu den Vorzügen direktdemokratischer Entscheidungen, eindeutige Voten hervorzubringen, selbst wenn die Entscheidung knapp ist. Ja oder nein, die Mehrheit entscheidet. Ebenso geben die Demoskopen Aufschluss darüber, wer oder besser welche gesellschaftliche Gruppe wie entschieden hat. Das vieldiskutierte Brexit-Referendum hat eindeutig gezeigt, dass die Gruppe der Alten den Brexit wollte, die Gruppe der Jungen nicht. Das Ergebnis ist bekannt.

Aber es bedarf nicht zwingend eines Referendums, um den Einfluss des demographischen Wandels auf die heutige Politik deutlich zu machen. Heute tritt die stärkste Rentenerhöhung seit über zwanzig Jahren in Kraft. Und das in Zeiten, in denen niemand unter 30 ernsthaft an eine sichere Rente glaubt. Aber nicht nur offensichtlich altersspezifische Entscheidungen lassen sich aus Perspektive der Generationen- (Un-)Gerechtigkeit analysieren.

Man denke an die Abwrackprämie oder an die symbolische Schwarze-Null-Politik der Bundesregierung. Auf den ersten Blick sind das keine Entscheidungen, die einen Generationenkonflikt widerspiegeln, oder doch? Die sogenannten Millenials, die heute ungefähr 20 bis 35 -Jährigen haben heute weniger Geld als ihre Eltern im selben Alter. Darüber hinaus besitzen im weniger Junge überhaupt ein Auto. Ihnen wird die Prämie also eher nicht zugutegekommen sein. Oder betrachten wir die aktuelle Sparpolitik. Ist diese nicht gerade Ausdruck von Rücksicht auf die zukünftigen Generationen, denen kein übermäßiger Schuldenberg zugemutet werden soll? Diese Motivation mag edel erscheinen, verblasst aber vor dem Hintergrund eines wachsenden Investitionsstaus, zum Beispiel in Deutschlands maroden Straßen, Brücken oder Schulen. Auch hier werden Schulden angehäuft, die irgendwann teuer abbezahlt werden müssen. Dabei ist die Möglichkeit zu investieren heute für Deutschland so günstig, wie nie. Investitionen in Staatsanleihen müssen sogar bezahlt werden anstatt Zinsen abzuwerfen. Ewig wird aber auch der Niedrigzins nicht halten. Warum also diese Sparsamkeit am falschen Ende? Ganz sicher nicht ausschließlich aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber dieser und der zukünftigen Jugend, die noch dazu derzeit in den maroden Schulen lernen muss.

Aus politiktheoretischer Sicht ergibt diese Entwicklung Sinn. Die Wahlbeteiligung korreliert mit dem Alter. Der sozio-ökonomische Status einer Person ist ein wesentlicher Erklärungsfaktor ihres politischen Engagements. Hier haben die Alten Vorteile gegenüber den Jungen und trotz des nach wie vor eklatanten Problems der Altersarmut, scheint sich dies eher zu verstärken. Schließlich sorgt der demographische Wandel dafür, dass die Gruppe der Alten immer stärker an Bedeutung gewinnen wird. Hier wird auch kein (unwahrscheinlicher,) neuer Baby-Boom auf absehbare Zeit eine Umkehr bewirken. Ob und wann die Zugewanderten der jüngeren Vergangenheit wählen dürfen steht auf einem ganz anderen Blatt. Wer Wahlen gewinnen will, muss folglich Politik im Sinne älterer Wähler machen – oder zumindest versprechen.

Aktuell scheint es folglich so, dass die Alten sich mit ihren generationenspezifischen Interessen durchsetzen können, sofern sie das wollen. Und immer mehr spricht dafür, dass sie ihren politischen Einfluss zu ihren Gunsten geltend machen. Auch auf Kosten der Jugend und zukünftiger Generationen.

Deshalb sollte die Frage gestellt werden, wie die Interessen der Jungen und auch zukünftiger Generationen gewahrt werden können. Denn es ist nicht nur die offensichtliche Tatsache, dass die Jungen länger mit den Konsequenzen politischer Entscheidungen werden leben müssen als die Alten, die die heraufziehende Wahl-Gerontokratie problematisch macht. Es geht auch darum, welche Voraussetzungen wir zukünftigen Generationen hinterlassen wollen.

Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt - sondern von unseren Kindern geliehen. Wenn dieser vielzitierte Sinnspruch nicht mehr hinreichend Strahlkraft besitzt, als Wert, politische Entscheidungen zu beeinflussen, sollten wir darüber nachdenken, ihn in Gesetzesform zu gießen. Vorlagen zum Schutz von Minderheiteninteressen gibt es genug. Ein erster Schritt wäre aber, sich einzugestehen, dass die aktuelle Jugend eine solche Minderheit darstellt, die zunehmend marginalisiert wird.

Natürlich kann dies den Aufruf nicht ersetzen, dass die Jungen auch stärker Gebrauch von ihren politischen Rechten machen sollten. Eine höhere Wahlbeteiligung junger Menschen allein wird das Problem aber nicht lösen.

Dem entschieden entgegenzutreten ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der Nachhaltigkeit unserer politischen Entscheidungen. Es geht folglich darum, eine Eskalation des Generationenkonflikts zu verhindern, aber nicht nur.

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