Das Gadget und das Klassenzimmer

Digitalisierung Johanna Wanka will die Schulen digitalisieren und packt damit Probleme an, die es nicht gibt

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Das Gadget und das Klassenzimmer

Foto: CHARLY TRIBALLEAU/AFP/Getty Images

Es gibt im Kabinett der Bundesregierung sicherlich angenehmere Posten als den des Bildungsministers. Kein Mensch weiß heute mehr so recht, was Bildung eigentlich ist, geschweige denn, was sie im Idealfall sein könnte und leisten sollte. Gleichzeitig herrscht quer durch fast alle politischen Lager in der gesamten Gesellschaft verblüffende Einigkeit darüber, dass es mit der Bildung in Deutschland nicht gerade zum Besten steht. Mit dem sogenannten PISA-Schock sind offenbar sämtliche Dämme gebrochen. Seitdem darf sich wirklich jeder berufen fühlen, mit seiner fixen Idee in die endlosen Diskussionen um Gründe für und Wege aus der proklamierten Bildungskatastrophe einzugreifen, die mit schöner Regelmäßigkeit unter anderem in den unvermeidlichen Talk-Shows der Öffentlich-Rechtlichen zelebriert werden. Parallel dazu wurden in der schulischen Realität des bundesdeutschen Bildungsföderalismus munter Reformen implementiert, die das verkrustete, antiquierte Bildungssystem (das in der Politik selbst mittlerweile diskreditierte Vokabular des Neoliberalismus lebt in der Sprache der aktivistischen Bildungsreformer bis heute weiter) endlich heilsamen Radikalkuren unterziehen sollten. Dass im gleichen Zuge der sowieso schon angeschlagenen Bildung im klassischen Sinne letzte, vielleicht tödliche Stöße versetzt wurden, das interessierte niemanden, auch keine Linken, die sich in Sachen Bildungspolitik auch sonst nicht wirklich vom Konsens der kapitalistischen Mehrheitsgesellschaft lösen wollen. Die Linken wollen für die Schulen vor allem mehr Geld. Das ist einerseits löblich, andererseits eben nicht genug. Ein guter Gärtner kann es beim Gießen allein nicht belassen. Das Problem liegt tiefer.

Die großen Diskussionen darum, was Schule im 21. Jahrhundert noch darstellen soll, man hat sie einer unheiligen Allianz von Wirtschaft, Reformpädagogik und erziehungswissenschaftlichem Konstruktivismus überlassen, die nun das Schulwesen nach ihren Vorstellungen kräftigst umzubauen gedenken. Letzterer ist dabei nur der ideologische Ausdruck eines allgemein grassierenden narzisstischen Relativismus, der das Partikulare absolut setzt und den Wert eines kulturellen Kanons nicht verstehen kann. So hält mittlerweile die Trivialliteratur immer öfter Einzug in den Deutschunterricht, der sich einst sinnvollerweise die Aufgabe gestellt hatte, Schüler mit dem zu konfrontieren, was sie von selbst vielleicht nicht gelesen hätten. Verbesserung der Bildungssituation, das heißt indes für die Öffentlichkeit Verbesserung der Ergebnisse in irgendeinem Ranking, im besten Falle PISA. Was Bildung ist, das weiß also niemand mehr, aber alle sind sich darin einig, dass man sie dringend updaten muss.

Immer dann, wenn eine Bildungskrise zusammentrifft mit einer Regierung, die sich durch intellektuelle Fadheit ebenso auszeichnet wie durch den unbedingten Willen zur Simulation von entschlossener Handlungsfähigkeit, dann ist das Resultat die ewige Losung nach der Modernisierung des Klassenzimmers. Nun soll ein Digitalpakt her und ironischerweise Probleme lösen, die das deutsche Bildungssystem überhaupt nicht hat. Jahrhunderte und Jahrtausende ist der Unterricht im Abendland und anderswo ohne Whiteboards, Smartphones und Tablets ausgekommen und hat dabei immerhin den ein oder anderen großen Geist hervorgebracht, gerade weil sie sich erlaubte, Kinder nicht nur zu fördern, sondern auch zu fordern. Die Arroganz des 21. Jahrhunderts gegenüber dem gesamten Rest der Geschichte besteht nun darin, die Bildung für eine App zu halten, die nur der technischen Optimierung bedarf, um die deutsche Misere endlich zu beenden. Dabei geht endgültig die Idee verloren, dass die Schule ein Ort sein sollte, der sich ganz deutlich unterscheiden muss vom restlichen Alltagsleben seiner Schüler. Die Schule kann im besten Fall eine Festung der Muße sein, um deren Mauern die kalten Fluten des Reichs der Notwendigkeit vorbei rauschen. Vor der Schule gab es für die Masse denn auch keine Bildung, nur Ausbildung. Wer sich deshalb gegen die vermeintliche Praxisfeindlichkeit der Schule wendet, der wendet sich tatsächlich nur gegen das Prinzip Schule selbst.


Nachdem man die Inhalte bereits erfolgreich durch Kompetenzen ersetzt und das klassische Ideal des gebildeten Bürgers damit eingetauscht hat gegen das des findigen Konsumenten, wird nun auch das menschliche Element in der Schule zunehmend demontiert. Der Lehrer, ohnehin heute mehr als halber Sozialarbeitet, als Coach seiner Schüler gedacht, rückt zunehmend in den Hintergrund, während das Zentrum der Aufmerksamkeit von einer ganzen Reihe elektronischer Gadgets eingenommen wird. Die elektronische Tafel war bei ihrer Einführung nicht mehr als ein Witz. Die meisten Lehrer wussten nicht mit ihr umzugehen und manche bemalten sie sogar versehentlich. Heute hingegen scheint die Bildungsfrage existenziell mit der Anschaffung von noch mehr Whiteboards verknüpft zu sein. Unwillkürlich denkt man an das bekannte Lenin-Zitat, wonach Kommunismus „Sowjetmacht plus Elektrifizierung“ bedeute. Der elektrifizierte Klassenraum jedenfalls ist das Ideal der Stunde, das in schockierendem Kontrast zur immer noch schrecklich analogen Realität des Unterrichts steht. Sehr interessant hierbei, dass ausgerechnet der notorisch klamme Bildungssektor, der seine Schulen vielerorts verkommen lässt und dessen Bibliotheken halb verfallene Bücher horten, gerade jetzt einmal die Spendierhosen anzieht. Für digitalen Schwachsinn aller Art sind offenbar plötzliche Mittel vorhanden, um die ansonsten stets gebettelt werden musste.

Kritik an all dem kommt, wenn sie denn überhaupt kommt, eher von rechts denn von links. Das ist wenig überraschend, spricht doch der gesellschaftliche Rechtsruck der jüngeren Vergangenheit auch generell dafür, dass die Rechte die Felder für sich zu besetzen kann, von denen die postmoderne Linke nichts weiß oder nichts wissen will. Zweifler erscheinen durch die Bank weg als Ketzer an der naiven Technik-Begeisterung, die weite Teile des sogenannten progressiven Spektrums in ihrem Bann hält. Auf Bento, dem Portal für lässigen, coolen und dummen Journalismus, wurde denn auch gleich der Deutsche Lehrerverband exkommuniziert und aus der heiligen Gemeinschaft derer, die für technischen und gesellschaftlichen Fortschritt kämpfen. Er hatte sich erlaubt, zu bemerken, dass man die für die Digitalisierung vorgesehenen Gelder an anderer Stelle sinnvoller gebrauchen könnte. Dem Präsidenten des Verbands, Josef Kraus, empfahl man glatt, jemand solle ihm doch einmal „zeigen, wie man sich mit Wikipedia ein Thema erschließt und binnen Minuten tief in aktuelle Forschung und Diskussionen einsteigen kann. Wie man über ein paar Links zu interaktiven Grafiken gelangt, die ein Thema besser erklären als drei Seiten Buch.“
Leute, die so etwas glauben, lesen nicht mehr.

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