Gefährliche Leere

Sebastian Kurz Das politische Phänomen Sebastian Kurz weist über sich selbst hinaus - und vielleicht auch in die Zukunft.

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Das Wort "kometenhaft" sollte man in Texten über Aufstieg und Fall "großer" Persönlichkeiten eigentlich eher vermeiden, weil es schlicht zu abgegriffen ist. Bei Sebastian Kurz kann man es sich dann aber doch schlecht verkneifen. Österreich mag ein kleines Land, ein in Europa eher mittelmäßig bedeutsamer Staat mit einigen wenigen Millionen Einwohnern sein, doch es ist ohne Frage beeindruckend, wenn sich ein mit politischem Instinkt gesegneter Millenial erst eine Volkspartei unterwirft, dann die rechtspopulistische FPÖ mit den eigenen Waffen schlägt und schließlich mit gerade 31 Jahren Regierungschef wird. Jetzt, keine zwei Jahre später, könnten dem Übereifrigen seine fragwürdigen Methoden allerdings auf die Füße fallen. Man wird sehen, ob sich der gewiefte "Basti" noch einmal mit einem fadenscheinigen Manöver retten kann, oder ob sich der Skandal nicht nur zum Wendepunkt für ihn, sondern für die ganze politische-mediale Kultur eines Landes entwickelt, das in dieser Hinsicht schon seit geraumer Zeit auf Abwegen wandelt.

Das Bestechende und zugleich Unheimliche an Sebastian Kurz ist ganz klar seine Chamäleonhaftigkeit. Das Phänomen kurz mutet an wie eine seltsame Synthese aus anderen umtriebigen politischen Gestalten wie Boris Johnson, Emmanuel Macron und Viktor Orban. So unterschiedlich diese Männer sein mögen, haben sie doch eines geeinsam: Sie alle haben es erfolgreich geschafft, das normalerweise so gefestigt wirkende politische Koordinatensystem ihrer Länder zu verschieben. Sie haben dabei nicht nur die vielzitierten "Grenzen des Sagbaren" aufgeweicht, sondern auch die ganze Dynamik innerhalb der politischen Landschaften. Und sie traten dabei an mit inhaltlich mehr oder weniger seriösen und konkreten Versprechen von Wandel und Neuerung, auch wenn sich Viktor Orbans Neuanfang für Ungarn deutlich anders gestaltete als Macrons teilweise erfolgreicher Versuch der Implementierung einer französischen Agenda 2010. Mit Boris Johnson verbindet Kurz, dass er eine alte, konservative Volkspartei, die ÖVP, in persönliche Geiselhaft nahm, um sie einem unorthodoxen Imagewandel zu unterziehen. Kurz änderte die Farbe der Partei (nun türkis) und machte sie ganz zu seinem eigenen Vehikel, nachdem er sich zuvor als rettender Messias präsentieren konnte, der bei der nächsten Wahl dann auch tatsächlich ein sehr ansehnliches Ergebnis ablieferte. Dazu wandte er den beunruhigenden Trick an, die rechtsradikalen Inhalte der FPÖ zu kopieren, sie dann aber mit der ihm eigenen schwiegersöhnlichen Schein-Seriöstität und Jugendlichkeit (der Macron-Faktor!) zu verkaufen, die vielen Wählern offenbar weniger degoutant erschien als die ungeschlachte Festzelt-Rhetorik der FPÖ.

Der Vergleich mit Ungarn und Orban mag indes vielleicht noch etwas weit hergeholt wirken, doch besteht spätestens durch den Korruptionsskandal kein Zweifel mehr, dass der ÖVP bestimmte Aspekte einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft ebenso wenig irritieren wie ihre Kollegen von der ungarischen Fidesz. Die eingehegte ungarische Demokratie ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie Europa sich im Namen der eigenen Identität abschaffen könnte. Auch in der Alpenreublik ist mittlerweile vieles normalisiert, was in Deutschland wohl zurecht noch für Aufschreie und Skandale sorgen dürfte. Dennoch ist die anti-demokratische Fäulnis hier längst noch nicht so weit fortgeschritten wie bei den östlichen Nachbarn. Dennoch haben der jetzige Skandal und vor allem der Umgang von Sebastian Kurz mit den Korruptionsvorwürfen eine neue Qualität. Der Mann, der es einst schaffte, eine Koalition mit der FPÖ zu bilden und sich zugleich immer wieder oberflächlich von deren Radikalismus zu distanzieren, versucht sich gerade an einem zweiten Husarenstück. Die ungeheuerlichen Anschuldigungen will er auf dreisteteste Weise bagatellisieren, sich selbst als Opfer darstellen und den Schaden soweit zu begrenzen, dass er bald an die Spitze des Staates zurückkehren darf. Sollte man ihm das jedoch durchgehen lassen, degradierte sich Österreich selbst zur Bananenrepublik, in der Sebastian Kurz vermutlich weiterhin irgendwie die Fäden ziehen wird. Die demokratische Substanz des Landes würde weiter Schaden nehmen und Politiker von ÖVP und anderen Parteien könnten schamloser denn je agieren. In einer solchen Atmosphäre wären langfristig vielleicht auch tatsächlich solche Reformen denkbar, die Österreich näher heranbringt an ungarische bzw. orbansche Verhältnisse.

Kurz, das zeigen die Vorgänge, ist flexibel. Ausgangs- und Endpunkt seines politischen Agierens scheint das Interesse am eigenen Machterhalt zu sein, das nicht weiter an irgendein reaktionäres oder progressives Wertesystem gebunden ist, sondern kalkuliert Stimmungen nutzt und auf dieser Basis dann sehr viel aktiver und aggressiver Politik macht, als es etwa die ebenfalls "unideologische" Technokratin Angela Merkel tat. (In Deutschland steht mit Markus Söder allerdings bereits ein potentieller Epigone dieser Strategie bereit.) Wie einst Orban hat auch Kurz sich eine rechte politische Agenda angeeignet, gibt sich dabei weiterhin als gemäßigt-konservativer Vernunftpolitiker aus und betrachtet die liberale Demokratie mit der gleichen instrumentellen Verachtung wie seine ehemaligen Koalitionspartner von rechtsaußen. Dieses Modell könnte sich in Zukunft für immer mehr machthungrige, ideologisch weitgehend indifferente Karrieristen aus den europäischen Parteien der konservativen Mitte als profitabel erweisen. Der offizielle antifaschistische Konsens der europäischen Demokratienwürde als Gesslerhut bestehen bleiben, denn während man die Politik der Rechten de facto übernäme und vielleicht sogar mit ihnen kooperiert, täte man doch weiter so, als wäre das alles eine aus der Not geborene Belastung, ein großes, notwendiges Übel, damit es im Land iregndwie vorangehe. Und wenn dann die verrückten Rechten einmal mehr in Skandalen versinken, könnte man zur Not immer noch wieder mit mitte-links koalieren, als wäre nichts gewesen. Ein ideologisch, politisch und moralisch bankrotter Konservatismus könnte im 21. Jahrhundert endgültig an seine Grenzen stoßen, unter Druck gesetzt von einem deutlich attraktiveren, neu belebtem Liberalismus auf der einen Seite, von den Vertretern der rechtslibertären Rentnerstammtische wie der AfD auf der anderen. Der Weg des Sebastian Kurz weist möglicherweise einen Ausweg aus diesem Dilemma, das aber freilich nur unter der Prämisse weitgehender Preisgabe demokratisch-rechtsstaatlicher Standards, ideologischer Konsinstenz und nicht zuletzt auch des eigenen Anstands.

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