Es war Anfang der neunziger Jahre, als einer der großen deutschen Pop-Vordenker per Bus, Mitfahrgelegenheit und manchmal sogar zu Fuß endlose Strecken durch das versmogte und dunstige Los Angeles zurücklegte. Er befand sich dann entweder auf dem Weg zu einer Vorlesung am Pasadena Art Center oder er wollte ins Atelier des „letzten großen Künstlers des 20.Jahrhunderts“, wie die New York Times Mike Kelley nannte, am anderen Ende der Stadtwüste, in Highland Park, gelangen.
Mike Kelley und sein geistiger Förderer in Europa, Diedrich Diederichsen, verband nicht nur die Faszination für Subkultur-Pop, sie hatten auch beide keine Ahnung vom Autofahren. Als ich mich im Herbst 1994, bei der Recherche zu einer Story fürs Süddeutsche Zeitung Magazin, von Mike Kelley über den Freeway fahren ließ, wurde ich Zeuge seines katastrophalen Fahrstils. Kelley fürchtete sich vor dem monströsen Autobahnsystem. Wer hätte ahnen können, dass eine Lappalie wie die Unfähigkeit, ein Auto zu steuern, indirekt zu seinem Selbstmord im Winter 2012 führen konnte – so jedenfalls spekulierten Freunde von Kelley vor zwei Jahren in der Los Angeles Times.
Malträtierte Stofftiere
Zwar war kein anderer Künstler über die Jahre tiefer in die Kanalisationssysteme der Populärkultur eingetaucht, doch seine Unsicherheit auf Los Angeles Straßen wirkte schon damals schmerzhaft und symbolisch: Er war eine Art später Hippie und wollte Dinge machen, die den Erfolg ausschließen und ihn einen Outlaw bleiben ließen. So ähnlich äußerte er sich damals mir gegenüber am Steuer seines Pickups. Er mutierte dabei zum „Sad Sack“, jenem tragisch-komischen US-Comic-Helden, der ständig sein Leben überdenkt, während er Abfall zur Müllhalde fährt – und dem Kelley 1998 die legendäre The Sad Sack-Serie widmete, in der von den Zeichnungen nur noch die Müllhaufen übrig blieben. Sie war Teil seiner Kunst, die sich genauer als alles, was jemals aus der USA kam, der amerikanischen Psyche widmete und nebenbei die Kultikone der Nach-Warhol-/Nach-Koons-Generation kreierte: malträtierte Stofftiere aus Secondhandläden.
Zwei Jahre sind seit Mike Kelleys Tod vergangen. Vergangene Woche nun feierte der wichtigste Kunsttempel von Los Angeles die malträtierten Stofftiere und ihren komplizierten Helden. Auf der Bühne des Museum of Contemporary Art (MOCA) steht Diane Ross und singt ihre Discohymne von 1980, Upside Down. Im Hintergrund sind die riesigen Hallen mit den monumentalen Arbeiten von Mike Kelley zu erkennen, gewaltige Wandteppiche aus Stofftieren, Plüschwesen, schmuddelige Skulpturen, unter deren Oberfläche die Perversion brodelt. Vor Diane Ross sitzen die VIPs der Stadt, während die Motown-Queen zu Someday we’ll be together wechselt. Zuvor hatte MOCA-Direktor Philippe Vergne Kelleys erfolgreichen Anti-Establishment-Gestus und den Prä-Punkrock aus Detroit mit Iggy Pop und MC5 gewürdigt. Dass es womöglich ein Fehler war, dass Kelley Erfolg hatte, erwähnte er nicht.
Die Los Angeles Times nennt die Ausstellung am nächsten Tag „the great homecoming“ – was die große Heimkehr, aber auch das große Ehemaligentreffen heißen kann. Es ist die vielleicht wichtigste Kunst-Retrospektive, die Los Angeles bis dato gesehen hat, und die VIPs dürfen schon mal vorab in Kelleys Herz der Finsternis schauen. Bei der Museumsvorfahrt explodieren die Blitzlichter. Limousinen mit Special Guests wie Jane Fonda, Pharell Williams, Johnny Depp, Nicolas Cage, Brad Pitt und anderen stecken fest. Es spielen sich rührend turbulente Szenen ab. Die Elite aus Hollywood mischt sich unter die Hipster der Kunstszene: Flea von den Red Hot Chili Peppers verbrüdert sich mit den alten Jungs seiner Band Butthole Surfers und den Jungs von Black Flag.
Der Streetart-Künstler Mr. Brainwash schwenkt gleich zwei iPhones, Lady Gaga hat sich verspätet. Ganz gewöhnliche Kelley-Fans sitzen hinter Abschrankungen in Warteschlaufen, bilden mystische Kreise, irgendjemand singt ein Lied von The Seeds. Währenddessen erwähnt Museumsdirektor Vergne die unfassbaren 100 Millionen Dollar, die das MOCA letztes Jahr an Spendegeldern bekam – auch wegen dem Riesenerfolg der West-Coast-School, „die immer radikaler, außenseiterischer und ‚funkier‘ auf Strömungen reagierte als die New York School“. Riesenapplaus. Mike Kelley war ihre Kultfigur. Und Los Angeles’ Künstler machen heute Kunst zur Geldsache, egal ob sie das gewollt haben oder nicht. Mike Kelleys höchstdotiertes Werk, die Installation Deodorized Central Mass with Satellites, ein Mobile aus farblich sortierten, zu wuchernden Planeten verwobenen Stofftieren, hat das New Yorker MoMA im vergangenen Jahr für vier Millionen Dollar angekauft. Auch Werke des Performancekünstlers und Bildhauers Paul McCarthy werden inzwischen für über eine Million gehandelt.
Kulturelle Schwärze
Acht riesige Scheinwerfer sind jetzt beim Eingang zum MOCA Richtung Himmel gerichtet und rotieren um die eigene Achse. Sie durchlöchern die kulturelle Schwärze über Los Angeles, als ob es auch im Himmel Kunstfreunde gäbe. In den gewaltigen Räumen des MOCA versüßt der Nostalgie-Pop von Diane Ross die Werke von Kelley.
Doch die Botschaft ist eine ganz andere: Pop war gestern. Darin liegt die Kraft und Bedeutung von Mike Kelley. Man vergleiche das mit Andy Warhol: Warhol kreierte Alltagsmythen. Kelley zerstörte sie. Andy Warhol überwand sein Außenseitertum, indem er eine Kunstfigur schuf. Kelley wurde Kultfigur als Underdog. Er bebilderte die Schattenseite des Populären. Von allen Künstlern der achtziger Jahre war er derjenige, der eine neue, komplexe Identität für seine Generation etablierte. Dass er obendrein kommerziell erfolgreich werden sollte und am Ende seines Lebens eine Mannschaft von 30 Mitarbeitern in seinen Ateliers beschäftigen musste, machte ihn fertig. Kelley war der Anti-Warhol – und seine Stofftiere womöglich die besseren Menschen. Davon sollte Diana Ross mal ein Lied singen.
Mike Kelleys Werke sind im Museum of Contemporary Art Los Angeles bis 28. Juli 2014 zu sehen
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