Dominica: Der Inselstaat in der Karibik will zur ersten klimaresilienten Nation werden
Reportage Nach dem verheerenden Orkan „Maria“ im Jahr 2017 sollte es einen Wiederaufbau geben, der dem Klimawandel Rechnung trägt. Die bisherige Bilanz fällt eher zwiespältig aus
Die Insel Dominica wurde vom Hurrikan Maria verwüstet
Foto: Giulio Di Sturco/contrasto/laif
Es war ein ambitioniertes Projekt, dem sich der Inselstaat in der Karibik mit seinen knapp 75.000 Einwohnern zuwenden wollte. Nach dem verheerenden Orkan „Maria“ im September 2017 ging es darum, die erste, gegenüber dem Klimawandel resiliente Nation weltweit zu werden. Eine Reaktion auf Gefahren, wenn der Meeresspiegel steigt, das Hurrikan-Risiko hoch bleibt und gravierende Auswirkungen auf den Fischfang bestehen. Manches ist seither auf den Weg gebracht, manches versiegt.
Es grenzte an ein Wunder, als sich Mitte Januar am Champagnerriff mehr als 100 Babyschildkröten ihren Weg vom Nest am Strand ins nahe Meer bahnten. Sie ließen sich vom tiefen Sand nicht abhalten, auch nicht von den Steinen, die den Strand säumen und größer sind als die Körper
örper dieser kleinen Tiere. „Seit Jahren haben wir die Schildkröten nicht mehr schlüpfen sehen“, ruft Pam Van Drie begeistert aus. Sie ist täglich an diesem Küstenabschnitt, der seinen Namen an Champagner erinnernden Blasen verdankt, die unterseeische Vulkanaktivität nach oben steigen lässt.Gemeinsam mit ihrem Mann Harry betreibt sie hier ein Tauch- und Schnorchel-Geschäft. Beide führen die so lange nicht beobachtete Massengeburt darauf zurück, dass sie diesen Strandabschnitt rekultiviert haben. „Wir beseitigten invasive Pflanzenarten wie den Seidenbaum und ersetzten sie durch Mangopflanzen und Palmen. Sie gaben den Nestern mehr Schatten. Und wir haben für tiefere Sandschichten gesorgt, damit die Schildkröten dort ihre Nester graben und die Eier verstecken können“, erzählt Harry, während er mit Pam auf die kleinen Reptilien schaut. Die Weltnaturschutzorganisation IUCN führt die Echte Karettschildkröte auf ihrer „Roten Liste“ der aussterbenden Arten.Finstere NachtFür Dominica ist es ermutigend, dass die Tiere an diesen Strand zurückgekehrt sind. Das Land präsentiert sich im weltweiten Tourismusgeschäft als „Nature Island“. Wen man hier auch fragt, der erwähnt stolz die vielen, angeblich über Hundert Flüsse, die zahlreichen Wasserfälle, die Wanderwege in den Nationalparks und vulkanischen Schwefelfelder. Dieses Inselparadies wurde vor mehr als fünf Jahren vom Hurrikan „Maria“ verwüstet. 90 Prozent der Häuser waren beschädigt, viele verloren ihre Dächer. „Unablässig fiel starker Regen. Über der Insel lag finstere Nacht“, erinnert sich der Sozialökonom Samuel Carrette.In manchen Orten wie dem Fischerdorf Coulibistrie im Nordwesten findet man noch immer Spuren der Zerstörung. Trümmer der traditionellen Spitzdächer liegen verstreut in der Gegend. Als der Orkan die Insel verwüstete, starben 31 Menschen, 37 gelten bis heute als vermisst. Nach dem ersten Schock erklärte Premierminister Roosevelt Skerrit: „Wir haben alles verloren, was man mit Geld kaufen und ersetzen kann. Wir brauchen Hilfe – Hilfe aller Art.“ Und die Hilfe kam. Die Weltbank gab 115 Millionen Dollar für den Wiederaufbau. Aus dem Interkaribischen Versicherungsfonds Caribbean Risk Insurance Facility (CCRIF) wurden 20 Millionen Dollar freigegeben, die EU beteiligte sich mit elf Millionen Euro an Soforthilfen. Weitere 20 Millionen Euro stellte sie für das „Build Back Better“-Programm zur Verfügung.Es sollte dem Zweck dienen, einen Hurrikan-resistenten Wiederaufbau anzugehen und einer Agenda zu folgen, die sich der Anpassung an den Klimawandel verschreibt – Indiz für einen politischen Sinneswandel? Um eine klimaresiliente Insel zu werden, entstand die Climate Resiliance Execution Agency for Dominica. Für diese CREAD arbeitet seither auch der Sozialökonom Samuel Carrette. „Der Hurrikan von 2017 gab den Ausschlag dafür, für mehr Resilienz schon beim Wiederaufbau zu sorgen. Wir kooperieren dazu mit den lokalen Behörden und den Communitys vor Ort. Es kam zu Gesetzesänderungen, um einen rechtlichen Rahmen für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft, auch beim Bauen und Wohnen, zu haben.“Placeholder image-1„Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, von der Planung bis zur Umsetzung“, sagt die Umweltingenieurin Genora Joseph, die ebenfalls bei CREAD engagiert ist. Das sei bereits bei der Wahl von Standorten beachtet worden. „Schon bei den Notunterkünften nach der Katastrophe sind wir auf Zonen ausgewichen, die weniger stark von Überflutungs- oder Erdrutsch-Risiken betroffen sind. Die Gebäude wurden so konstruiert, dass sie Hurrikans der Stärke fünf standhalten, dazu eine autonome Energie- und Wasserversorgung haben.“Zugleich wurden Menschen aus gefährdeten Küstenregionen in das Landesinnere umgesiedelt, was nicht ausnahmslos auf Verständnis stieß. In den Küstenort Petite Savanne im Süden kehrten einige Bewohner trotz eines staatlichen Verbots wieder zurück. Das liege an der Verbundenheit mit der gewohnten Umgebung, hieß es. Starrsinn und Widerstandsgeist waren gleichfalls im Spiel. Überdies wurden die neuen Häuser nicht immer nach den besten Standards errichtet. „Die häufig mehrstöckigen Fassaden bieten dem Wind mehr Angriffsfläche als das traditionell niedrige Haus mit seinem steilen Dach. Im Grunde genommen wurde entgegen der erklärten Absicht damit die Verwundbarkeit der Bevölkerung sogar erhöht“, klagt der frühere Agrarminister Atherton Martin.Er wohnt noch in einer Anlage mit steilen Dächern, die dem Orkan „Maria“ allesamt standhielten. Martin, der bereits in den 1990er Jahren an der Spitze der Umweltbewegung Dominicas stand, als es galt, einen Kupfertagebau zu verhindern, der zehn Prozent der Inselfläche in Mitleidenschaft gezogen hätte, verweist auch auf Klagen von Bewohnern. „Es wurden teilweise minderwertige Materialien verwendet, man sieht es an Rohrleitungen und der Elektrik“, erzählt er. Erkennbar ist auf jeden Fall, dass Verkleidungen an den Fassaden bereits abfallen, Feuchtigkeit die Wände beschädigt.Chinesische Unternehmen, die Regierungsaufträge erhielten, stehen im Verdacht, schlampig gebaut zu haben. „Leider gibt es ein rechtliches Vakuum. Die Bauvorschriften für ein klimaresilientes Bauen sind leider noch nicht vom Parlament verabschiedet worden“, bedauert und erklärt CREAD-Mitarbeiterin Genora Joseph die sichtbaren Mängel. Noch überraschender sei, dass die neuen Bauten keinerlei Solaranlagen auf dem Dach hätten. „Nicht einmal ein Stadiondach, das von seiner Neigung und der großen Fläche her perfekt für Solarpanels geeignet ist, hat welche“, empört sich Ex-Minister Atherton Martin.CREAD-Mitarbeiter Carrette führt das darauf zurück, dass die Regierungspolitik zu sehr auf Geothermie fixiert sei. Geothermie ist wegen des vulkanischen Untergrunds in Dominica prinzipiell attraktiv. Freilich muss man dafür gut zweitausend Meter und mehr in die Tiefe, was die Kosten massiv erhöht. In zehn Jahren Geothermie-Erkundung wurden etwa 150 Millionen Ostkaribische Dollar (50 Millionen Euro) verbraucht, ohne dass ein Kraftwerk ans Netz ging. „Wir haben uns stattdessen für Solarenergie starkgemacht, und es gibt sogar ein Gesetz, in dem wir uns verpflichten, zwei Prozent der Energie solar zu erzeugen. Leider erreichen wir dieses Ziel momentan nicht“, so Carrette. Die wenigen Solaranlagen gingen auf private Investoren zurück oder auf Geberländer wie China, das mehrere Tausend Straßenlaternen mit kleinen Windrädern und Sonnenkollektoren als Energieversorgern spendete.In privater Initiative will die Künstlerin Margaux LaRoque einen Solarpark auf einem großen Felsen hoch über dem Fischerdorf Coulibistrie errichten. Staatliche Gelder will sie dafür nicht in Anspruch nehmen, weil sie der Regierung nicht traut und deren Politiker für Umweltschäden verantwortlich macht, die erst einmal nichts mit dem Klimawandel zu tun haben. Doch werden die Auswirkungen der Wetterveränderung dadurch verschärft. „Sie lassen den Fluss hier ausbaggern, entnehmen ihm die Steine. Das führt zu höherer Strömungsgeschwindigkeit in der Regenzeit und zum Austrocknen in der Trockenzeit, denn die Steine sorgten für ein Zurückhalten des Wassers. Wenn der Regen kommt, wird der Fluss zum Strom und reißt jede Menge Erdreich mit. Während des Hurrikans ,Maria‘ war es vor allem Schlamm, der in Häuser eindrang und sie verwüstete. Man kann daher sagen, Unternehmen, die Flusssteine zu Kies verarbeiten, zerstören unsere Umwelt.“Samuel Carrette von der Agentur CREAD hält Sturmfluten und Überschwemmungen für die größte klimabedingte Gefahr auf Dominica. Am Beispiel der Flüsse, die wie der Coulibistrie River ausgebaggert werden, zeige sich allerdings, dass nicht allein der Klimawandel die Risiken erhöht. „Der Klimawandel macht die Probleme der Vergangenheit stärker sichtbar und verschärft sie“, so Atherton Martin, der frühere Agrarminister. Gemeinsam mit Margaux LaRoque veranstaltet er Protestmärsche gegen die Regierungspolitik auf den Straßen der Hauptstadt Roseau.Die Widersprüche im Lande sind groß. Auf der einen Seite gibt es die Resilienz-Agentur CREAD, die den Willen zu einer veränderten Strategie ausdrückt, international stark beachtet wird und ein Beispiel für andere Länder ist. Barbados etwa hat einige der Maßnahmen Dominicas übernommen. Auch dort ist man sich dessen bewusst, was Klimaresilienz in diesen Zeiten bedeutet. Auf der anderen Seite kommt es zum Ausbaggern der Flüsse, und es verblüft die staatliche Ignoranz hinsichtlich der Solarenergie. „Dominica hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Gelegenheiten zu einer ressourcensparenden Politik und dem Ausbau einer nachhaltigen Wirtschaft verpasst. Begriffe wie ‚Nature Island‘ oder ‚erste klimaresiliente Nation‘ bezeugen leider zuallererst Marketingstrategien“, meint Atherton Martin. Er setze mehr auf die nächste Generation, auf neue intelligente Technologien und Grassroot-Initiativen für Solaranlagen und nachhaltige Landwirtschaft. Hoffnung in seinem Sinne vermitteln Tauchsportfirmen wie jene von Pam und Harry, die den Strand, an dem sie unterwegs sind, wieder dem Leben kleiner Schildkröten anpassen.Placeholder authorbio-1
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