RTL glaubte das Drehbuch schon geschrieben: Schwarzwald-Bubi Martin Schmitt dominiert nicht nur den Skisprungweltcup, sondern gewinnt im zweiten Jahr der Patenschaft des Senders über die kleinen Männer mit den viel zu großen Holzlatten endlich den Grand Slam des Winters, die Vierschanzentournee. Zwei Mal hatte es bereits nicht geklappt. Einmal schnappte der wortkarge Mann mit der Maske, Finnlands stoischer Weitenjäger Janne Ahonen, dem deutschen Jungstar den Sieg weg. Zum Chef des Milleniumwechsels in der vergangenen Saison mauserte sich einer von Austrias Adlern - Andreas Widhölzl, genannt "Swider", was im alpinen Dialekt so etwas ähnliches wie "der Mürrische" bedeuten soll. Zwei Schweiger, ausländische auch noch, vor dem Mediendarling, der ob seiner allseitigen Verwendbarkeit aus einer Retorte von Köln-Hürth zu stammen scheint. Das durfte sich nicht wiederholen. Und so wurde im Vorfeld der Vierschanzentournee medial klargemacht, wer die Heldenrolle spielen soll: Martin Schmitt - gefilmt beim Absprung. Aufgenommen bei der Landung. Ausgestrahlt im Flug. Martin mit Sprungski und ohne. Am Absprunggerät, im Aufenthaltsraum - und es fehlte nicht viel, dann auch noch im Wohnwagen. Immer dabei der lila Farbton eines Süßwarenherstellers. Gut, zwischendrin noch ein blasser Bub, Joghurtbecher preisend. Aber Sven Hannawald tauchte allenfalls als ergänzender Bildpunkt auf. Im Vordergrund und in lila der Martin; lila die Fans, ganz RTL war lila. Immerhin wartete Günther Jauch, zum Triumphzug bestellter Laudator, nicht in der allumfassenden Farbe auf.
Bei soviel rotblauer Tönung fühlte man sich an einen Schwimmstar erinnert, der, zum Vereinigungsidol auserkoren, den Umsatz von Milch- und Kakaoprodukten steigern sollte. Man erinnert sich auch - je mehr lila Pausen, desto schwächer der Armzug. Geschichte, zumindest Sport- und Werbegeschichte, wiederholt sich.
Der, für den alles gemacht scheint, versagt. Und ein neuer Komet steigt auf. Adam "der Riese" Malysz deklassiert die Konkurrenz geradezu. Sein Sponsor, ein Energydrink-Hersteller, kann sich beglückwünschen. Einst warb er in einem Comic damit, dass ein Schluck seines Getränks Flügel verleihe. Nun hat sich die Comic-Figur in Fleisch und Blut materialisiert. Malysz fliegt in neue Dimensionen. Er ist der erste, der je über eintausend Punkte erreichte. Mehr als einhundert Punkte liegt der Zweite zurück. Malysz gewinnt alle Qualifikationen, springt an drei Schanzen neue Rekorde und legt bis zu 20 Meter zwischen sich und die anderen. Bei jedem Wetter liegt der Mann vorn. Ein Wunder an Stabilität. Es heißt, er könne sich gut konzentrieren. Psychologen gingen ihm zur Hand. Das polnische Team sei eine verschworene Gemeinschaft. Keiner käme an sie heran. Warum auch. Springen ist ihr Beruf. Nicht lächeln. Malysz erscheint wie der Wiedergänger des Oberwiesenthaler Springflohs Jens Weißflog. Nicht nur wegen des Oberlippenbärtchens. Auch weil er kamerascheu ist, sich auf sein Handwerk konzentriert und wie der gelernte Ostdeutsche Weißflog zu Beginn seiner Karriere so wenig darin geschult ist, sich den Augen der Fernsehanstalten günstig zu präsentieren. Wieder stiehlt ein unattraktiver Schweiger dem Mädchenschwarm die Show. Wieder ist einer vorn, der, wenn überhaupt, nur mit den Augen lächelt und nicht gekonnt die Zähne zeigt. Nicht mal als Bester vom Rest der Welt war Martin Schmitt zu feiern. Vor ihm noch einer aus der Gilde der Schweiger - Janne Ahonen. Immerhin nimmt der Finne jetzt schon zum Interview die Maske ab, zwinkert sogar mit den Augen und hat tatsächlich einen schmatzenden Kuss auf eine Kameralinse gesetzt. Will sich da etwa einer anbiedern? Wohl kaum. Eher muss Ahonen die lockere Art gefallen haben, in der Nippons Spaßvögel Harada und Kasai ihre Siege zu feiern wussten. Das war vor der Ära Schmitt. Als man blondgefärbte Haare, geschwänzte Qualifikationen oder musikalische Einlagen noch für Ausflüsse individueller Exzentrik halten konnte und dahinter nicht öffentlichkeitswirksames Kalkül vermuten musste.
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