The same procedure as last year. Ende November startete die Skisprungsaison. Und wer gewann im finnischen Kuopio den Auftaktwettbewerb? Richtig, Martin "Air" Schmitt, der fliegende Milchbart, der Mädchenherzen so zum Rasen bringt, wie es sonst nur musizierende Boygroups hinbekommen. Und wer wurde Zweiter? Natürlich Milchbarts Doppelgänger, Sven "Hanni" Hannawald. Es war schon fast beängstigend, dass diese Wintersaison so begann, wie die letzte aufhörte. Martin Schmitt gestand, dass selbst ihm die Fortsetzung dieser Siegesserie unheimlich anmutete.
RTL hingegen konnte sich ins Fäustchen lachen. Der Privatsender besitzt seit Januar 2000 die Rechte an den meisten Skisprungwettbewerben. Für einen Drei-Jahres-Vertrag mit dem Deutschen Ski-Verband (DSV) legte RTL 48,5 Millionen Mark auf den Tisch und verkaufte die auf deutschen, österreichischen, Schweizer und tschechischen Schanzen stattfindenden Weltcup-Wettbewerbe als "Formel 1 des Winters". Das Sendeschema wurde durch die Rubriken "Countdown", "Top 30", "Update", "Finale" und "Highlights" aerodynamisch aufgepeppt. Schmitt, Hannawald und Bundestrainer Reinhard Heß stehen als auskunftsfreudige Medienpartner bereit. Und trotz anfänglicher Probleme waren die Skisport-unerfahrenen Privatfunker so erfolgreich, dass in Spitzenzeiten über acht Millionen Zuschauer ihren Live-Übertragungen folgten. Für diese Saison peilt Programmchef Mahr gar die Zehn-Millionen-Marke an. Da passte es gut ins Bild, dass die Vorzeige-Adler Schmitt Hannawald auch jetzt ihrer Konkurrenz davonflogen. Pech nur, dass die ersten vier Springen in Kuopio nicht von RTL aufgekauft wurden. Noch mehr Pech, dass die folgenden Springen in Ramsau und Liberec wegen Schneemangels abgesagt wurden. Dafür hatten die Rundumbeschleuniger sich die Rechte gesichert. So sind Schmitt und Hannawald also schon gesprungen, ohne dass RTL mit dabei war. Hämische Freude breitete sich bei denen aus, die die von diesem Sender verursachte Circensierung einer spektakulären Sportart noch immer nicht verdaut haben. Zu oft trat der sportliche Wettstreit in den Hintergrund. Die Schmittomanie führte dazu, dass japanische oder finnische Weltklasse-Athleten zu Nebenfiguren einer Runduminszenierung wurden. Als Maß für deutsche Springer zählte nur der Sieg. Platzierungen unter den ersten 15, die für die zweite deutsche Springergarnitur herausragend sind, wurden vollkommen entwertet. Selbst der respekterheischende Flug durch die Lüfte trat in den Hintergrund, wenn er durch die immergleichen Expertenmeinungen unterbrochen wurde. Die Übertragung auch des allerletzten Trainingsdurchgangs führte selbst bei den hartgesottensten Fans zu Übersättigung. Im Sommer erreichte die Festivalisierung ihren Höhepunkt. Die Mattensprungläufe wurden nicht mehr in zwei Durchgängen ausgetragen, sondern im KO-System. Über die Qualifikation, ein Viertel- und ein Halbfinale qualifizieren sich die Athleten für einen Enddurchgang. Die Entscheidung bringt dann ein einzelner Sprung. Eine von den äußeren Bedingungen so stark abhängige Sportart wie das Skispringen gerät so in bedenkliche Nähe zu einer Lotterie. Zu Winterbeginn legte der Skisportverband FIS diese Änderungen jedoch auf Eis und kehrte zur bewährten Regelung zurück. Es bleibt bei zwei Wertungsdurchgängen mit erst 50 und dann 30 Startern. Andere Regeländerungen rückten das Skispringen aber doch wieder in die Nähe der Formel 1. Der Tüftelei zur Verbesserung der Flugeigenschaften der Springer wurden enge Grenzen gesetzt. Bislang erinnerten die Sportler entfernt an Hip-Hopper: kleine schmächtige Gestalten in viel zu großen Anzügen. Es war in der Szene üblich, sich in Übergrößen zu kleiden, um in der Luft besseren Auftrieb zu genießen. Ab jetzt darf zwischen Stoff und Athletenkörper höchstens acht bis zehn Zentimeter Raum bleiben; vorher war mehr als doppelt so viel erlaubt. Außerdem wurde die Taillierung der Ski exakt festgeschrieben. Auf Höhe der Bindung darf die Skibreite 105 Millimeter nicht übersteigen, an Vorder- und Hinterteil 115 Millimeter. Damit werden die Ski kleiner. Die Auflagefläche verringert sich, und der Springer kann bei gleichem Krafteinsatz unter den gleichen Bedingungen weniger weit segeln. Diese Neuregelung kommt athletischeren Sportlern entgegen, die kraftvoller abspringen als jene abgemagerten Knaben, die auf breiten Brettern ins Tal segelten.
Gerade Sven Hannawald sprach man bei diesen veränderten Bedingungen die Erfolgschancen ab. Im Vorjahr wurde er mit Skiern, die kaum eingeschnitten waren, Skiflugweltmeister. Aber es hat sich gezeigt, dass Skispringen mehr ist als pure Berechnung. Hannawald futterte sich ein paar Kilo mehr an, verbesserte sein Absprungverhalten und springt nun unter physikalisch schlechteren Bedingungen genauso weit wie früher.
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