Handball wird durch Piercing schön

Sportplatz Handball ist einfachste Ballsportart. Man kann das Leder kicken, also mit dem Fuß durch die Luft bewegen. Man kann auch Rackets, Golf- oder ...

Handball ist einfachste Ballsportart. Man kann das Leder kicken, also mit dem Fuß durch die Luft bewegen. Man kann auch Rackets, Golf- oder Baseballschläger zu Hilfe nehmen, den Ball im Wasser schwimmend vor sich herschubsen oder ihn, riesengroß, in meterhohe Körbe fädeln, doch auf die simpelste Betätigungsart verfallen nur die Handballer. Sie tun, was den Hominiden von anderen Säugern, ja dem ganzen großen Rest der Tierwelt unterscheidet: Sie greifen das Rund mit der bloßen Hand und werfen es wieder weg.

Handball interessiert- im Vergleich zu Fuß- und neuerdings Basketball - kaum jemand. Die Sache ist offenbar bei weitem zu gewöhnlich. RTL oder Sat.1 sehen keine Quotenqualitäten. Spartenkanäle wie das DSF verschaffen allenfalls eingefleischten Fans Genugtuung. Handball-Clubs spielen nicht in Metropolen. Die Marmeladenstadt Bad Schwartau hat ein Erstliga-Team. Nester wie Lemgo, Gummersbach, Wallau-Massenheim dominieren noch immer die Szenerie. Der aktuelle deutsche Meister und Anwärter auf die Championsleague kommt aus Magdeburg. Ohne Jürgen Sparwasser würde niemand die anhaltinische Landeshauptstadt kennen.

Vielleicht passt Handball auch nicht in diese Zeit, weil der Sport zu hart ist; er braucht robuste, masochistische Spielertypen. Stark rangeln Männer da Leib an Leib um die Lederkugel, Oberschenkel klatscht an Oberschenkel, Hüfte an Hüfte. Ellenbogen landet in der Magengrube. Keine Polster sind zum Verstecken da. Beinharter Nahkampf ist die Regel. Wenn gehalten, geschubst und gestoßen wird, unterbricht so schnell kein Referee.

Die härtesten Vertreter der Zunft stehen im Tor. Ihnen sausen Geschoss gewordene Bälle aus drei, vier Metern Entfernung mit über 100 km/h um die Ohren. Sie stürzen sich darauf, um mit Arm und Rumpf und Kopf und Bein noch abzuhalten, was abzuhalten ist. 40 bis 50 Mal pro Spiel setzen sie sich dieser Belastung aus und muten ihrem Körper zu, was sonst nur Baseballkeulen oder Golfschläger aushalten. Leistung bemisst sich in blauen Flecken. Das sind Heldenmale vergangener Epochen. Kein Handballtorwart taugt zum Fernsehstar. Feldspieler nicht viel mehr. Auswahltrainer Heiner Brand ist zwar ein ausgewiesener Fachmann. Auch trägt er einen Bart wie weiland Jon Tiriac. Anders als der schillernde Rumäne schweigt Brand jedoch emphatisch.

Das wird sich auch während der am 25. Januar beginnenden Europameisterschaft der Männer in Schweden nicht ändern. Das deutsche Team gehört nach EM-Bronze 98 und einem stark gespielten, aber unglücklich verlorenen Olympia-Turnier (Platz 5) zu den Medaillen-Favoriten. Die Mannschaft ist ausgeglichen besetzt und gereift. Zwar hat sie es in ihrer Vorrundengruppe mit Weltmeister Frankreich, Ex-Champion Jugoslawien und Kroatien zu tun, aber an guten Tagen kann sie jedes Team bezwingen. Vermutlich geschieht dies unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit. Das DSF wird die Spiele zwar übertragen. Über den Kreis der Eingeweihten wird aber wahrscheinlich nur das Engagement von Stefan Kretzschmar hinausdringen.

Der gebürtige Leipziger ist der einzige deutsche Handballstar. Das ist er nicht wegen seiner Leistungen, obgleich er zu den stärksten Linksaußen gehört. Kretzschmar machte als Handball-Punk Furore. Mehr als ein Dutzend Tattoos zieren seine Haut. Gesicht und Ohren sind abgeklebt wegen diverser Piercings. Er galt als undiszipliniert, als enfant terrible. Er zog durch Fernsehstudios, von Harald Schmidt zu Thomas Gottschalk, von Liebe Sünde zu Veronas Welt. ARTE drehte eine Reportage über ihn, ebenso der Kinderkanal. Auf MTV moderierte Kretzschmar eine eigene Sendung. Abgesetzt wurde sie am 10. September 2001. Der Zusammenhang zum Folgetag harrt der Aufklärung. Sein Liebesleben kaum. Abgesehen von der Beckersaga hat keine Beziehung mehr oder minder aktiver Spitzensportler eine größere Publizität erhalten als die Liaison von Kretzschmar und "Franzi" van Almsick. Man wird sehen, wie oft die Kamera die Schwimmerin im Publikum sucht und wie oft sie dem Ball folgt.

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