Autofahrer glotzen blöde, andere recken schon die Fäuste. Knapp 100 Radfahrer mit bunten Leibchen, aber ohne Licht und Klingel stürzen sich in den Straßenverkehr. Sie ignorieren die Radwege, ja halten sich nicht einmal an Spuren oder rote Ampeln. Es handelte sich nicht um eine Partisanenaktion des ADFC. Den Veranstaltern des Radklassikers »Rund um Berlin« waren schlicht die Absperrgitter abhanden gekommen, so dass das Hauptfeld an der Kreuzung Koch-/Lindenstraße eine Abbiegung verpasste und mitten im Wochenendverkehr landete. Es passierte zum Glück nichts Gravierendes. Man konnte nur aufatmen, dass Berlins Sportdilettanten es zum Glück nicht geschafft hatten, die Olympiade an die Spree zu holen. Was wäre da jetzt erst los? Noch weitere Pleiten und Pannen an diesem Wochenende führten geradewegs zu improvisierten Dankgottesdiensten, dass der Kelch Olympia an Berlins Sportorganisatoren vorbeigegangen ist.
Die Berliner Hertha glänzte nämlich mit einem Rückfall in die Zeit des Stammtisch managments. Nach einem Machtgerangel um Posten und Positionen legte Präsident Walter Müller überraschend sein Amt nieder. Auslöser war die Besetzung des sogenannten Beteiligungsausschusses«, der die künftigen hauptamtlichen Geschäftsführer der noch zu gründenden Aktiengesellschaft bestellt. Diese Posten sind gewöhnlich hoch dotiert. Müller wollte den Beteiligungsausschuss mit Vertretern von Aufsichtsrat und Präsidium sowie den Vereinsgremien Ältestenrat, Vereins- und Revisionsausschuss besetzen, während Gegenspieler Rupert Scholz dort nur Präsidium und Aufsichtsrat sehen möchte. Der Entwurf von Daimler-Manager Müller ist sicher der geschicktere, da mehrere Ebenen des Vereins in die Entscheidungsfindung eingebunden wären, während Ex-Verteidigungsminister Scholz nur gemeinsam mit seinen Spezis die Posten zu verteilen gedenkt.
In der Baustelle Olympiastadion rechneten die Verantwortlichen des Leichtathletik sportfestes ISTAF wegen des eingeschränkten Platzangebotes mit einem vollen Haus. Doch statt 55.000 kamen nur ca. 30.000. In guter Provinztradition machte man 41.000 daraus und zählte wahrscheinlich alle Würstchenverkäufer, Sicherheitskräfte und Zeitungsverteiler zum Publikum hinzu. Dabei bestand gar kein Anlass zur Schummelei. Immerhin hat ISTAF-Direktor Rudi Thiel zu seinem Abschied das Kunststück fertiggebracht, kurz vor Beginn der Olympischen Spiele diverse Stars aus ihren Trainingslagern zur Mini-Olympiade an die Spree zu locken. Dabei überzeugten vor allem die drei großen »M« des US-Sports, Marion Jones, Michael Johnson und Maurice Greene. Letzterer musste sich zwar strecken, um den blitzschnell gestarteten Jon Drummond noch abzufangen. Die harte Gegenwehr trieb ihn dann aber zur Superzeit von 9,86 Sekunden. In der Sprintstaffel ging es nur darum, ob die US-Boys neuen Weltrekord laufen. Um winzige zwei Zehntel verpassten sie ihn; wohl auch, weil Greene beim letzten Wechsel leicht verzögern musste. Michael Johnson wiederum setzte sein Bestrafungsprogramm fort. Sein Laufstil - kerzengerade durchgedrückter aufrechter Oberkörper und Füße, die in kleinen Schritten die Tartanbahn regelrecht prügeln - und sein Vorsprung im Ziel ist nichts anderes als ein permanentes Abwatschen von Kollegen und Geläuf. Marion Jones legte in Abwesenheit von Hauptkonkurrentin Inger Miller die 100 Meter in sensationellen 10,78 Sekunden zurück; die auch nicht gerade langsamen Frauen von den Bahamas folgten mehrere Meter dahinter. Die Krönung des Abends gelang Jones im Staffelrennen. Ihr bunt zusammengesetztes Team (u.a. mit der Weitspringerin Burrell) lag vor dem letzten Wechsel auf Platz drei. Knapp zehn Meter hatte Schlussläuferin Jones Rückstand. In atemberaubender Geschwindigkeit saugte sie sich an ihre Gegnerinnen heran und distanzierte sie deutlich. Solch ein Kunststück gelang selbst Ben Johnson in seinen Hochdope-Zeiten nicht. Jones war wie ein McLaren-Mercedes, der gegen Trabis antritt. In dieser Verfassung dürften ihr vier Goldmedaillen in Sydney schon sicher sein. Auf beiden Einzelsprintstrecken ist sie klare Favoritin; und wenn kein Staffelstab verloren geht, dann braucht sie sich über 4x100 und 4x400 Meter das Edelmetall nur noch abzuholen. Einzig die Achillesferse Weitsprung droht den Totaltriumph von fünf Mal Gold zu verhindern. Ob Heike Drechsler die Spielverderberin sein kann, darf man nach diesem Wochenende jedoch bezweifeln. Keine sieben Meter, eine durchwachsene Serie und am Ende nur der zweite Platz hinter der Russin Kotowa.
Aber das ist Sport, das kann passieren, das macht auch den Reiz aus. Von Veranstaltern hingegen erwartet man noch immer durchgehende Qualität, vor allem, wenn sie weiter an Bedeutung gewinnen wollen.
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