Bei Olympischen Spielen ginge es um Siege und Medaillen, sagt man. Stimmt nicht. Der Wettkampf ist eher sekundär. Vielmehr interessiert doch, wer wann wohin darf. Früher, zu tiefsten Ostzeiten, war das Wohin das Wichtigste. Das lag natürlich daran, dass die Spiele an so exotischen Orten wie Seoul oder Lake Placid, Montreal oder gar München ausgetragen wurden; Orte im Westen also, die man niemals real sehen durfte, in denen nun aber Repräsentanten der eigenen Piefigkeit ihre Abdrücke hinterlassen würden. Erfolgreiche Abdrücke zumeist, die selbst auf diejenigen DDR-Bürger ausstrahlten, die sich im Ungarn-Urlaub stets als Berliner präsentierten und keinesfalls den Eindruck korrigierten, wenn Yamaha-fahrende Sauerländerinnen sie bewundernd
rnden Blickes zur Kreuzberger Population zählten. Man wurde von Begeisterung ergriffen, als beispielweise ein Hallenser Sportlehrer nach 42 km Dauerlauf durch brütende Hitze als erster auf die Ziellinie einbog und Heinz-Florian Oertel diesen Triumph mit den hymnischen Worten kolorierte: »Waldemar, Waldemar, frischgebackene Eltern, nennen Sie ihr Kind Waldemar!« (Erinnerungszitat). Wie jubilierte man über die Goldfischchen im Schwimmbecken und zählte stolz die Medaillen. Und insgeheim breitete sich ein Lächeln aus, wenn man die - man beachte! - »Nationen«-Statistik betrachtete: Die BRD landete abgeschlagen auf Platz fünf oder sechs, während die DDR oft unter den großen Drei einkam und 1988 gar die USA auf den dritten Platz verdrängte. Aber im tiefsten Herzen berührten Olympische Spiele doch nur, weil sie die kleine Hoffnung nach großen Reisen am Leben erhielten. Da überlegte selbst der Faulste und Unsportlichste zumindest einen Moment lang, sich täglichen Schindereien zu unterziehen. Aber dann kam 1980 das aus Friedrichshainer Sicht nicht so attraktive Moskau; vier Jahre später zwar L.A., aber da durfte ja eh keiner hin. War doch gut, die ganze Anstrengung gescheut zu haben. Heutzutage, wo dem grassierenden Reisefieber allenfalls standhafte Grenzwächter in Nordkorea, Mesopotamien oder Afghanistan trotzen, kommt nicht mehr dem Wohin, sondern dem Wer großes Interesse zu. Wer darf einreisen in Australien und mittun bei Olympia. Von sich aus zog Jochen Zinner, Leiter des Berliner Olympiastützpunktes, zurück. Zwar stellt Berlin die meisten Sportler, aber der Chef übt sich in Bescheidenheit: »Wir dürfen nicht vergessen: Die Mittel sind begrenzt. Wenn ich die Wahl zu treffen hätte zwischen einem zusätzlichen Betreuer, zum Beispiel einem Physiotherapeuten, und einem Offiziellen, dann gibt es für mich nur eine Entscheidung: Gegen den Offiziellen.« Gut gebrüllt, Löwe. Weniger skrupulös ist da der Usbeke Gafour Rachimow. Zwar ist auch er nur ein Offizieller, aber vermutlich würde der als »Pate von Taschkent« übel beleumundete Boxsportfunktionär eher einen Athleten zurücklassen, um an dessen Stelle verreisen zu können. Ihm haben allerdings die australischen Behörden die Einreise verweigert, weil er »die Sicherheit des australischen Volkes gefährdet«. AIBA-Schummler Rachimow - er ist u.a. an der Schiebung des letzten WM-Finales zuungunsten des Kubaners Felix Savon beteiligt - kann aus dem Transitraum gleich einen Landsmann zurück nach Mittelasien mitnehmen. Der namentlich noch nicht bekannte Trainer wurde mit dem Wachstumshormon HGH erwischt. Noch bevor der Flieger nach Australien sich erhob, ließen sich 27 chinesische Aktive ausmustern. Sie hatten falsch dosiert; ihre Blutwerte waren bei den letzten Kontrollen im Heimatland zu hoch. Jetzt könnte man entrüstet denken, wieder die Asiaten, die so unsauber arbeiten; man könnte das xenophobe Ressentiment auch noch mit der Arroganz technologischer Überlegenheit unterfüttern, aber, erinnern wir uns an »unsere« Mittel- und Langstreckler: Grit Breuer beispielsweise oder Uta Pippig. Erwischt, bestraft, verjährt und fast vergessen. Der spannendste Wettbewerb bei Olympia wird jedoch: wer darf eigentlich starten, obwohl er nach strenger Regelauslegung gesperrt sein müsste. Die gute Merlene Ottey betrifft das. Oder Cubas Hochsprunglegende Xavier Sotomayor. Er wurde mit Kokain im Blut erwischt, und nur, weil Koksen im revolutionären Katechismus nicht vorkommt, ist ja klar, dass der Klassenfeind dem armen Xavi das Teufelszeug in den Urin gemixt haben muss. Jedenfalls setzte sich Fidel Castro mit dieser Lesart durch. Zugegeben, der Hochsprungwettbewerb wird besser mit Weltrekordler Sotomayor. Dieter Baumann hat leider keinen maximo lider im Rücken, der Messergebnisse als Klassenkampf entlarven kann. Zwar hat er sich bisher nach Sydney durchgeklagt, aber ob er da auch starten kann, entscheidet sich erst kurz vor seinem Vorlauf. Für Höhepunkte ist also gesorgt.