Kann ein autobiografischer Kriegsbericht etwas erhellen über das hinaus, was sowieso schon bekannt, also überwiegend von den Medien verbreitet und kolportiert ist? Kann sogenannte Erinnerungsliteratur, die sich immer aus der Quelle einer zwiespältigen Authenzität speist, die verheerenden Folgen des Golfkrieges von 1991 - als Beginn eines amerikanischen Kontinentalkrieges gegen die arabische Welt - deutlich machen?
Den ehemaligen US-Soldat Steven Kuhn haben seine erschütternden Erlebnisse dazu gebracht, sie in einem Buch zu verarbeiten. Darin beschreibt der 1967 in Harrisburg, Pennsylvania geborene Amerikaner seinen Weg vom Highschool-Jungen aus zerrütteten Familienverhältnissen. Es ist der klassische amerikanischen Albtraum. Der einzige Ausweg für einen mittellosen Jugendlichen, dem endgültigen sozialen Absturz zu entgehen, besteht darin, als Söldner bei der US-Armee unterzukommen.
Mehrmals betont Kuhn die Funktion der US-Freiwilligen-Armee als einer Art Besserungsanstalt, die ihm die »richtige« Ordnung und Disziplin eingebläut hat. Er fühlt sich von der totalen Unterwerfung angezogen, von körperlicher Zucht und geistiger Erniedrigung, die ihm zumindest eines einbringen soll: gesellschaftliche Achtung. »In Amerika Soldat zu sein, ist außerdem das Größte«.
Ansonsten ist schnell erzählt, wie Kuhn von einer hessischen Militärbasis in den für ihn - »Saddam muss weg« - unvermeidlichen Krieg zieht. Er erzählt von der lähmenden Langeweile vor dem Beginn der Operation Desert Storm, das Warten in der Wüste auf den Feind, die Gefechte, die Verletzten und schließlich die Toten. Kuhn beschreibt sich als extrem abgehärteten Soldaten, der in der Army zu einem »wahren Menschen« herangereift ist, der gehorchen und befehlen kann, der seinem Land dient ohne Wenn und Aber: »Ich fand bei der Army ... einen Sinn für mein Leben. Etwas für mein Land zu tun, die Feiheit verteidigen, die westlichen Werte beschützen ...« Dass ihm irgendwann Zweifel kommen mussten angesichts des Todes eines Freundes und dem Anblick Tausender verstümmelter Leichen, kann kaum verwundern. Immer mehr stilisiert sich Kuhn jedoch zu einem Friedensapostel, der als letzter verstummter Rufer in der Wüste auf einmal nicht mehr an das Gute des Krieges glauben mag. Von der Nachricht, dass seine deutsche Verlobte ihn verlassen hat und von seinen zynischen Mitkämpfern desillusioniert und angewidert entdeckt Kuhn urplötzlich die Humanität und das tatsächliche Antlitz des verhassten Feindes. Es klingt rührend, wenn Kuhn beschreibt, wie er Bonbons an irakische Mädchen verteilt oder einem Kriegsgefangen, der ihn fragt, wann er endlich erschossen wird, Essen reicht. Oder wenn Kuhn davon spricht, wie er tiefes Mitleid mit einem Misshandelten empfindet, der direkt vor seinen Augen gefoltert wird.
Eines der eindringlichsten Bilder findet sich bei Kuhn dafür, was der Krieg aus Menschen macht: »Ich fuhr nach einiger Zeit einen anderen Kommandanten, der ließ mich mit dem Jeep wilde Hunde jagen. Wie ein Verrückter. Er sagte: Die Hunde haben ein Schaf gerissen, jetzt machen wir sie fertig!«
Was Kuhn trotz aller Indifferenz zu beschreiben vermag: das gewaltige Leid der Opfer, vor allem der irakischen Zivilisten; die Perversionen der (hohen) Militärs und Regierungsbosse, das Verheizen von Mensch und Natur. Sogar das Versagen, indirekt auch das eigene, des Prinzips der Nächstenliebe, die Kuhn so gern heraufbeschwören möchte: das Erbarmen nach dem Mord und, dass die Toten ihren Schlächtern vergeben mögen.
Nach dem Kampfeinsatz kehrt Kuhn zurück nach Deutschland und versucht unter dem unerträglich werdenden psychischen Druck des Golfkriegssydroms ein anderes Leben, noch immer als US-Soldat, anzufangen. Fürs Erste vergeblich: »Es war seltsam, aber ich begann, mich nach dem Irak zu sehnen. Dort war alles eins gewesen, Arbeit und Leben. Man war immer im Dienst, hatte immer etwas Sinnvolles zu tun. Und auf einmal war das weg ...« Kuhn ersäuft seinen Kummer im Alkohol, fällt in den dumpfen Trott der Truppe, die in den nicht mehr gebrauchten und bald zu schließenden US-Kasernen die Zeit totschlägt. Aber es gelingt ihm, sich trotz fortschreitender Krankheit durch einen Giftgaskontakt aus dem Sumpf zu ziehen: Kuhn verlässt die Army. Wird Gelegenheitsarbeiter in Berlin, Kellner, Türsteher, Fahrer, wo er auch seine zukünftige Frau, eine junge Türkin, kennen lernt. Das klingt wie in einem stark konstruierten Roman; der amerikanische Kriegsheld, mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet, verliebt sich in eine Muslimin, die beiden heiraten einige Jahre später. Aber die Geschichte zeigt auch ihr makaberes Gesicht: Kuhn ist chronisch krank und impotent mit nicht mehr allzu hoher Lebenserwartung.
Was diesem autobiografischen Bericht allenthalben fehlt, ist die Selbstreflexion des Autors, das Sichbefragen und Hinterfragen, das Suchen nach den Gründen: Wer will diesen Krieg, warum und für wen? Kuhn fragt nicht, er begnügt sich am Ende mit Floskeln: »Ich bin kein Pazifist. Krieg ist manchmal nicht zu vermeiden. Aber Krieg ist immer Böse.« Zu oft verstrickt sich Kuhn: »Die Army hat mich von einem Versager zu einem Mann gemacht. .... Alles, was ich war und konnte, verdankte ich der Army« in dem fatalen Widerspruch zwischen patriotischem Geist und Gehorsam sowie dem Gegenteil, dem Nichtmehrmitmachenwollen, ohne dass er diese Schizophrenie je exakt fassen könnte: »Mein Kopf sagt mir, daß dieser Krieg ein Verbrechen ist. Aber mein Herz sagt mir, geh hin und mach mit. ... Ich lehne die Politik von Präsident Bush ab, aber andererseits weckt er als Präsident meinen Patriotismus.«
Manches in diesem Buch ist so offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt, wie es dann der Fall ist, wenn Bücher möglichst schnell ein gieriges Interesse der Öffentlichkeit an dem Inferno des Krieges und seinen Folgen bedienen sollen. Kuhn jedoch, so steht es auf den letzten Seiten, will nicht mehr nur zusehen und schweigen; er möchte helfen. Der christliche Wunsch, Leid zu mindern, hinter dieser Motivation verdient ungeteilten Respekt.
Wenn der durchaus lebendige Bericht Steven Kuhns eines klarzumachen versteht, dann etwas, was Brecht schon vor einem Dreivierteljahrhundert seinen Protagonisten in Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer - vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges - ausschreien lässt: »Und von jetzt ab und eine ganze Zeit über/wird es keinen Sieger mehr geben/auf eurer Welt, sondern nurmehr/Besiegte.«
Steven E. Kuhn/Frank Nordhausen: Soldat im Golfkrieg, Ch. Links, Berlin, 2003, 141 S., 9,90 EUR
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